Volkstheater Herakles nach Texten von Frank Wedekind, Euripides und Gustav Schwab


 

Mythologische Kneipp-Kur

Bei dem Namen Amphytrion denkt man beinahe automatisch an die häufig gespielte Tragikomödie von Heinrich von Kleist. Darin geht es um einen unwissentlichen Ehebruch, denn Alkmene erwartete ihren Ehemann Amphytrion (der Name bedeutet „der doppelt Geplagte“), der aus dem Krieg heimkehren sollte. Eine Nacht vor seiner Ankunft erschien der Alkmene der Göttervater Zeus in der Gestalt ihres Gatten Amphytrion. (Bei Kleist ist der göttliche Ehebrecher Jupiter, da Kleist die Molièresche Fassung als Vorlage nahm, der wiederum den römischen Mythos zu Grunde gelegt hatte.)
In dieser Nacht wurde Herakles gezeugt. Doch er kam nicht allein zur Welt, denn er hatte einen Zwillingsbruder Iphikles, dessen Vater Amphytrion war oder gewesen sein soll. Also die Theorie vom „doppelten Sprung“ ist zwar wissenschaftlich widerlegt, doch wenn der Göttervater persönlich gesprungen ist, können wir die Gynäkologie getrost außen vor lassen. Hera, die ewig intrigierende, von Eifersucht zerfressene Ehefrau des Oberhauptes des Olymps, es könnte sein, dass Hera die weibliche Form von Heros ist, was ihre permanente Einmischung und Anmaßung ein stückweit erklären würde, legte den Zwillingen zwei Schlangen ins Bett, um herauszufinden, welcher Spross den Lenden des Zeus entsprungen ist. Während Iphikles sich schleunigst aus dem Staube machte, packte Herakles beherzt zu und erwürgte die Schlangen. Der Vaterschaftstest war aufschlussreich. Amphytrion indes war beiden ein guter Vater.

Zeus hatte sich bei der Zeugung tüchtig ins Zeug gelegt und der Knabe entwickelte naturgemäß übermenschliche Kräfte. Weniger gut war es um seine intellektuellen Fähigkeiten und seine Selbstbeherrschung bestellt. Da kam schon mal ein Lehrer zu Tode, weil er den Zorn des Knaben erregt hatte. So sehr sich der kleine Depp auch bemühte, seine Chancen standen schlecht, denn er hatte eine mächtige Feindin: Hera, sie verfolgte ihn beständig mit Hass, wie übrigens viele (uneheliche) Sprösslinge ihres Gatten. So wuchs der kleine Depp zu einem großen Deppen heran, der folgsam tat, was ihm geheißen wurde.

Schließlich musste er einen Großteil der Drecksarbeit (auch Heldentaten genannt, denn meist kam irgendwer oder irgendwas zu Tode oder wurde gestohlen) in der griechischen Sagenwelt verrichten. Als er seine Arbeiten oder Tötungen verrichtet hatte, die Aufträge hatte er von Eurystheus, König von Mykene und Tiryns erhalten, zu dessen Untertan man ihn gemacht hatte, meldete er seinerseits Anspruch auf den Thron an. Als Dank dafür schlug ihn Hera mit temporärem Wahnsinn und er im Wahn seine Frau und seine drei Kinder tot. Wieder halbwegs bei Sinnen, folgte er dem Rat, das Orakel von Delphi zu befragen, wie er seine Schuld wohl sühnen könnte. Das Orakel orakelte: Nur durch vermehrte Arbeit könne er sühnen. (Der Spruch hätte auch von einem Parteisekretär der SED stammen können.)

Irgendwann war Herakles endgültig durch mit der Welt und seinen Ansprüchen. Er bestieg einen Scheiterhaufen und verbrannte sich. Als der Vater die Asche nach Resten des Sohnes durchsuchte, um diese zu bestatten, grub er vergeblich. Herakles war aufgestiegen in die Welt der Götter, war nun selbst Gott geworden. Das klingt zwar alles recht traurig, war es aber nicht, denn die antiken Barden hörten nicht auf, ihre Fäden zu spinnen und so legte sich Herakles in seinem nächsten Leben sogar mit seinem Vater Zeus an, befreite beispielsweise den Renegaten Prometheus vom Felsen des Kaukasus. Dabei haute der Held gehörig auf dem Putz.

  Herakles  
 

Mauricio Hölzemann, Carolin Hartmann, Jakob Geßner, Luise Deborah Daberkow

© Arno Declair

 

Simon Solberg tat dasselbe und brachte eine rasante und laute Inszenierung des im Stile des Brutalismus gestrickten Mythos‘ auf die Bühne des Volkstheaters. Selbige war gänzlich mit Wasser geflutet und sämtliche Bühnenbildelemente und Requisiten bestanden aus zusammenfaltbaren Schläuchen unterschiedlichster Durchmesser. Der Einfall von Simon Solberg, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnete, war grandios. Die Schläuche ermöglichten jede nur denkbare Darstellung, angefangen von antiken Säulen, die in den Bühnenhimmel ragten, über Wohnräume, Kleidung, Frisuren bis hin zu den Hälsen der neunköpfigen Hydra, die Herakles zerschmetterte. Selbst ein Korb mit den gestohlenen goldenen Äpfeln der Hesperiden war glaubhaft dargestellt.

Solbergs Protagonisten liefen auch in dieser Inszenierung auf Hochtouren und so war Slapstick fixer Bestandteil der Ästhetik. Doch störte es nicht, war doch alles eitle Beiwerk außen vor geblieben. Daher fiel es nicht schwer sich auf die Komik, die durchgängig über die Körperlichkeit erzeugt wurde, einzulassen, denn sie diente der Geschichte und nicht der Selbstdarstellung. Und die Geschichte war die eines schlichtgestrickten, aber durchaus gutherzigen Mannes, dessen Manko darin bestand, seine übermäßigen physischen Kräfte nicht unter Kontrolle zu haben, was auch daran lag, dass andere diese Kontrolle übernommen hatten und ihn (fern-)steuerten. Max Wagner ließ einen Herakles erstehen, der sowohl physisch, als auch in der Darstellung der Psyche überzeugte. Wagners Bubenhaftigkeit erzeugte ein ständiges Understatement. Sein Kostüm unterstrich dies (Kostüme: Katja Strohschneider), denn er war in seinem Feinrippunterhemd mit nichtssagender Hose und Hosenträgern alles andere als stylisch oder gar körperbetont gekleidet. Bisweilen erinnerte er an Matt Damon, Aschenputtel aus Dynamit. Sein Gegenspieler Eurystheus, mit vollem Körpereinsatz und bisweilen saukomisch von Jakob Geßner gespielt, war der krasse Gegensatz. Sein Kostüm verwandelte ihn komplett in das, was die Rolle verlangte, in einen physischen und moralischen Cretin. Thomas Eisens Amphitryon war ein Mann des großen Gefühls, insbesondere für seinen Sohn. Er ging in jede Bresche, um seinem Sohn beizustehen. Sein unbändiger Stolz war in jedem „Das ist mein Sohn …“ unüberhörbar. Aber auch er war letztlich eine komische Nummer, ganz im Sinne von Kleists Tragikomödie: „Der doppelt Geplagte“. Immerhin rührten seine letzten Worte über den vermeintlichen Verbleib seines Sohnes an.

Das von Solberg erzeugte Gefühlsspektrum war beinahe grenzenlos. Er gab seine Figuren der Lächerlichkeit preis und er beschwor ihren guten Kern. Er zeigte die Figuren ohnmächtig im Spannungsfeld der göttlichen Willen (Plural) umher taumeln, stürzen und verzweifelnd um Rettung ringend. Er veranstaltete martialische Schlachtfeste und Momente zärtlichster Liebesbekundungen. Die Beziehung zwischen Herakles und Megara, ein wenig zickig und schrill von Carolin Hartmann verkörpert, war vollkommen natürlich, Eheprobleme aus der Welt von unsereins. Was die Darstellung von Carolin Hartmann betrifft, so sei erwähnt, dass diese antike Figur für die Bezeichnung „Megäre“ Modell gestanden haben könnte. (Es wird aber auch die Ansicht vertreten, Megäre sei von der griechischen mythologischen Rachegöttin Megaira abgeleitet.) Die Iole von Luise Deborah Daberkow brachte an Wuchtbrummigkeit auf die Bühne, was Mauricio Hölzemanns Lichas abging. Dessen Körperlichkeit, er punktete damit schon gewaltig in „Glaube Liebe Hoffnung“, hat etwas von einer Gottesanbeterin. Er weiß mit diesen Pfunden (die ja eigentlichen nicht da sind) gehörig zu wuchern.

Simon Solberg brachte sehr übersichtlich, locker und flockig erzählt und inszeniert einen großen Mythos auf die Bühne, der der Hinterfragung wert ist. Wann immer wir in der Geschichte von Helden sprechen, sind diese zumeist Massenmörder. Herakles ist auch einer und die einzige aber letztlich untaugliche Entschuldigung ist sein schlichter Geist, der von einem anderen fiesen Typ gehörig manipuliert wurde. Allerdings leben wir wieder in einer Zeit, wo Helden heraufbeschworen werden, starke Männer, durchsetzungsfähige, muskelbepackte Kerle, die nicht lange fackeln und es schnell (und nicht schmerzfrei) richten. Übrigens, die Zahl der weiblichen Heldinnen, zumeist mit männlichen Attributen ausgestattet, nimmt rasant zu.

Die Sehnsucht nach Helden in Zeiten der Unsicherheit wird gern als naturgemäß angenommen. Auch darüber sollte einmal nachgedacht werden. Könnte es nicht sein, dass es genau diese Figuren, die vermeintlichen Helden sind, die letztlich die finale Phase der Entwicklung einleiten und alles ins Chaos stürzen? Brecht hat es in seinem „Leben des Galilei“ auf den Punkt gebracht, in dem er den Wissenschaftler sagen lässt: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“ Also werden wir endlich erwachsen oder zumindest klug und belassen wir derartige Helden dort, wo sie hingehören: in Comics.

Wolf Banitzki

 


Herakles

nach Texten von Frank Wedekind, Euripides und Gustav Schwab

Mit: Max Wagner, Jakob Geßner, Thomas Eisen, Carolin Hartmann, Luise Deborah Daberkow, Mauricio Hölzemann

Regie: Simon Solberg