Volkstheater wohnen. unter glas von Ewald Palmetshofer




Irrläufer

Die gesellschaftlichen Maßstäbe für die Menschen in der Zeit haben sich geändert. Bot sich den Menschen früher durch starke emotionale sowie geistige Verbindungen Rückhalt und Bezug, so wird in der modernen Gesellschaft die Eigenständigkeit propagiert, in der jeder sich selbst der Nächste und damit auch der Einzige ist. Daraus folgt Vereinzelung, nicht die vermeintlich als Ziel gepriesene Individualität im Sinne von Besonderheit. Dabei ist es doch gerade diese Besonderheit, nach der der Mensch strebt. Flochten sich in der Vergangenheit Freundschaften über die Jahre durch ein ganzes Leben, bereicherten es auf verschiedenste Weise und beförderten so den Vertrauten als einmalig, so stehen diese im Heute ständig unter dem Vorzeichen Trennung. "Für jeden kommt die Kreuzung an der er sich entscheidet. Abbiegt weitergeht. Und du hältst ihn nicht auf ...", lässt Ewald Palmetshofer seinen Protagonisten Max feststellen. Lebensabschnittsgemeinschaft heißt das Prinzip, das vielfach die Stelle der Freundschaft eingenommen hat. Schon der Begriff drückt Funktionalität aus, die ebenso wie Leistung und Erfolg zu den aktuellen anerkannten Gradmessern gehört. Auch Sexualität wird unter dem Aspekt Leistung und Höhepunkt im Dasein bewertet und für Max war der Gipfel in seinem bisherigen Leben die Nacht mit Jeani.

 


Stephanie Schadeweg, Barbara Romaner, Friedrich Mücke

© Arno Declair


Ewald Palmetshofer, Jahrgang 1978, wirft einen scharfen Blick auf seine Generation und setzt sich mit ihrem Beziehungsverhalten auseinander. Er tut dies unter psychologischem Aspekt und schuf dazu in seinem Stück eine Laborsituation. "Es geht hier um den Verlust ideologischer Freundschaften, oder dessen, was man einmal für ideologisch hielt. Die Hirne und Körper vollziehen nach, was es heißt, in einer gänzlich postideologischen Zeit angekommen zu sein. ...", so der Autor zu seinem Werk.

Drei Menschen kommen nach Jahren wieder zusammen. Jeani initiierte das Treffen mit Babsi und Max. Die Begegnungen beschränken sich auf Allgemeines und lassen ansatzweise die Anknüpfungspunkte zwischen den Figuren erkennen. Deren Leben, sowohl Gegenwart wie Vergangenheit, bleiben im Dunkeln. Dafür resümieren die Drei, jeder für sich im Kopf, und erklären egozentrisch ihre Standpunkte. Aufgeworfen wird: "Es ist alles da! Warum geht es nicht?" Doch es gibt keine Annäherung an den anderen, keine Lösung "unter Glas". Jeder geht am Ende wieder seiner Wege, wie er gekommen war. Das Ringen um einen Orgasmus, die tiefe Begegnung, bleibt ohne Erfolg. Onanie in unterschiedlicher Form bestimmt weiterhin die Schicksale. Das gilt auch für Jeani, die sich den "Luxus gönnt, für jemand Platz in ihrem Leben" gemacht zu haben.

Es war eine Inszenierung, die den Nerv des Publikums traf, bezog doch Max auch Zuschauer in seine Reflexionen ein, verwickelte sie in Gespräche und bisweilen waren aus der Schwärze des Raums auch tiefe Seufzer des Erkennens zu vernehmen. Regisseur Frank Abt vertraute in der Inszenierung zu Recht auf die Dichte des Textes und auf die Kraft der Darsteller. Friedrich Mücke gab brillant einen entwurzelten Max, dem der "rechte Biss" im Leben fehlte und der selbst die kleinsten Spitzen als Höhepunkte auszumachen suchte. Jeani, selbstbewusst modern dargestellt von Barbara Romaner, verstand es geschickt, ihre Rolle stets in den Mittelpunkt zu stellen. Während Stephanie Schadeweg überzeugend eine um Ausgleich bemühte Babsi auf die Bühne brachte, die doch letztlich nie über die gutmütige Kameradin zum Kuscheln hinauskam.

Die Bühne von Anne Ehrlich, die Gaststube einer Hütte in den Bergen, spiegelte deutlich einen natur- und heimatverbundenen, konventionellen Hintergrund wieder. Die Projektion der gemeinsamen, in ausgelassener Stimmung stattfindenden Besteigung eines schneebedeckten Berggipfels bildete den Abschluss des Treffens. ... Heimat und Natur als die verbindenden Elemente? ... das wäre dann doch eine zu simple Botschaft.

Es ist eine resignierende Bilanz, die hier auf die Bühne kam, denn das Leben ist so sehr viel mehr als ideologische Reflexion und persönliche Befindlichkeit. Doch es hat keine Chance im Versuch "unter Glas" und um dies zu erkennen, täte gelegentlich mehr als ein Blick zurück Not, einer der über den ideologischen Horizont hinaus geht. "Die Gegenwart ist nur ein kleines rennendes Lichtlein, das flackert: wahre Erhellung aber kommt stets aus dem Vergangenen.", so Heimito v. Doderer.

Werk und Inszenierung führten symptomatisch vor Augen, wo der von verbindenden Gefühlen befreite Mensch in dieser Zeit steht - sind schon allein deshalb für Liebhaber psychologischer Stücke empfehlenswert.



C.M.Meier

 

 


wohnen. unter glas

von Ewald Palmetshofer

Stephanie Schadeweg, Barbara Romaner, Friedrich Mücke

Regie: Frank Abt