Volkstheater Das blaue blaue Meer von Nis-Momme Stockmann


 

Aktuell und berührend

Darko verkörpert den gesellschaftlichen Typus, den man Loser nennt. Dabei klingt das Wort Loser auch irgendwie putzig, eignet sich zum Necken, unter Freunden. Doch in der Welt, in der Darko lebt, gibt es keine Neckereien und erst recht keine Putzigkeiten. Darkos Welt ist kein Ponyhof. Hier herrscht eine erbarmungslose Realität, Alkoholismus, Brutalität, Misstrauen, und all das führt zu permanenten Gewalttätigkeiten, psychischen und auch physischen, bis hin zu Mord und Totschlag. Es ist die Welt der Sozialbauwohnungen, der Schließfächer für das „Präkariat“, in denen die Menschen einem trostlosen Ende entgegen dämmern.

Dabei hat Darko einen Traum, einen poetischen Traum. Er möchte einmal die Sterne sehen. Das ist ihm nicht vergönnt, denn das permanente Licht, eine anerkannte Form der Umweltverschmutzung, verhindert das. Sein Suizid scheint unausweichlich. Doch dann taucht unverhofft Motte, die „Wohnsiedlungsprostituierte“, im Keller, wo sich Darko gerade die Wäscheleine um den Hals legt, und in seinem Leben auf. Ihr Sehnsuchtsort ist Norwegen, wegen des Blaus des Meeres und des Himmels. Doch als sie es nicht einmal schaffen, gemeinsam in den Zoo zu gelangen, geht alle Hoffnung in Rauch auf: „Ich glaube, Sterne gibt es nur im Märchen“. Das Fazit von Motte.

Nis-Momme Stockmanns kleines, aber aufregendes Drama, das 2010 seine Uraufführung feierte, benennt eine Situation, die in der Reflexion der Gesellschaft kaum oder nur am Rande stattfindet. Der Text liefert auch keine schlüssige Analyse über das Phänomen Armut und soziale Verwahrlosung in der viertstärksten Volkswirtschaft der Welt oder gar Auswege. Doch es klagt unmissverständlich an, nämlich die, die der Armut gegenüber stehen. Und so wendet sich Darko an das Publikum und schleudert ihm seinen Frust entgegen. Sinngemäß: „Ihr braucht uns, damit ihr euch reich fühlt!“ Das trifft ins Mark, wenngleich der Text alle erdenklichen Klischees bedient und hart an den Sandbänken des Sozialkitschs segelt. Doch wo und wann spüren wir eigentlich noch den Kloß im Hals angesichts des Elends einer wahrlich nicht unerheblichen Menge an Mitmenschen? Insofern macht das Stück sehr wohl Sinn.

  Das blaue blaue Meer  
 

Mauricio Hölzemann, Lavinia Nowak, Jonathan Müller

© Gabriela Neeb

 

Regisseur Philip Klose richtete das Drama auf der kleinen Bühne des Volkstheaters ein und dabei ging er sehr ambitioniert zu Werke. Elisabeth Pletzers Bühne, sie zeichnete auch für die Kostüme verantwortlich, versinnbildlichte mit einem durchsichtigen, geschlossenen Raum die Gefangenschaft sowohl im Sozialbaughetto, als auch in der sozialen Situation von Armut. Im Innern hingen in durchsichtigen Kleidersäcken Artefakte von anderen, früheren Bewohnern, die ihren Weg bereits bis zum bitteren Ende gegangen waren. Diese Sachen glichen den Kostümen der agierenden Figuren, fleischfarben, durchsichtig, vernarbt. Sie suggerierten Entblößung - in den Kleidersäcken, auf makabere Weise die Häute der verblichenen Mitbewohner.

Philip Klose inszenierte eine Offenlegung. Die Akteure Jonathan Müller, Mauricio Hölzemann und Lavinia Nowak verschoben die Wände so lange, bis der Raum am Ende endlich einsehbar war. Desgleichen wurde viel mit den Kleiderbeuteln veranstaltet, die dem Erinnern dienten, aber auch als Konservierung des Nachlasses. Zum Beispiel des Nachlasses von Ulrike, der Schwester des physisch verunstalteten Freundes Darkos, sensibel und zurückhaltend gespielt von Mauricio Hölzemann, die sich vor aller Augen vom Dach gestürzt hatte.

Jonathan Müller spielte den Darko mit viel Energie, der immer wieder an die unsichtbaren Wände seiner begrenzten Existenz prallte, was ihn immer wieder in Richtung Suizid drängte. Die aufkeimende Liebe, er konnte dieses Gefühl selbst lange nicht einordnen, gestaltete Müller mit außerordentlicher, geradezu vibrierender Zartheit, die so ganz im Gegensatz zum letzten großen Zorn stand, mit der er die Welt (das Publikum) herausforderte. Lavinia Nowak gab genau die Motte, die das Spiel von Jonathan Müller so glaubhaft machte.

Es war eine wunderbare Ensembleleistung, die das kleine Kammerspiel mit großer Intensität beseelt haben könnte, wären das nicht die zum Teil ablenkenden Handhabungen der Kleidersäcke und ihrer Inhalte oder das permanente Verschieben der Wandelemente aus PVC-Trapezplatten. Vieles, ob deutlich motiviert oder nicht, lenkte vom wuchtigen und eindringlichen Text ab. Aufgefüllt mit scheinbar unendlich vielen, vorgeblich bedeutungsschwangeren Handlungen und Gängen wurde die Zeit gestreckt und so fühlte sich die eine und eine viertel Stunde dauernde Vorstellung deutlich länger an. Hier wäre weniger deutlich mehr gewesen. Dennoch war es, vor allem durch das intensive und konzentrierte Spiel der Darsteller, eine berührende Inszenierung, deren Inhalt bedrückend aktuell ist und darum auch auf die Bühne gehört.

Wolf Banitzki

 


Das blaue blaue Meer

von Nis-Momme Stockmann

Jonathan Müller, Mauricio Hölzemann, Lavinia Nowak

Regie: Philip Klose

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