Volkstheater  Children of Tomorrow (UA) von Tina Müller / Corinne Maier


 

Gefangen im kategorischen Konjunktiv

Kind oder nicht Kind, das ist hier die Frage. Die stellen Tina Müller und Corinne Maier in ihrem eine und eine viertel Stunde dauernden Bühnendiskurs und lassen die, so gut es eben geht, von Pola Jane O´Mara, Julia Richter, Mehmet Sözer und Oleg Tikhomirov beantworten oder doch zumindest durchdeklinieren. Vorbei die Zeiten, in denen sich ein Paar tief in die Augen schaute und er sagte: „Ich möchte ein Kind von/mit dir haben“, oder sie unter Schluchzen bekannte: „Ich bin schwanger…“ In Zeiten der Durchökonomisierung aller Lebensbereiche braucht es mehr, um eine Entscheidung zu treffen, ob und wann und auch mit wem. Wir sind stark um unsere eigene Individualität, der Entfaltung der Persönlichkeit bemüht, bildungs- und karrierebewusst, sind feministisch, antirassistisch, ökologisch, polyamorös, narzisstisch, bisexuell, Drogen zugeneigt und sie verdammend etc., um nur einige (wenige) Attribute zu nennen. Alle diese komplexen Bewusstseinsinhalte müssen selbstredend mit ins Kalkül gezogen werden. Nur keine Schwächen zeigen bei der Selbst- und Lebensoptimierung. Schon das eigene Ego ist eine gewaltige Herausforderung. Wie taktet man da noch ein Kind in das ohnehin schon reichlich ausgebuchte Leben ein, ohne Verzicht üben zu müssen?

Die zwei Damen und die zwei Herren, keine zwei Paare sondern eine Viererkonstellation, stellen hypothetisch in den Raum: Wir bekommen ein Kind. Ich werde … Und so werden Szenarien entwickelt, in denen versucht wir, demokratische Regeln aufzustellen, damit keiner der Beteiligten zu kurz kommt. Ein mögliches (wahrscheinliches): Sie bleibt zuhause, er geht arbeiten (alle sind Schauspieler von Beruf), da er die besseren Gagen und Rollenangebote bekommt. Dann setzen Entwicklungsstörungen beim Kind ein. Schließlich bekommt ihre Mutter auch noch einen Hirntumor. Stopp! Man einigt sich darauf, dass seine Mutter von dieser Krankheit heimgesucht wird. Zu guter Letzt, eine Anleihe bei Lars von Trier, stürzt das Kind, während beide endlich einmal wieder Sex miteinander haben, aus dem Fenster und zu Tode.

Alle denkbaren Szenarien werden durchgespielt, bei denen immer wieder herauskommt, dass der, der sich für die Fürsorgepflicht entscheidet, deutlich den Kürzeren zieht, beruflich wie menschlich. Schließlich kommt man zu dem Schluss, dass man am besten ohne Kind lebt und sich dafür auch nicht schämen muss. Es gibt immerhin genügend Möglichkeiten, seine Fürsorge und sein Mitgefühl für die Menschen und die Welt zu demonstrieren. Z.B. durch Patenschaften mit afrikanischen Kindern etc. Und als scheinbar die Vernunft obsiegt hat, alle Argumente gegeneinander abgewogen sind und sich kein anderer Weg empfiehlt als der, kinderlos zu bleiben, fällt sinngemäß der Satz: Ich möchte aus unerfindlichen Gründen ein Kind …

  Childeren of tomorrow  
 

Pola Jane'O Mara, Julia Richter, Mehmet Sözer, Oleg Tikhomirov

© Gabriela Neeb

 

Es ist tatsächlich ein brisantes Thema, denn obgleich die Gesetzgebung die Möglichkeit vorsieht, dass beide Partner gleichermaßen die Fürsorge übernehmen könnten, brechen nur 14 % der Paare in unserem Land mit den tradierten Rollen. Auch leisten Frauen den überwiegenden Teil der Arbeit in der Gesellschaft, zu der auch die Hausarbeit gehört. Dabei verstellt uns die Tatsache, dass wir eines der reichsten Länder der Welt sind, gehörig den Blick, denn weltweit sieht es wesentlich dramatischer aus. Seriöse Studien verweisen darauf, dass Frauen zwei Drittel der Weltarbeit leisten, die Hälfte aller Lebensmittel produzieren, sie aber nur zehn Prozent des weltweiten Einkommens beziehen, nur ein Prozent des weltweiten Eigentums besitzen, zwei Drittel aller Armen stellen und überdurchschnittlich oft arbeitslos sind. Betrachtet man diese Zahlen, lässt sich schwerlich leugnen, dass das System des Kapitalismus die Probleme dieser Welt nicht zu lösen vermag, sie vielmehr erst hervor gebracht hat.

Nun sind Autorin Tina Müller und Regisseurin/Autorin Corinne Maier nicht angetreten, um eine Weltrevolution zu initiieren, sondern um ein Dilemma auszudiskutieren, dessen gesellschaftliche Relevanz unübersehbar ist. Alle mit großer Spielfreudigkeit und viel Witz dargebotenen Szenarien stimmen im Kern. So ist es auch nicht verwunderlich, dass am Ende nicht ein probater Weg steht, der exemplarisch aus der Krise führt, sondern die Natur: Ich möchte aus unerfindlichen Gründen ein Kind …
Unerfindlich, weil nicht rational, sondern triebgesteuert und weil es die einzige Aufgabe ist, die dem Menschen, wie jedem anderen Lebewesen auch, von der Natur aufgetragen wurde: Die Erhaltung der Art.

Ein Großteil des Konfliktstoffes resultiert natürlich aus der Entwicklung zu einem bisher nie dagewesenen Individualismus, der z.T. mit einem gerüttelt Maß an Egoismus daherkommt. Diesen Individualismus können wir uns leisten, Kinder nicht mehr. Zeugen und Gebären lässt sich halt nicht in den Lebensplan eintakten wie der Bachelor, ein Leasingkauf des Autos, der Kredit für die Eigentumswohnung oder der nächste Urlaub. Soviel ist mal sicher und zu dieser Einsicht kommen auch die Protagonisten auf der Bühne. Aber einen Ausweg vermögen sie nicht einmal ansatzweise anzubieten, auch keine überraschende theatralische Wendung in eine Utopie. So blieb unterm Strich ein sehr unterhaltsamer, mit Verve dargebotener Diskurs durch das Thema. Die szenischen Lösungen waren so unspektakulär wie das Bühnenbild von Nicole Henning, was keinesfalls negativ bewertet sein soll. Einzig der Sound von Rupert Jaud war deutlich ambitionierter und berührte jenseits des Logos den Plexus.

Viele Sätze begannen sinngemäß mit „Man könnte …“, „Stell dir vor, wir bekämen ein Kind…“ Ein Kind bekommen und die Verantwortung zu übernehmen ist ein kategorischer Imperativ. Den erfüllt man mehr oder weniger oder gar nicht. Es gibt eine lange Geschichte des Versagens, aber auch des Gelingens, sonst würden wir den Planeten nicht wie eine Seuche bevölkern. Aber es gab bislang noch keine Geschichte, in denen es den Menschen nicht möglich war, Kinder in die Welt zu setzen. Die Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten dieser Welt, die z.T. Jahre unterwegs sind und unter widrigsten Bedingungen vegetieren, zeugen und gebären Kinder auch unter diesen Umständen. Das mag man verantwortungslos nennen. Es ist aber der natürliche Verlauf der Geschichte.

Mit „Children of Tomorrow“ wird zugleich ein soziales Phänomen deutlich, das die Gesellschaft ein stückweit lähmt und orientierungslos macht. Wir haben eine Vielzahl von Ideologien, die uns vorschreiben, gut zu sein und wir sind auch willens alle guten Ratschläge zu befolgen. Aber wir haben uns in dem Ratgeberschilderwald verloren und ringen um Orientierung. Unsere Moral ist peinlich genau darauf bedacht, alle vorstellbaren Möglichkeiten zu Überdenken und so sind wir in einem kategorischen Konjunktiv gefangen, der uns den Imperativ verstellt. Also handeln wir weniger reden vornehmlich über die Möglichkeiten des Handelns. Wir reden schließlich gern. Wir reden, also sind wir.

Wolf Banitzki

 


Children of Tomorrow (UA)

von Tina Müller / Corinne Maier

Pola Jane O´Mara, Julia Richter, Mehmet Sözer, Oleg Tikhomirov

Regie: Corinne Maier