Volkstheater  Schöne Neue Welt nach Aldous Huxley


 

Freiheit oder Glück

Es ist vollbracht! Der Mensch ist frei von Leiden, ist bis zu seinem Tod, der von staatlicher Seite organisiert ist, gesund, von angenehmer Gestalt und in jeder Hinsicht potent. Soma, eine Droge, die dauerhaft verabreicht wird, verhindert Depressionen, Missstimmungen und befördert sexuelles Begehren und die nötige Potenz. Man speist die wundervollsten Nahrungsmittel, genießt permanent die harmonische Gesellschaft der Mitbürger, ergibt sich einer allgemeinen Promiskuität und einer permanenten, flachen Unterhaltung. Die Geschichte, die Kunst sind abgeschafft, ebenso wie jegliche Formen von Individualismus. Das klingt wie die ganz große Freiheit, die Erlösung von allen Übeln.

Klingt leider nur so, denn diese Welt hat eine dunkle Schattenseite. Die Bewohner dieser „Zivilisation“ sind nicht auf natürliche Weise gezeugt und von Müttern geboren, sondern in der Retorte gezüchtet, biochemisch konditioniert und optimiert und in Kasten, von Alpha bis Epsilon eingeteilt, hineingeboren, aus denen sie nicht mehr herauskommen und es auch nicht wollen, denn es mangelt ihnen dafür an Fantasie und Willen. Freier Wille, eine Quelle des Leids, ist quasi abgeschafft, findet sich nur noch rudimentär bei den Controllern, einem weltbeherrschenden Rat, die zugleich auch Wissende sind, was die Geschichte, die Kunst, die Psychologie anbelangt. Sie lesen die Bücher, die gemeinhin verboten sind, denn „sie machen die Gesetze und können dagegen verstoßen, straffrei!“

Die Geschichte ist schnell umrissen. Bernhard Marx ist, was das Konzept seiner Existenz anbelangt, nicht perfekt. Er verfügt über einen „mentalen Überschuss“. Dabei ist er mit zu wenig Muskelmasse ausgestattet, was seiner Attraktivität abträglich ist. Er ist unter seinesgleichen „gesondert“ und leidet unter dem Gefühl der Isolation. Aber auch Helmholtz Watson (ein Bild von einem Alpha-Plus), der sehr erfolgreich an der „Schriftfakultät“ arbeitet und ein sehr gutes Händchen hat für „hypnopädische Reimsprüche“. Er schreibt „Fühldrehbücher“ für das Fühlkino (Feelies), ein technischer Ersatz für Haptik und sinnliche Wahrnehmung. In weniger als vier Jahren hat er 640 verschiedene Frauen gehabt. Doch drängt sich ihm ernsthaft die Ahnung auf, dass Sport, Frauen und soziales Engagement nur billiger Ersatz sind für … Ja, wofür eigentlich? Diese Frage kann er nicht beantworten.

Bernhard Marx unternimmt eine Safari in ein „unzivilisiertes Reservat“ nach New Mexico, wo menschliche Wesen noch in der Natur und in ihrer natürlichen Lebensform existieren. Die erste und wichtigste Wahrnehmung ist: Sie riechen schlecht. Dort stoßen sie auf Linda und John Savage, leibliche Mutter und Sohn. Linda ist verstoßen worden aus der „Zivilisation“ und sehnt sich zurück. John hat das ganze Werk Shakespeares auswendig gelernt und misst an diesem die Realität. Er kann Hamlets Ansicht, der das Vertrauen in die Menschen verloren hat, nur teilen. Bernhard Marx nimmt die beiden mit in die „Zivilisation“, die sich nun am naturmenschlichen Wesen, wie es auch der Leser/Betrachter ist, messen lassen muss. John und das Wort Shakespeares sind für die „Zivilisation“ jedoch pures Gift. Sie verändern das Denken von Marx und auch das von Helmholtz Watson und so werden am Ende alle ausgesondert. Die beiden „Zivilisierten“ werden auf eine Insel verdammt; John Savage wird Hauptakteur einer medialen Show, vergleichbar mit Shakespeares monströsem Caliban (Der Sturm). Am Ende bleibt ihm nur die Flucht in den Freitod.

  Schoene Neue Welt  
 

Ensemble

© Arno Declair

 

Regisseur Felix Hafner (Jahrgang 1992) brachte den Roman in einer sehr körperbetonten, musikalisch aufgeladenen Inszenierung auf die Bühne, die vornehmlich das junge Publikum ansprechen dürfte. Dazu brauchte er eine unverstellte Spielfläche und die lieferte Bühnenbildnerin Camilla Hägebarth mit lackglänzendem Bühnenboden. An der Rückwand befand sich ein kreisrundes großes Lichtfeld, das wie das Auge von „Big Brother“ die Vorgänge auf der Bühne überwachte und auch manipulierte. Als John Savage, gespielt von Silas Breiding, den „Zivilisierten“ die Entscheidungsfreiheit zurückgeben wollte, verhängte er das Licht mit einem Bühnenvorhang. Für einen kurzen Augenblick war das System blind. Doch der Controller Mustapha Mond, diabolisch und eindringlich von Jakob Immervoll gestaltet, setzte dem schnell ein Ende. Timocin Zieglers Bernhard Marx war ein emotional schwächelnder Zeitgenosse, der zum Messias nicht taugte, denn als er mit Linda und John Savage Aufsehen erregte wie mit exotischen Tieren, stiegen seine „Werte“ unerwartet und er fühlte sich in der Gemeinschaft wieder aufgehoben und wohl. Mehmet Sözer gab seinen Helmholtz Watson als einen exaltierten Intellektuellen, der zumindest am Ende Heroismus zeigte, als er für seine Verbannung einen Schlechtwetterort forderte. Bei schlechtem Wetter schreibt es sich am besten.

In Aldous Huxleys Roman aus dem Jahr 1932 ist unübersehbar, dass das weibliche Geschlecht nicht unbedingt auserkoren ist, die dystopische Welt in Frage zu stellen oder sich gar dagegen aufzulehnen. So blieben Julia Richter als Lenina Crowne und Luise Deborah Daberkow als Fanny Crowne nicht viel mehr als der Part als Stichwortgeber oder Kontrast zur männlichen Verwirrung. (John Savage: „Ich würde für dich den Boden fegen!“ Lenina Crowne: „Aber dafür gibt es doch Staubsauger und Epsilon Semi-Kretins zu ihrer Bedienung.“) Ansehnlich machten sie das allemal. Nina Steils entkam dieser Huxleyschen Begrenzung und das gleich in zwei Rollen. Als Direktorin agierte sie prägnant und mit lackledernem Nachdruck wie eine Domina, als Linda, in einem Fatsuit (Kostüme: Janina Brinkmann) menschliche Vergänglichkeit vorstellend, starb sie einen langsamen und erbarmungswürdigen Drogentod.

Hintergrund bildeten stets gruppendynamische Abläufe, denn das Individuum wurde nicht aus der Obhut der Gemeinschaft entlassen. Regisseur Hafner hatte sich dafür von Vasna Aguilar aufwendige Choreographien erarbeiten lassen, die der einfachen Rhythmik von Techno- oder Discomusik folgten. Die Musik von Clemens Wenger war auf Texte aus dem Roman komponiert worden und im Ergebnis entstand ein Sound, der mit heutiger, moderner Pop-Kultur kaum vergleichbar ist. Die Bewegungsabläufe erklärten ausgelassenen Tanz, gruppensexuelle Handlungen oder Freizeitaktivitäten wie „E-Magneto Golf“. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass diese Form des Schauspiels für das junge Ensemble des Volkstheaters keine schwierige Herausforderung bedeutete und ihrer unbändigen Spiellust entgegen kam. Dementsprechend schweißtreibend war auch das Ergebnis.

Es war ein mutiges Unterfangen, dem sich die Macher gestellt hatten. Und mit ihrer Lesart reflektierten sie zuallererst die heutige digitale und Netzwerkwelt. Dort gibt es auf beinahe jeder Seite den Buttons „Friend“. Und tatsächlich ist das Bedürfnis, in einer großen Gemeinschaft aufzugehen absurd groß, denn im gleichen Atemzug wird der hohe Wert des Individualismus beschworen. Trotzdem sind die Analogien zur „Schönen Neuen Welt“ von Huxley unübersehbar. Und doch gibt es verglichen mit der Romanvorlage einen deutlichen Mangel. Der besteht in der Abnabelung von der konkreten, mit der Entstehung des Romans verbundenen Geschichte.

Bei Huxley gibt es einen messianischen geistigen Führer, mit dem eine neue Zeitrechnung begonnen hatte. Die Geschichte spielt im Jahr 632 n.F. Das bedeutet übersetzt: 2495 n.Chr. Mit F war Henry Ford gemeint, der im Jahr 1863 geboren worden war, das erste Auto am Fließband produzierte (Ford T – Modell) und unermesslich reich wurde. Ford war ein glühender Anhänger von Adolf Hitler und seinen Ideen, insbesondere denen, die sich auf die Führung von Massen beziehen, und er betrieb ein Institut, in dem experimentelle Forschungen zur Optimierung von Arbeitern in Fließbandfabriken betrieben wurden. Dabei kamen sowohl Drogen als auch Alkohol zum Einsatz. Fords Bewusstsein war hochgradig pervertiert und aufgrund seiner immensen ökonomischen Macht hypertrophiert. Es ist schade, dass hier kein Name gefunden wurde, den man anstelle von Ford symbolhaft zum Einsatz hätte bringen können. Z wie Zuckerberg wäre z.B. einer, der den Anforderungen der Geschichte durchaus gerecht werden würde. Er steht wie kaum ein anderer für eine Industrie zur Schaffung von Illusionen, Unsinnlichkeit, Vereinsamung und geistiger Gleichschaltung. Die kritische Betrachtung wäre konkreter und fassbarer gewesen. Eine Bedrohung für die Freiheit, und die ist noch immer das höchste Gut, sind solche ökonomischen „Titanen und Halbgötter“ (Siehe Kontostand!) noch immer.

Wolf Banitzki

 


Schöne Neue Welt

nach Aldous Huxley

Timocin Ziegler. Julia Richter, Jonathan Hutter, Mehmet Sözer, Luise Deborah Daberkow, Jakob Immervoll, Nina Steils, Silas Breiding

Regie: Felix Hafner

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