Volkstheater Don Karlos von Friedrich Schiller




Tod der Schwärmer

Es ist schon eine Wahnsinnsgeschichte um den Infanten Don Karlos. Ein Historienkrimi und eine große Geschichtsanalyse zugleich, wobei hier einige geschichtlichen Fakten weitestgehend unverbrieft sind. Beispielsweise die Liebe Don Karlos zu seiner Stiefmutter Elisabeth von Valoise, die ihm zuvor als Gattin zugesprochen wurde, die jedoch vom Vater Phillip der Zweite aus Gründen der Staatsräson geheiratet wurde. Und warum auch nicht, ist es doch ein fabelhafter dramaturgischer Einfall und tut der Historie keinen Abbruch. Allein, wenn der junge Infant am Ende der Geschichte der Heiligen Inquisition überantwortet wird, übertreibt der Dichter Schiller zu Gunsten seiner politischen Aussagekraft. Zwei Stunden nach der Aufführung am 5. Oktober war auf dem Fernsehsender arte aus dem Mund des honorigen Günter Grass sinngemäß zu vernehmen: ‚Da lobe ich mir die Kunst der Dichtung, denn Geschichtsschreibung spricht vornehmlich von den Siegern und weniger oder selten von den Verlierern der Geschichte. Die Literatur gleicht das aus.' In Schillers großem Drama kommen die Verlierer lautstark zu Wort. Und der wichtigste Verlierer in der Geschichte um den spanischen Infanten ist der Marquise de Posa.

"Don Karlos" - Kenner lauern denn auch heute wie damals vor genau 220 Jahren auf den einen Satz des Posa in der 10. Szene des 3. Aktes: "Geben Sie Gedankenfreiheit." Die Vorzeichen haben sich jedoch gründlich geändert, wenngleich die Zeiten sich kaum gewandelt haben. Damals schlug das patriotische, freiheitsliebende Herz hoch. Heute bewegt der Satz noch ein paar alternde Romantiker. Der Rest ist Banalität. Heute werden die Anhänger der "Aufklärung" als Fossile belächelt. Damals wurde Schiller nach der Vorlesung des ersten Aktes von "Don Carlos" am Darmstädter Hof in Gegenwart des Herzogs Karl August von Sachsen-Weimar zum Weimarischen Rat ernannt. Was sich augenscheinlich nicht ändert sind die Menschen. Und genau darauf kann sich Regisseur Stückl verlassen, wenn er die Geschichte locker-flockig und spritzig als großes Intrigenspiel verkauf. Eine gelungene Inszenierung, soviel steht schon mal fest.

 


Friedrich Mücke, Nico Holonics

© Klaus Fröhlich


Stückl hat den Karlos mit dem jungen "Ernst-Busch" - Absolventen Nico Holonics besetzt. Unbestritten ein guter Griff, denn Spielweise und Gestus, die durchaus deutliche Parallelen zum historischen Karlos, der psychisch stark pathologische Züge aufwies, wurden sichtbar. Holonics Karlos war wahrlich nicht dazu angetan, das gewaltige Reich Philipps zu erben. Zweifellos hätte er es ruiniert, ohne einen historischen Fortschritt zu erlangen. Anders die pathetisch überhöhte Figur des Posa. Die Rede an den König, die dem oben zitierten Satz voraus ging, war hingegen für 150 Jahre politisches Programm in Europa. Doch Posa lässt sich auf die politischen Mittel des Ränkespiels ein und verliert. Friedrich Mücke überstrahlte nicht nur mit den Inhalten seiner Rolle die ganze Szene, er brillierte in der Rolle des freiheitsliebenden Menschen mit ausgeklügelter Gestaltung. Seine Glaubhaftigkeit stand außer Frage. In Erstaunen versetzte die Gestaltung der Xenia Tiling, deren Elisabeth äußerst harte Züge trug, von schnippisch bis arrogant verkörperte sie eine Frau, die zerrissen war in Lebensanspruch und Rollenverhalten. Diese zwar interessante Anlage lässt doch einige Zweifel daran aufkommen, ob eine derartige Haltung in ihrer Zeit überhaupt denkbar war. Allerdings, die Tatsache, dass Philipp sie vergiften ließ, spricht dafür. Leider war die Gestaltung der Rolle des Königs durch Christian Schneller nicht durchgängig befriedigend. Es ist schwer vorstellbar, dass diese historische Figur sich gelegentlich wie ein "Häuflein Elend" gebärdete. Geradezu peinlich ist denn auch der Kniefall des Königs vor Domingo, der hier gleichsam die Rolle des Großinquisitors übernahm, und den Timur Isik nuanciert und fein im Wechselspiel aus intriganter Größe und physischer Feigheit gab. Bei Schiller, das nur nebenbei, lässt sich der König an dieser Stelle in einen Sessel fallen. Damit ideologisiert Regisseur Stückl und vergeht sich an dem Format der historischen Persönlichkeit. Die daraus resultierende dramatische Wahrheit ist zu banal. Erwähnt sei unbedingt noch Barbara Romaner, deren Part als Prinzessin Eboli eine Schlüsselrolle im Drama zukommt. Mit großem visuellen Liebreiz und schauspielerischer Fähigkeit gestaltete sie eine Intrigantin, die dem Schillerschen Stück zwar gerecht wird, die den männlichen Betrachter sich selbst allerdings fragen ließ, warum Karlos ihr, der hingebungsvollen und wunderbar anzuschauenden Frau, die spröde und nicht selten wie ein Neutrum wirkende Königin vorzog. Vielleicht wirkte ein versteckter Ödipuskomplex beim Infanten? Für diese sehr subjektive Auslassung bittet der Kritiker um Nachsicht.

Wenn diese Inszenierung so geschlossen und über drei Stunden und 45 Minuten ohne eine einzige Länge daher kam, dann war dies nicht zuletzt dem gelungenen Bühnenbild von Marlene Poley zu danken. Sie zeichnete auch für die fabelhaften Kostüme verantwortlich. Marlene Poley schuf einen labyrinthischen Madrider Hof, der in seinen eisernen Enge und Vergitterung dem geistigen Gefängnis entsprach, in dem Menschlichkeit erstarb. Als Drehbühnenkonstruktion gelangen visuelle Einstellungen, die die Vorgänge auf der Bühne deutlich unterstützten.

Diese für das Volkstheater sehr aufwendige Inszenierung sollte in Augenschein genommen werden. In "Zeiten begrenzter Mittel", was auch übersetzbar wäre mit in "Zeiten begrenzter Freiheit", sollte man sich den Genuss Schillerscher Kunst nicht versagen. Es könnte sein, dass dieser Schwärmer aus Gründen der Effizienz irgendwann eingemottet wird. Im Stück steht es Schwarz auf Weiß, wenn der König dem Posa auf seinen so berühmten Satz antwortet: "Sonderbarer Schwärmer!" Wenig später war dieser Schwärmer tot.


Wolf Banitzki

 

 

 


Spiel Don Karlos

von Friedrich Schiller

Christian Schneller, Xenia Tiling, Nico Holonics, Ursula Burkhart, Camelia Chirtes, Barbara Romaner, Friedrich Mücke, Marcus Brandl, Stefan Murr, Timur Isik, Andreas Tobias, Lena Franke / Emilia Solfrian / Alina von Rützen

Regie: Christian Stückl