Volkstheater  Die Physiker  von Friedrich Dürrenmatt


 

Bunt, schräg und äußerst unterhaltsam

In einem Schweizer Sanatorium geschehen seltsame Morde. Drei Krankenschwestern werden erdrosselt. Kommissar Richard Voß muss indes nicht ermitteln, denn die Mörder, Pardon, die Täter sind bekannt. Es sind die Insassen des abgeschotteten Flügels des Sanatoriums, allesamt verrückte Physiker. Professor Möbius, soviel ist dem Zuschauer bekannt, ist in diesem Sanatorium untergetaucht, niemand weiß warum. Als Krankenschwester Monika Stettler, die Möbius liebt und der seinerseits diese Liebe mehr oder weniger, zumindest recht zögerlich erwidert, ihn, Möbius, mit der Aussicht überrascht, gemeinsam das Sanatorium zu verlassen, geschieht das Ungeheuerliche. Möbius sei gesund, so Monika, und einer Ehe und einem Leben zu zweit stünde nichts im Wege. Möbius, dessen Aufenthaltsort aufzufliegen droht, sieht sich nun seinerseits gezwungen, wie schon seine beiden Kollegen Newton und Einstein, die ihn betreuende Schwester Monika zu töten. Warum die beiden Kollegen dasselbe mit den ihrigen Betreuerinnen taten, bleibt indes bis zuletzt ein Geheimnis.

Dürrenmatts Drama ist gebaut wie ein Krimi und, da es unter Verrückten und vermeintlich Verrückten spielt, zugleich höchst amüsant. Allerdings sind die Motive für die Morde weder verwirrten Gehirnen entsprungen, noch sind es niedere Beweggründe. Hinter Ihnen verbirgt sich ein Konflikt, in den Wissenschaftler immer wieder geraten sind, wenn ihre Entdeckungen zu revolutionär oder zu gefährlich sind für die unzurechnungsfähige Spezies Mensch, die auch vor Selbstausrottung nicht zurückschreckt. Es geht um Ethik der Wissenschaft und der konkreten Verantwortung der Wissenschaftler. Das Grandiose an Dürrenmatts existenzialistischem Text ist die Situationskomik und der Wortwitz, der nicht selten absurd zu sein scheint, denn, irgendwann beginnen die Konturen zu verschwimmen und es drängt sich bald der Verdacht auf, dass die wahren Irren ganz andere sind als die Patienten mit Diagnose.

Regisseur Abdullah Kenan Karaca betonte in seiner Inszenierung das Komische und das Komödiantische. Von Vincent Mesnaritsch ließ er sich dafür eine Guckkastenbühne entwerfen, die in ihrem Dekor psychedelische Elemente aufwies. Ein großer kreisrunder Durchgang zeigte im Hintergrund einen prallgrünen Garten, der allerdings ebenso steril und künstlich wirkte, wie die Muster auf den gestaffelten Zwischenwänden. Wichtig zu erwähnen wäre, dass durch diese Wände hindurch spioniert werden konnte. Immerhin befand man sich ja in einer Nervenheilanstalt und da brauchte es schon den „Big Brother“. Der war in diesem Fall eine „Big Sister“ und wurde von Carolin Hartmann gespielt. Als Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd war sie die Besitzerin und Betreiberin des Sanatoriums. Nun steht ja gemeinhin der Verdacht im Raum, dass Psychiater den Beruf wählen, um ihre eigenen Defekte zu verstehen und zu verbergen. Auch Friedrich Dürrenmatt ließ sich wohl von der weit verbreiteten Vorstellung leiten, als er diese Figur entwarf. Carolin Hartmann spielte ihre Rolle genau so.

Die Physiker VT

Carolin Hartmann

© Arno Declair

Pascal Fligg bestritt den Part des Kommissars Richard Voß. Er tat das zunehmend genervt, denn im Grunde war seine Aufgabe, Verbrechen zu bekämpfen, zu einer Farce verkommen. Die Täter und die Opfer standen fest, allein die Täter waren keine Mörder, da sie ja unzurechnungsfähig und folglich nicht zu belangen waren. Einzig sein Drängen auf Ersetzung der Schwestern durch männliches Pflegepersonal wurde erhört, jedoch zu spät. Dabei ist nicht gewiss, ob es einen Effekt gehabt hätte, denn die Schwestern waren sämtlich geschult in Kampfsportarten. Richard Voss war am Ende vollkommen desillusioniert, an diesem Ort irgendetwas Sinnvolles verrichten zu können. (Er hat jedoch seinen Beruf darum nicht aufgegeben, sondern ermittelt jetzt im Deutschen Fernsehen als „Der Alte“ – So viel Klatsch und Tratsch muss sein!)

Mauricio Hölzemann spielte die Rolle des Isaac Newton, hieß aber eigentlich Herbert Georg Beutler und war wie Ernst Heinrich Ernesti, der vorgab Einstein zu sein, renommierter Physiker. Vincent Sauer spielte den Einstein. Beide agierten wie Zwillingswesen, zum Verwechseln ähnlich. Der Grund dafür ergab sich aus den Aufgaben, die beide hatten. Die waren inhaltlich vollkommen identisch, bis auf die Auftraggeber. Der einzige, der menschliches Verhalten an den Tag legt, war Johann Wilhelm Möbius. Immerhin war er, wie man schnell begriff, nicht wirklich verrückt und so gab Jakob Immervoll einen selbstquälerischen, gehetzten Menschen, der verzweifelt reagierte und letztlich tötete, nämlich die Schwester Monika Stettler, die recht resolut und proper vorlaut von Luise Deborah Daberkow gestaltet wurde.

Dass man all das nicht sonderlich ernst nehmen konnte, lag auf der Hand und so inszenierte Abdullah Kenan Karaca das Stück mit bester handwerklicher Kompetenz als unterhaltsame Komödie. Schon die fantastischen Kostüme von Elke Gattinger katapultierten den Zuschauer in eine fiktive Welt, in der alles, was jenseits der Wahrheit lag, möglich zu sein schien. Höchst absurde Szenen wurden rasant abgespult und die Darsteller fanden sich liebend gern hinein in ihre absonderlichen Figuren, von denen zumindest kaum eine normal zu sein schien. Große, fantastische Bilder entstanden und begeisterten und unterhielten über 90 Minuten hinweg großartig.

In den letzten Minuten wurden dann schließlich alle Geheimnisse gelüftet und man sah sich, auch angesichts der realen neuen atomaren Aufrüstung, einem großen philosophischen und moralischen Problem gegenüber gestellt. Hier wurde klar, dass es um mehr, als nur um Unterhaltung ging und hier bekam die Inszenierung einen leichten Knick, denn die Figuren die eben noch äußerlich auf so wahnsinnige Weise agiert hatten, plädierten nun innerlich für Pragmatismus und im Fall Möbius auf Vernunft. Doch alles war vergeblich, denn wenn der Teufel würfelt, gibt es nur einen Gewinner.

So unterhaltsam die Inszenierung war, der Spaß daran machte ein Umschalten auf die rationale Rezeption der Botschaft deutlich schwieriger. Aber, da wir getrost davon ausgehen können, dass der heutige Theatergänger zugleich Bildungsbürger und sowohl philosophisch, politisch, wie auch moralisch gefestigt ist und daher keiner Belehrung bedarf, können wir uns bedenkenlos dem ästhetischen Genuss hingeben und ihn auch empfehlen.

Wolf Banitzki


Die Physiker

von Friedrich Dürrenmatt

Mit: Carolin Hartmann, Luise Deborah Daberkow, Mauricio Hölzemann, Vincent Sauer, Jakob Immervoll, Pascal Fligg

Regie: Abdullah Kenan Karaca