Volkstheater Richard III von W. Shakespeare




Mehr Politkrimi als Historiendrama

Ohne Frage ist der Gloster, später "Richard III.", in Shakespeares gleichnamigem Drama ein Traum für jeden anspruchsvollen Darsteller. Das ist auch ein Grund, warum sich das Stück als einziges der "Königsdramen" in deutschen Spielplänen fest etabliert hat. Die Gestalt Richards ist vergleichbar mit der des Mephisto oder, um bei Shakespeare zu bleiben, mit der des Jago, nur ist Gloster effizienter in seinem Treiben. Erfolg für Richard bedeutet immer zugleich den Tod eines anderen Menschen. Er scheut weder vor Frauen noch vor Kindern zurück. Der historische Richard, die Geschichte spielt zwischen 1471 bis 1485, war übrigens viel harmloser als der des William Shakespeare.

König Eduard IV. ist siech. Ein Machtwechsel steht an. Richard ist jedoch weit abgeschlagen in der genealogischen Hierarchie, um berechtigte Ansprüche auf den Thron anzumelden. Dennoch ist er gewillt, ihn sich anzueignen. Es ist dabei gar nicht so sehr Machtgier, die ihn treibt. Vielmehr findet er Vergnügen daran, der Welt seinen Stempel aufzudrücken. Es ist der Stempel eines von der Natur Verhöhnten, eines Krüppels. Ohne Umschweife legt er schon in der ersten Szene des Dramas seinen Plan offen: "Ich, roh geprägt, entblößt von Liebesmajestät, / (…) / Ich, um dies schöne Ebenmaß verkürzt, / Von der Natur um Bildung falsch betrogen, (…) / Bin ich gewillt, ein Bösewicht zu werden (…)."

 

Nico Holonics

© Arno Declair


Zu allen Zeiten übte die schauerliche Größe der Figur Richards gleichwohl auf Theaterleute wie Zuschauer einen großen Reiz aus. Richard ist lustvoll und mit Hingabe der Bösewicht, wobei seine physischen Defekte allein längst nicht seinen Charakter erklären können. Er ist außergewöhnlich intelligent, mutig und angeödet vom Mittelmaß, das ihn umgibt. So entfesselt er einen Reigen von Morden, die er sprachgewaltig einfädelt und begehen lässt. Willfährige Diener findet er stets, denn er weiß sie alle zu lenken und zu leiten. Richard stellt sein Genie und seine perversen Lüste in den Dienst seiner Herrschsucht. Am Ende geht er mit klarem Verstand und aufrechten Hauptes auf dem Schlachtfeld in den Tod.

"Hanebüchen einfach: ein heuchlerischer Metzger", urteilte Alfred Kerr. Lessing hingegen hatte den Richard im Menschen an sich entdeckt: "Richard ist ein abscheulicher Bösewicht: aber auch die Beschäftigung unsers Abscheues ist nicht ganz ohne Vergnügen; besonders in der Nachahmung."

Das Drama ist eine Herausforderung für jeden Regisseur und so war es sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis Christian Stückl sich diesen Wunsch erfüllte. Er ging nicht zimperlich mit dem Drama um. Als Vorlage diente ihm die Übersetzung von August Wilhelm Schlegel, aus der oben bereits zitiert wurde. Die Romantiker heran zu ziehen scheint heute wenig opportun, denn die Sprache ist überaus anspruchsvoll. Christian Stückl peppte sie denn auch mit einigen alltagsprachlichen Einsprengseln auf, was der Inszenierung Schwung verlieh, gelegentlich aber mit Passagen rein Schlegelscher Texte kollidierte (z.B. wenn Ursula Burkhart als Elisabeth agierte). Der Spielhaltung von Nico Holonics (Richard) kamen die Laxheiten entgegen und die waren nicht selten Mittel zur Definition der Rolle als eine verachtungsvolle und zynische. Er gab einen Beau, einen exaltierten, schmeichlerischen, aber auch messerscharfen Charakter, dem allerdings etwas ganz Wesentliches fehlte: Hässlichkeit. Zwar versuchte er die Hässlichkeit in ein, zwei Szenen zu erspielen, doch wurden diese Passagen nur über den Kopf wahrgenommen. Er blieb ein gut aussehender junger Mann, alles andere also, als der Gloster bei Shakespeare. Das nahm der Rolle die vielleicht wichtigste Facette, nämlich das Diabolische. Man muss sich einmal vorstellen, dass ein Mann, ein Mörder, dem wegen seiner Hässlichkeit die Hunde hinterher bellen, während des Leichenzugs die Frau betört, die er gerade zur Witwe gemacht hat. Einem schönen Mann kauft man das vielleicht noch ab, wenn die Frau hinreichend stupid ist. Für einen Krüppel ist das ein Geniestreich. Man vergleiche mit der unvergesslichen Szene aus dem Film "Richard III." aus dem Jahr 1995 (Regie: Richard Loncraine) mit Ian McKellen in der Hauptrolle.

Ungeachtet dessen ist Nico Holonics eine beachtliche Leistung auf der Bühne des Volkstheaters gelungen. Bedauerlich sind allerdings die Abweichungen vom Shakespeareschen Drama, die da waren: der finale Wahnsinn Richards und sein Tod. Schon der berühmt gewordene Satz: "Mein Königreich für ein Pferd.", hat in Stückls Inszenierung den Unterton des in dem eigenen Wahnsinn Resignierenden. Wenn Richard noch nicht abtreten will, dann nicht wegen der Angst vor dem Tode oder dem Untergang, sondern aus Gründen der Inakzeptanz des Verlierens. Er ist ein konsequenter Spieler, der Tod und Teufel nicht fürchtet. An Stelle des exzessiven Aufbegehrens, des Schreiens, Kreischens und fluchtartigen Herumtobens von Nico Holonics im Volkstheater sind die letzten Sätze Richards in Shakespeares Drama: "Ich setz' auf einen Wurf mein Leben, Knecht, / Und will der Würfel Ungefähr bestehn."
Und schließlich kommt Richmond noch zu Wort, der eine historische Zäsur setzt. Er beendet die Rosenkriege, ein herausragendes historisches Ereignis. Christian Stückl lässt Richard auch nicht durch die Hand Richmonds fallen, wie im Stück, sondern durch Gatesby, den Knecht und bedingungslosen Gefolgsmann Richards. Wenn das die Rache des kleinen Mannes war, dem seine Schandtaten nicht entlohnt wurden, war es ein schwacher Abgang für Richard.

Stückl hat mit lockerer Hand inszeniert und einen leicht anzuschauenden "Richard III" geschaffen. Junge Leute versetzten allerdings eher aufgepfropfte Szenen, wie das Verspeisen des Hirns eines getöteten Widersachers in Begeisterung. Vermutlich waren viele Zuschauer dem Regisseur zusätzlich dankbar, dass er, wahrscheinlich in Zusammenarbeit mit Dramaturgin Christine Böhm, die Personage allein der tragenden Rollen halbierte und folglich auch die Handlung übersichtlicher gestaltete.

Die schauspielerischen Leistungen waren leider sehr unterschiedlich. Neben dem bereits erwähnten Nico Holonics stachen besonders Stefan Murr (Herzog von Buckingham), Axel Röhrle (Lord Stanley), Ursula Burkhart (Elisabeth) und Ilona Grandke (Margarete) heraus. Stark differierend zu den Angeboten der oben genannten war hingegen die Darstellung Thomas Kylaus als John Morton. Dass dieser Mann einen Bischof vorstellen sollte, konnte man kaum glauben. Er war maximal eine Persiflage auf einen Bischof und somit ziemlich deplaziert in diesem blutrünstigen Reigen. Wenig überzeugend war auch die Darstellung des Gatesby durch Justin Mühlenhardt, der ausdauernd an Wänden lehnte und dessen Umgang mit den S-Lauten keine künstlerische Ebene erlange konnte. Xenia Tillig zahlte einen hohen Preis für die Verkürzung des Textes. Sie konnte ihrer Lady Anne gerade ein paar Posen verleihen. Für eine Entwicklung der Figur blieb zu wenig Raum.

Ein echtes Highlight der Inszenierung war das visuell beeindruckende Bühnenbild von Alu Walter. Ein anthrazitfarbener Raum im Vordergrund suggerierte die Düsternis englischer Intrigen und Politik. Eine Schiebetür im Hintergrund ermöglichte den Ausstieg und den Ausblick in die grüne Landschaft. Einfach aber eindrucksvoll die Sicht ins Land, die durch eine weitschwingende Schaukel lebendig wurde. Die grüne Idylle verschwand im zweiten Teil, der den Untergang beschrieb. An ihre Stelle trat verbrannte Erde.

Unterm Strich muss man leider sagen, dass Regisseur Christian Stückl zwar eine zeitgemäße Inszenierung des Shakespearedramas hinbekam, der Dimension der dramatischen Vorlage allerdings nicht unbedingt gerecht wurde. Es war mehr Politkrimi als Historiendrama.


Wolf Banitzki

 

 


Richard III

von W. Shakespeare

Christoph Baumann, Ursula Maria Burkhart, Ilona Grandke, Nico Holonics, Thomas Kylau, Stefan Murr, Justin Mühlenhardt, Axel Röhrle, Robin Sondermann , Xenia Tiling, u. a.

Regie: Christian Stückl