Volkstheater  Kurze Interviews mit fiesen Männern nach David Foster Wallace

 

Formel Eins auf dem Parcours der Sexualität

Galt der Mann über Jahrhunderte als das starke, die Welt und ihren Lauf voran bringende Geschlecht, fern jeder Kritikwürdigkeit, ist er heute Gegenstand einer erbarmungslosen Vivisektion. Das Ergebnis: Das heutige Männerbild ist ein entsetzliches. Der Mann ist vornehmlich ein egoistisches, aufgeblasenes, schwanzgesteuertes Subjekt, das die Frauen über Jahrtausende ausgenutzt, unterdrückt und missbraucht hat. Zumindest fühlt es sich momentan so an, wenn man sich in den Medien, auch in den sozialen Medien umschaut.

Tatsache ist, diese Ansicht verfehlt die Wahrheit nicht unbedingt. Der einzige Einwand dagegen: Man sollte nicht pauschalisieren. #Me too ist ohne Frage eine überfällige Bewegung, zumal der Mann, wie die momentanen Zustände gerade in der Politik und in der Wirtschaft zeigen, unbedingt unter eine vernünftige Kontrolle gebracht werden sollte. Und Frauen haben sich in der Geschichte durchaus als die besseren Zuchtmeister erwiesen. Doch auch hier sollte nicht pauschalisiert und darauf hingewiesen werden, dass eine Apartheid nicht selten durch die gegenteilige Apartheid abgelöst wurde. Es gibt auch eine Geschlechterapartheid! In aller Demut sei angemerkt, dass Frauen auch nur Menschen sind und da sollte genau darauf geschaut werden, ob es bei Gerechtigkeit bleibt oder nicht auch so manches Femegericht abgehalten wird. Dabei wären vor allem weniger Emotionen hilfreich.

Beinahe zwanzig Jahre ist es nun her, dass der virtuose Sprachgestalter David Foster Wallace seinen Erzählband „Brief Interviews with Hideous Men“ herausbrachte. Als sich Wallace im September 2008 in seinem Wohnhaus das Leben nahm, lagen zwei Jahrzehnte Depressionen und Drogen hinter ihm, aber auch ein literarisches Werk, das ihn in die erste Liga der amerikanischen Literatur beförderte. Seine zum Teil sehr komplexen Werke kreisen häufig um Protagonisten, die sich in Identitätskrisen befinden, die von einer quälenden Sehnsucht nach Dazugehörigkeit und Kommunikation getrieben sind. Dabei gelang Wallace die Verquickung von authentischer Sprache und enormen Wissensinhalten, die seine Hochbegabung in vielen Bereichen des Denkens widerspiegelten. In „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ geht es vornehmlich um das Verhältnis der „fiesen Männer“ zum anderen Geschlecht und zur eigenen Sexualität. Ein wesentlicher Aspekt dabei sind Versagensängste, nicht zuletzt resultierend aus der Unwissenheit, „was Frau eigentlich will“.

  Kurze Interviews mit fiesen  
 

Silas Breiding, Jonathan Müller, Jakob Immervoll

© Gabriela Neeb

 

In der von Abdullah Kenan Karaca auf der kleinen Bühne des Volkstheaters eingerichteten Inszenierung reflektieren drei junge Männer, die sich in einem vertrauten, kumpelhaften Verhältnis befinden, überwiegend ihre Gedanken, Ideen und auch Neurosen und Veranlagungen zum Thema Sexualität. In einem schmalen, langen Terrarium aus Gitterrosten am Boden, Gazewänden und marmorierten, flachen Decken (Bühne: Vincent Mesnaritsch) vergnügten sie sich mit männlichen Ritualen, die hauptsächlich darin bestanden, dem jeweils anderem Schmerzen im Genitalbereich oder an den Brustwarzen zuzufügen. Es sind infantile, grobe Späße, kindlichen Männerhirnen entsprungen. Da es sich bei der Vorlage nicht um ein dramatisches Werk handelt, gab es weder einen Plot, noch einen Handlungsfaden. Wichtigste Elemente der Aufführung waren drei bekenntnishafte Monologe, die es allerdings in sich hatten.

Der erste wurde gehalten von Silas Breiding. Er beinhaltete eine Masturbationsfantasie, die sich bei genauerer Betrachtung als physikalisch unlogisch erwies, da sie das Raum-Zeit-Kontinuum aushebelte. Die von Breiding dargestellte Figur sah sich gezwungen, seine Überlegungen und Berechnungen bis an den Rand des Universums auszudehnen, eine Arbeit, die ihm letztlich keinen Raum mehr für die Masturbation bot. Diese Szene gab Einblicke in die vielfachen Begabungen des Autors und seine intellektuelle Entgrenztheit. Breiding machte aus den Ausführungen ein Feuerwerk an Ideen und Rhetorik. Er erinnerte dabei bisweilen an Eddy Murphy oder an ein Maschinengewehrfeuer. Dafür bekam er, zu Recht, Szenenapplaus. (Vorstellung am 20. Dezember)

Den dritten Monolog sprach Jonathan Müller. Müller erzählte eine Geschichte aus der Kindheit seiner Figur, in der dessen Vater sich ihm scheinbar grundlos und schwer nachvollziehbar mit heruntergelassener Hose präsentierte und den Knaben quasi mit seinem Geschlechtsteil konfrontierte oder bedrohte. Dieses Trauma konnte der Knabe, selbst als er bereits erwachsen war und das Elternhaus verlassen hatte, nie überwinden. Einzige Möglichkeit, damit umzugehen war, es zu verdrängen, es auszublenden.

Der zweite Monolog war im Gegensatz zu den beiden anderen, die durchaus auch komische Züge aufwiesen, extrem bedrückend. Darin wurde über die Folgen einer Massenvergewaltigung nachgedacht und es wurden tatsächlich Ansätze gefunden, dass ein solches grausames und lebensbedrohliches Erlebnis eine bemerkenswerte und interessante Kehrseite hatte, nämlich eine existenzielle Erfahrung der extremsten Art, bei der man überlebt hatte. Damit verfügte das Opfer über einzigartiges Wissen. Jakob Immervoll transportierte diese perverse Idee mit einer hintergründigen Erregung, die das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Dieser Monolog war der Höhepunkt eines Theaterabends, von dem man im Grunde gar nicht recht wusste, was es sollte, noch, wohin er führen wollte. Es war wie ein Formel-Eins-Rennen auf dem Parcours der Sexualität. Es ging Runde um Runde immer nur im Kreis herum. Die Darsteller spielten mit äußerstem physischem Engagement und über weite Strecken waren die einhundert Minuten absolut sehenswert und mitreißend. Regisseur Karaca gelang eine adäquate Umsetzung der Gedanken und Ideen von Wallace, in denen es menschlich, zutiefst menschlich zuging und die durchaus von Aktualität zeugten.

Allein, es blieb, obgleich ästhetisch, wie auch darstellerisch gute Kunst gemacht wurde, ein Abend ohne Ausgang. Es sei denn, man begriff den Mann als ewigen Mann, unveränderlich, naturdominiert und seinen Obsessionen folgend. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass moralische Werte anerzogene oder erlernte Werte sind. Es scheint allerdings kein gültiges Regelwerk mehr zu geben, wenn ein Satz hingenommen wird, der wie folgt lautet: Nein heißt nicht ja, aber auch nicht nein.

Wir befinden uns zurzeit in einer Diskussionskultur, die nur ein Ziel zu kennen scheint, sich nur nicht festlegen müssen! Der Diskurs ist nicht das Mittel der Erkenntnis, sondern das eigentliche Ziel. Intellektuelle und argumentative Eloquenz ersetzen als neue und hippe Tugend Haltungen und konkrete Weltanschauungen. Ungeachtet dessen ist natürlich die Inszenierung am Volkstheater unbedingt aus mindestens zweierlei Gründen sehenswert: Zum einen wegen des ausgezeichneten Schauspiels der drei Darsteller, zum anderen wegen einiger Facetten männlicher Existenz, die abstoßen und anziehen zugleich und die mancher Zuschauer in dieser Form möglicherweise noch nicht kennt. So ist er nun mal, der Mann und nicht umsonst gibt es den Witz: Als Gott den Mann schuf, hat Sie nur geprobt!

Wolf Banitzki

 


Kurze Interviews mit fiesen Männern

nach David Foster Wallace

Mit: Silas Breiding, Jakob Immervoll, Jonathan Müller

Regie: Abdullah Kenan Karaca