Volkstheater  Das Bildnis des Dorian Gray nach Oscar Wilde


 

Über Jugend- und Schönheitswahn

„Alle Kunst ist ganz und gar nutzlos.“ - Nein, Oscar Wilde glaubte nicht an eine weltverbessernde Kraft der Kunst, obgleich sie in Europa seit Homer zweifelsfrei nachgewiesen ist. Und so ging Wilde entschlossen daran, jeglichen Vorsatz auszublenden, mit der Kunst einem Zweck zu dienen. Je näher die Kunst dabei der Realität kommt, umso sinnloser wird sie dem Dichter: „Das Leben verdirbt durch seinen Realismus immer die Thematik der Kunst. Das erhabenste Vergnügen an der Literatur ist, das Nicht-Existente existent zu machen.“ Kunst als Transportmittel für Moral war für Wilde ohnehin indiskutabel: „Alle Künste sind amoralisch – außer jenen niedrigeren Formen der sinnlichen oder belehrenden Kunst, die, im Bösen oder Guten, zum Handeln anzustacheln sucht. Denn Handeln jeder Art gehört in den Bereich der Ethik. Ziel der Kunst ist es einfach, eine Stimmung zu erzeugen.“ Und so findet sich am Ende doch noch ein Zweck, denn was ist die Erzeugung von Stimmungen im Ergebnis anderes als ein zweckdienliches Streben. Allein, Wilde war, was das Ergebnis anbelangte, kein Optimist: „Wir haben das abstrakte Gefühl für Schönheit verloren.“

Immerhin, in „Das Bildnis des Dorian Gray“ bleibt er seinen Prämissen treu, begibt sich in die Gefilde des Phantastischen und beschwört das „Nicht-Existente“. Der Maler Basil Hallward schafft ein Bildnis von Dorian Gray, dem er seit der ersten Begegnung vollkommen verfallen ist. Es gelingt ihm, die makellose Schönheit des Mannes in ein absolutes Kunstwerk zu bannen. Dorian erkennt im Angesicht seines Bildnisses, dass darin die vollkommene Schönheit auf ewig weiter existieren wird, während seine Schönheit bald vergehen muss. Er leistet den Schwur, alles zu geben, damit sich diese Tatsache umkehrt, seine physische Schönheit fortbestehen wird und stattdessen sein Abbild auf der Leinwand altert. Genau das geschieht, bleibt aber vorerst das Geheimnis Dorians. Angefeuert und zugleich verunsichert von dem Ästheten Henry Wotton, einem wahrhaften Advocatus Diaboli, saugt Dorian die Schönheit des Lebens in sich auf. Ihm begegnet die Liebe, doch für Dorian endet sie ernüchternd, als das angebetete Wesen, die Schauspielerin Sibyl Vane unter dem Einfluss der Liebe zu einem wahrhaftigen menschlichen Wesen wird und die Rollen der Desdemona oder der Ophelia abstreift. Dorians Liebe erlischt augenblicklich und er wendet sich von ihr ab. Sibyl überlebt ihre Enttäuschung nicht. Von nun an entwickelt sich die Geschichte zu einem Horrortrip, in der der Tod auch weiterhin reiche Ernte einfährt.

Abdullah Kenan Karaca brachte die Geschichte auf die Kleine Bühne des Volkstheaters. Es wäre müßig über die Aktualität des Stoffes nachzudenken, denn was hat in unserer Mediengesellschaft momentan einen höheren Stellenwert, als die Selbstdarstellung und der Wahn von Schönheit. Auch das Ergebnis ähnelt angesichts der zahllosen Botox-Mumien und der geistigen Verarmung der Repräsentanz von Schönheit der Geschichte des Dorian Gray. Gerade hat Verona Poth herausgefunden, dass eine Flugzeugtoilette ein guter Ort für Selfies ist und die Medien entblöden sich nicht, uns diese Tatsache brühwarm mitzuteilen. Henry Wotton erklärt das Phänomen der Unvereinbarkeit von Schönheit und Geist wie folgt: „Schönheit, wahre Schönheit hört auf, wo geistiger Ausdruck anfängt. Geist ist an sich eine Art Übertriebenheit und zerstört das Ebenmaß jedes Gesichts. Sowie man sich ans Denken macht, wird man ganz Nase oder ganz Stirn oder derart Grässliches. Betrachte die Männer, die in irgendeinem gelehrten Beruf Erfolg hatten. Wie vollendet hässlich sind sie!“ Vor diesem Schicksal ist Frau Poth ganz sicher gefeit.

  Dorian Gray  
 

Pascal Fligg, Oleg Tikhomirov, Jakob Geßner

© Gabriela Neeb

 

Zehn Jahre treibt es Dorian auf das Schändlichste und er altert dabei nicht. Einzig die Gesellschaft wendet sich immer mehr von ihm ab. Der Geruch von Lasterhaftigkeit und emotionaler Barbarei haftet ihm an. Als Basil Hallward die Herausgabe des Bildnisses für eine temporäre Ausstellung in Paris fordert, enthüllt sich ihm das Geheimnis. Das wahre Antlitz Dorians ist auf dem Bild zu sehen: „Die Sünde ist etwas, das sich einem Menschen ins Gesicht schreibt. Sie lässt sich nicht verbergen.“ (Aphorismus von O. Wilde) Er überlebt diese Erkenntnis jedoch nicht. Jakob Geßner verkörperte in dieser Rolle den einzigen moralischen Menschen, dessen letzter Ausdruck der des Entsetzens ist. Aber auch Henry Wotton, fein ziseliert, mit viel Witz und wunderbar zarten Nuancen gestaltet von Pascal Fligg steht ungläubig vor den Trümmern seiner Bemühungen, den jungen Dorian Gray aufzuklären über das Leben, wie Wotton es in seiner zynisch-makaberen Sicht interpretiert.

Bei der Rollenverteilung war eine männliche Dominanz nicht zu leugnen und als dritter im Bund gab Oleg Tikhomirov einen in sich zerrissenen, von Zweifeln und düsteren Ahnungen geplagten Dorian Gray. Carolin Hartmann komplettierte als Lady Wotton eine Ehe, die Ehemann Henry so definierte: „(…) die Ehe hat den einen Reiz, dass sie beiden Teilen ein Leben der Täuschung völlig zur Notwendigkeit macht.“ Immerhin verklausulierte Lady Wotton diese permanenten Täuschungsmanöver nicht allzu sehr. Pola Jane O´Maras Sibyl Vane hatte nur einen kurzen Auftritt, indem sie sie selbst, also Sibyl Vane sein konnte. Davor spielte sie die Ophelia so wunderbar grottenschlecht, dass der Abgesang auf die Schauspielkunst den Herren im Publikum (also Henry Wotton, Basil Hallward und Dorian Gray) glaubhaftes Entsetzen auf die Gesichter zauberte. Zurück kam sie nur noch als ihr eigener Geist, Dorian zusehends in den Wahnsinn treibend.

Abdullah Kenan Karaca gelang eine in sich stimmige und spannende Inszenierung, zu deren Gelingen das Licht von Günther E. Weiss einen großen Anteil hatte. Aber auch das Bühnenbild von Vincent Mesnaritsch beeindruckte, ein einfacher Raum mit goldfarben patinierten Wänden, die nach und nach unter den Ausbrüchen von Aggression und Verzweiflung zu Bruch gingen. Dieser Raum konnte von den Darstellern nur kriechend durch einen Spalt über dem Fußboden erreicht werden. Figuren, die lediglich durch ihre Füße sichtbar waren, spielten im Wesentlichen im Off, was die Begrenztheit des Bühnenraumes durch glaubhafte Imagination aufhob. Die Kostüme von Elke Gattinger vervollkommneten die gepflegte Ästhetik der Geschichte um Schönheit, Moden und Abgrenzung von allem Banalen und somit Hässlichem. Es waren aufwendig gearbeitete Roben, die einem Oscar Wilde vermutlich gut gefallen hätten. Fotos von ihm, er hasste es übrigens, abgebildet zu werden, lassen diesen Schluss zu.

Abgesehen davon, dass Wildes Stücke, Texte und Gedanken schon wegen der Pracht ihrer Sprache, aber auch wegen der Brillanz des innewohnenden Geistes es allemal wert sind, immer wieder zur Diskussion gestellt zu werden, trifft die Inszenierung einen Nerv der Zeit. Auch wenn Wilde stets die Zweckfreiheit seiner Werke zu beschwören suchte, bleibt doch zu hoffen, dass dem Publikum hier und da ein Licht aufgeht und der wunderbare Theaterabend nicht gänzlich folgenlos bleibt. Wildes Rezepte für den Erhalt von Jugendlichkeit (und damit Schönheit) waren immerhin gänzlich andere, als die heutigen tags praktizierten: „Um meine Jugend zurückzuerhalten, würde ich alles auf der Welt tun, außer Leibesübungen, früh aufstehen oder ehrbar werden.“

Wolf Banitzki

 


Das Bildnis des Dorian Gray

nach Oscar Wilde
in einer Übersetzung von Eike Schönfeld

Oleg Tikhomirov, Pascal Fligg, Carolin Hartmann, Jakob Geßner, Pola Jane O´Mara

Regie: Abdullah Kenan Karaca