Volkstheater Verbrennungen von Wajdi Mouawad




Die Welt - ein Dorf und Krieg darin

"Der Libanesische Bürgerkrieg wurde mit besonderer Härte und Ausdauer geführt. In den 15 Jahren forderte er 170.000 Tote, 300.000 Verwundete, 20.000 Vermisste und 800.000 Vertriebene. (Zitat Programmheft zu "Verbrennungen" von Wajdi Mouawad)

Ein müder Mann schlurft durch die brandigen Mauern des Libanons und erzählt, was dieser Krieg war: eine schier unzerreißbare Kette von kausalen Gliedern, die so fest ineinander greifen, dass sich Generationen daran blutige Leiber schlagen können. Hatte die Geschichte einen Anfang? Gewiss, doch was der Anfang war, vermag mit Sicherheit keiner mehr zu sagen. Man kann diesen Krieg getrost als einen Wahnsinn bezeichnen, denn die einzig feste Größe daran war, dass der Wahn nicht abriss. Das wirklich Wahnsinnige an so genannten "Bürgerkriegen" ist, dass sie erst beendet werden, wenn sie keinem Zweck mehr dienen, wenn die wirtschaftlichen und ideologischen Ressourcen dieses Krieges erschöpft sind. Krieg ist nichts schicksalhaftes, sondern ein Wirtschaftszweig. Krieg regelt Machtverhältnisse, neue Märkte und kurbelt die einheimische Wirtschaft an. Wie gesagt, ein Wirtschaftszweig unter vielen.

Anders ist das, wenn man unversehens in einen Krieg gerät, an dem man wirtschaftlich nicht partizipiert, den man, gegebenenfalls über Jahrzehnte, am eigenen Leib aushalten muss. Es wäre nur gerecht, wenn jemand, der an einem Krieg verdient, auch dessen Leiden ertragen sollte. Doch so läuft es leider nicht. Da ist es schon ein kleiner Trost, wenn gelegentlich ein ausgewählter "Kriegsverbrecher", in der Regel sind dies nur besonders brutale Handlanger, exemplarisch vor Gericht gestellt wird. Nihad ist so einer. Er hat gemordet und vergewaltigt und gelegentlich auch gesungen, denn Gesang vertreibt die Langeweile. Emotional scheint er unberührbar zu sein. Wer so oft wie er den Tod verschenkt hat, den regt dieser nicht auf. Und doch ereilt ihn so etwas wie ein Gewissen. Es ist die eigene Vaterschaft, die den Krieger wieder an sein Menschsein erinnert.

 


Xenia Tiling, Nico Holonics, Benjamin Mährlein, Timur Isik

© Gabriela Neeb


Wajdi Mouawads Drama "Verbrennungen" kommt wie Poesie der Apokalypse über den Zuschauer und Christine Eder gelang am Münchner Volkstheater eine vollkommene Umsetzung auf die Bühne. Sie inszenierte die sprachgewaltige, von jahrtausende alter Archaik und widerstreitenden Modernismen versetzte Lebensschau einer Verstorbenen mit einfachsten und darum um so wirkungsvolleren Mitteln. Ohne inszenatorisches Beiwerk, ohne Ästhetisierungen, ohne Heroisierungen, Ideologisierungen oder Verlautbarungen des Blutes erzählte sie eine Geschichte, die an die Dimensionen des Mythos von Ödipus erinnert und dennoch Menschenwille ist. Die zwingende Logik der Dramaturgie und der Handlung erschütterte derart, dass der Applaus schwer fiel. Selten sah man in den letzten Spielzeiten an Münchens Bühnen ein so aufrüttelndes Werk, das nicht mit den Gefühlen spielte oder den Zuschauer verführte.

Monika Rovans Bühne war ein Land aus brandigen Mauern. Selbst der Erdboden schien verbrannt. Unvorstellbar, dass hier noch Leben gedeihen könnte. Aber es gedieh und darüber hinaus sogar Liebe. Nawal, berückend mädchenhaft gespielt von Barbara Romaner, trug ein Kind von Wahab in ihrem Bauch. Timur Isiks Wahab war ebenso kindlich in seinem Glauben und unerschütterlich darin, dass diese Liebe allen Widrigkeiten trotzen wird. Der gesellschaftliche Konsens scherte sich nicht um Liebe und Sehnsüchte der Kinder und so entriss man der jungen Mutter das Kind. Nawals Großmutter erteilte der Enkelin im Angesicht des eigenen Todes den Auftrag, das Dorf zu verlassen, um lesen und schreiben zu lernen, damit Nawal nach der Rückkehr ihren Grabstein beschriften könne. Nawal, inzwischen resolut und nüchtern von Sophie Wendt gestaltet, wurde im Land sehr bald als die Frau, die singt und die lesen und schreiben kann, bekannt. Sawda hatte sich ihr angeschlossen. Stephanie Schadeweg verlieh dieser Rolle Hingabe an die verehrungswürdige Freundin, aber auch Wehrhaftigkeit. Als sie in Notwehr zwei Soldaten tötete, entschuldigte Nawal sie. Doch Nawal lehnte es grundsätzlich ab, nach dem Prinzip "Auge um Auge" zu handeln. Sie artikulierte den einzig möglichen Ausweg aus diesem Krieg und allen Kriegen schlechthin. Die Kette der kausalen Akte musste durchbrochen werden. Krieg wird nur dadurch verhindert, dass man sich seinen scheinbar zwingenden Mechanismen entzieht. Doch Nawal hielt sich nicht an ihren eigenen moralischen Grundsatz und tötete ihrerseits. Der aus dieser Bluttat resultierende Fortgang der Geschichte war der schlimmstmögliche, ganz so wie ihn Sophokles für eine kathartische Tragödie forderte. Tragen oder Ertragen mussten dieses Los Jeanne (Xenia Tiling) und Simon (Nico Holonics), die Zwillingskinder Nawals, an die nach dem Tod der längst verstummten Mutter der testamentarische Auftrag erging, den leiblichen Vater zu suchen.

Das Stück ist ein wortgewaltiger Widerspruch gegen jede Form von Kriegstreiberei und Entmenschlichung durch Religion, Politik und Ökonomie. Der Dichter Wajdi Mouawad weiß, was Krieg bedeutet und auch was es bedeutet, Schriftsteller zu sein. Er ist sich seiner Verantwortung durchaus bewusst und vertraut darauf, "(…) dass man Theater, im Gegensatz zu Waffen, nicht auseinandernehmen kann, um es zu reinigen, vielmehr nimmt Theater uns auseinander, um uns zu reinigen." (Zitat Wajdi Mouawad im Programmheft)

Als das Spiel der durchweg sehr gut agierenden Darsteller verstummt war, der geschwärzte Raum ins Dunkel stürzte, und die ungeheuerliche Botschaft den letzten Zuschauer erreicht hatte, war vielfaches Schnäuzen vernehmbar. Der Rührung, die den Zuschauer in dieser Inszenierung ergreift, ist nicht das Resultat einer sentimentalen Geschichte. Auch ist es nicht die allseits so gepflegte Betroffenheit, die die Bevölkerung ereilt, wenn eine Prinzessin gegen einen Betonpfeiler fährt oder türkische Kinder in einem Mietshaus verbrennen, Geschichten, die sich auf schamloseste Weise für allerlei Botschaften ausschlachten lassen. Es ist der Schock der existenziellen Erkenntnis unserer eigenen Bedrohtheit, der uns ereilt. Und er ereilt uns vermittels eines herausragendes Kunstwerks. Diese Inszenierung berührt schmerzlich, doch sie leistet, worauf es in der Kunst ankommt. Sie verändert den Betrachter. Bleibt zu hoffen, dass den Vorstellungen viele Betrachter beschert werden.


Wolf Banitzki


 

 


Verbrennungen

von Wajdi Mouawad

Ilona Grandke, Nico Holonics, Timur Isik , Thomas Kylau, Benjamin Mährlein, Barbara Romaner, Stephanie Schadeweg, Xenia Tiling, Sophie Wendt

Regie: Christine Eder