Volkstheater UA In den Strassen keine Blumen von Charlotte Roos
Ein düsterer Mädelsabend
Es ist ein eklektisches Werk, das Charlotte Roos zu Papier und Pinar Karabulut auf die Bühne des Volkstheaters brachte. Das am 21. Juni 2018 uraufgeführte Drama setzt sich aus den vier großen Tragödien des 1936 von faschistischen Horden ermordeten Spaniers Federico García Lorca zusammen: „Bluthochzeit“, „Yerma“, „Doña Rosita bleibt ledig oder Die Sprache der Blumen“ und „Bernarda Albas Haus“. Das Projekt wirft zuallererst die Frage auf, warum die vier großen und großartigen Dramen miteinander verwoben, mit Alltagssprache durchsetzt in einer zweieinhalbstündigen, kaum schlüssigen und schon gar nicht organischen Form präsentiert wurden? Eine Antwort gibt der Text, mit dem die Inszenierung von Seiten des Volkstheaters beworben wurde: „In den Straßen keine Blumen“ verbindet das Schicksal der Lorca´schen Frauen zu einem Kaleidoskop des Protests gegen ein System, das, längst als tot entlarvt, nur mehr künstlich am Leben gehalten wird. In dieser Künstlichkeit kann nichts wachsen. Keine Blume. Kein Kind. Keine Liebe. Keine Zukunft. (Website Volkstheater)
„Keine Blume“ spielt auf „Doña Rosita bleibt ledig…“ an. Doña Rosita muss Abschied von ihrem Verlobten nehmen, der zu seinen Eltern nach Lateinamerika reist. Sie verspricht, zu warten. 15 Jahre gehen ins Land. Eine Fernhochzeit schürt noch einmal Hoffnung. Doch schließlich muss die Braut erfahren, dass der Geliebte bereits seit acht Jahren verheiratet ist. Die Hoffnung stirbt. Doña Rosita verblüht wie die Rose „Rosa mutabilis“, vom Onkel im Gewächshaus gezüchtet, die morgens rot erblüht, mittags leuchtet, nachmittags weiß wird und sich in der Dämmerung entblättert. Doña Rosita ist eben diese Blume im gesellschaftlichen Gewächshaus nach spanischer Sitte. Aufbegehren wird jedoch erst „Yerma“, der Name bedeutet „die Brachliegende“. Zwangsverheiratet mit dem Bauern Juan, sieht sie in der Geburt eines Kindes ihre eigene Erlösung: „Es hungert mich nach den Schmerzen einer Gebärerin.“ Als sie erkennen muss, dass ihr sittenstrenger Gatte auch noch zeugungsunfähig ist, erwürgt sie ihn. In „Bluthochzeit“ führt eine arrangierte Ehe, Besitz heiratet Besitz, in die Katastrophe, als der ehemalige Verlobte der Braut, Leonardo, inzwischen selbst verheiratet, auf dem Fest auftaucht. Leonardo und die Braut fliehen noch in derselben Nacht. Der Bräutigam setzt ihnen nach und die beiden Männer erstechen sich gegenseitig im Zweikampf. Zurück bleibt die Braut, Ehebrecherin, Jungfrau und Witwe zugleich.
In „Bernarda Albas Haus“ herrscht Trauer. Der Hausherr ist gestorben und die Witwe Bernarda Alba ordnet eine achtjährige Trauer an. Das bedeutet für vier von fünf Töchtern eine achtjährige Gefangenschaft im Haus. Nur die älteste Tochter hat eine Chance, dem Gefängnis zu entkommen. Sie ist mit Pepe el Romano verlobt, mit dem sie sich immerhin durch das vergitterte Fenster unterhalten darf. Pepe will sie nur der üppigen Mitgift wegen heiraten, tatsächlich jedoch liebt er die jüngste Schwester Adela. Ein gemeinsames Treffen der beiden Liebenden wird von Mutter Bernarda mit Waffengewalt unterbunden. Nachdem Adela von einer eifersüchtigen Schwester, die ihr den Tod Pepes vermeldet, betrogen wird, erhängt sie sich.
Laina Schwarz, Jonathan Hutter, Carolin Hartmann, Oleg Tikhomirov, Nina Steils, Timocin Ziegler © Gabriela Neeb |
Zuletzt las die Bernarda-Darstellerin Margot Gödrös den Mythos von Demeter, deren Tochter Persephone von Hades ins Totenreich entführt wurde. Demeter, die mächtige Göttin der Fruchtbarkeit, verweigert die Nahrungsaufnahme, woraufhin alles was fruchtbar ist „im Land“ verkümmert. Erst Iambe oder auch Baubo gelingt es, die Trauer der Demeter zu brechen und sie Lachen zu machen, in dem sie ihr ihre Vulva zeigt. Demeter isst und trinkt wieder und das Elend hat ein Ende.
Es ist ein per se sehr großes Thema, vielleicht zu groß für einen zweieinhalbstündigen Theaterabend, das die Regisseurin Pinar Karabulut angegangen ist. Unzulässige Vereinfachungen scheinen dabei unvermeidlich. Und so wie der Text eine Hybridisation des Lorca´schen Werkes ist, ist es auch die ästhetische Umsetzung auf der Bühne. Es wurde getanzt, gesungen, geklettert, körperlich rhythmisiert, lautmalerisch kommentiert und kolportiert und gelegentlich auch Raserei veranstaltet. Maßvoll war das nicht und sollte es wohl auch nicht sein. Vielmehr war es ein geradezu ekstatischer Aufschrei der bedrängten weiblichen Kreatur, die (so zumindest behauptet) noch immer in den gesellschaftlichen Konventionen gefangen ist und leidet. Objektiv betrachtet, waren inhaltliche Differenzierungen kaum möglich und es stellt sich für einen in jedem Fall „schuldigen“ Mann die Frage, ob es politisch überhaupt korrekt ist, den dargebotenen Status nach achtzig Jahren (seit dem Tod Lorcas) zu hinterfragen. Leben wir tatsächlich noch immer in so archaischen Strukturen und machohaften Verhältnissen, dass mit solcher Wucht angeklagt wird?
Ästhetisch war die Inszenierung jedenfalls nicht wirklich zwingend, denn während die Poesie Lorcas, angefüllt mit Blumenmetaphorik, durch den Raum flatterte, nicht selten Verzauberung durch lyrische Bilder zelebriert wurde, erfuhren diese Momente immer wieder ihre ernüchternden Abbrüche durch banale Alltagssprache, Vulgarismen und Jugendslang. Bühnenbildnerin Johanna Stenzel hatte für dieses „Kaleidoskop des Protests“ einen weiß verhangenen Bühnenraum geschaffen, der in der Mitte einen Swimming Pool, umrandet von Gartensplit, aufwies. Die Rückseite wurde für Videoprojektionen genutzt, in denen Blut, wie auf der Bühne auch, eine wichtige Rolle spielte. (Video: Leon Landsberg) Mit fortschreitendem Spiel wurden die Tücher herunter gerissen und der Raum wurde immer düsterer. Eine sehr komödiantische Szene erheiterte immerhin in all der Depression. Nina Steils brachte als Mutter der drei Jungfern selbige zu einer Poolparty mit. Sie wurden von den drei männlichen Darstellern (Jonathan Hutter, Oleg Tikhomirov, Timocin Ziegler), in Bonbonverpackungen gewandet, gespielt. Die Kostüme von Claudia Irro waren ein neckischer Einfall.
Unterm Strich allerdings schlug das in jeder Hinsicht aufwendige Spiel sämtlicher Darsteller nicht durchgängig in den Bann. Einige Längen waren unvermeidlich und als Kenner der Lorca´schen Dramen war man zu sehr damit beschäftigt, die Personen und Handlungen zu sortieren, als sich von ihnen be- und anrühren zu lassen. Es war indes eine sehr weibliche Sicht auf das Thema, das nicht sonderlich erschöpfend behandelt wurde. Wie auch, es ist, wie bereits erwähnt, ein sehr großes Thema, das deutlich über die Vulva hinausgeht. Vielleicht ist die Anmerkung nicht unbedingt passend, aber es sei erwähnt, dass in einer anderen Fassung des Demeter-Mythos Zeus, der Bruder von Hades und Vater von Persephone, vermittelnd eingreift und einen Deal mit Demeter und Hades einfädelt. Danach muss Demeter ihre Tochter für die Hälfte des Jahres Hades überlassen, also quasi zur Nichtenschändung. Aus diesem Grund haben wir Sommer und Winter, die Zeit der Fruchtbarkeit und die Zeit der Unfruchtbarkeit. Hier relativiert sich der Ausgang der auf der Bühne gelesenen Fassung einigermaßen. Also, eine Vulva ist ein mächtiges, aber kein allmächtiges Organ, so glücklich sich die meisten Männer schätzen dürfen, dass es sie gibt. Es bleiben zwei Geschlechter, die, und hier sollte unbedingt auch das Glückstiftende gesehen werden, die Dualität durch Vereinigung seit Anbeginn zu überwinden suchen. Die Natur, auch die des Menschen, sollte nicht ausschließlich beklagt werden. Nur der Widerspruch ermöglicht Entwicklung, und der wird bis ans Ende der Tage bleiben. Einzig die Liebe vermag ihn, wenn auch nicht dauerhaft, zu überwinden.
Wolf Banitzki
In den Strassen keine Blumen (UA)
von Charlotte Roos nach Texten von Federico García Lorca
Luise Deborah Daberkow, Margot Gödrös, Pola Jane O´Mara, Laina Schwarz, Nina Steils, Jonathan Hutter, Oleg Tikhomirov, Timocin Ziegler Regie: Pinar Karabulut |