Volkstheater Der Kampf des Negers und der Hunde von Bernard-Marie Koltés




Viele Klischees und wenig Wahrheiten

Als Bernard-Maria Koltès, Jahrgang 1948, vor etwa 20 Jahren wie ein Silberstreif am Horizont nicht nur des deutschen Theaters auftauchte, schien ein Ausweg aus dem ideologisiertem Welterklärungstheater in die vermeintlich geistige und künstlerische Freiheit gefunden zu sein. Inzwischen wird er gar nicht mehr so häufig gespielt, denn das Theater ist ja nur noch in Ausnahmefällen real-politisch. Der Dienst an der Quote ist vornehme Pflicht geworden.

Intendant Christian Stückl beugte denn in einem kürzlich gesendeten BR-Interview dezent vor, als er sinngemäß meinte, es gäbe Inszenierungen, die tragen ein Theater und es gäbe Inszenierungen, vornehmlich Experimente, die tun dies eben nicht. Erstere müssen dann für die anderen die Quote miterwirtschaften. Hatte er dabei die Proben zu "Kampf des Negers und der Hunde" vor Augen?

Dabei hatte sich Koltès aus gutem Grund zum Quotenbringer entwickelt. Der junge zornige Mann, der sich nicht als depressiver Dichter oder gar als Dichter depressiver Texte verstanden wissen wollte, starb 1989 an den Folgen einer Aidsinfektion, einer Krankheit, die besonders in der Dritten Welt wütet. Und gerade dieser Welt galt sein ganzes Interesse, bereiste er sie doch sehr intensiv. Schließlich formulierte er eine eindeutige Botschaft: "Das einzige Problem, das es wert ist, ernst genommen zu werden, ist das physische Leiden, das physische Leiden der Dritten Welt. Das allein ist wesentlich. Der Rest aber ..., der Rest sind Nichtigkeiten."

Falilou Seck, Nicholas Reinke, Elisabeth Müller

© Arno Declair


Als er vor etwa zwanzig Jahren seinen Text "Der Kampf des Negers und der Hunde" schrieb, brachte er eine Ahnung in die Welt, die heute schon Gewissheit ist, nämlich, dass die Welt durch Globalisierung und Liberalisierung einen Wandel erlebt wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Seine Analyse ist keine politische, sondern eine poetische, die doch ebenso trefflich gelingt wie so manches verschreckende Werk aus dem Bereich des investigativen Journalismus.

Die Geschichte des Stückes handelt vom kolonialen Kampf zwischen Weiß und Schwarz, wobei Schwarz beliebig austauschbar wäre. Horn, ein Baustellenleiter irgendwo in Westafrika, kam bereits vor vielen Jahren auf diesen Kontinent und er kam mit den besten Absichten. Seine Arbeit sollte Afrika gleich machen, gleich mit den "zivilisierten" Völkern Europas. Doch mit dem Ingenieur Cal kam ein neuer Typus Weißer. Der will nur das schnelle Geld machen und davon möglichst viel in kurzer Zeit. Als ihm ein "Neger" vor die Füße spuckt, erschießt er diesen kurzerhand und lässt die Leiche verschwinden. Die Geschichte beginnt nun mit dem Auftauchen Albourys, Bruder des erschossenen Schwarzen, der die Leiche für das Bestattungsritual einfordert, und Leones, ein Pariser Mädchen, das dem Eheversprechen Horns gefolgt ist. Menschliche Nähe wird zur wichtigen Triebkraft der Handlung. Alboury brauchte die seines Bruders, um in der gleißenden Sonne Afrikas nicht zu erfrieren und Horn sehnt sich nach einem weiblichen Pendant wie nach einem Zuhause. Alboury erinnert an Antigone und er bleibt ebenso unnachgiebig wie seine antike Vorgängerin. So nimmt das Sterben seinen Lauf.

Der junge Regisseur Sebastian Hirn suchte und fand seine eigene Botschaft in dem keineswegs unrealistischen Schluss, dass Afrika nicht wehrlos ist. Es ist aber nicht die moralisch integere Wehrhaftigkeit, sondern sie unterscheidet sich kaum von der mafiösen Brutalität der Weißen. So wird, was bei Koltès wie ein Krimi beginnt, bei Hirn zum Politthriller mit düsterer Aussicht. Dieser Plot ist dann aber auch so ziemlich das Bemerkenswerteste an der Aufführung im Volkstheater.

Regisseur Hirn inszenierte ohne Zwischentöne und ohne die Entwicklung der Figuren deutlich zu machen, die Koltès vorgab. Vielmehr spulte er die Handlung auf hohem darstellerischem Erregungslevel ab, ohne auf die bedeutsamen Textpassagen zu verweisen, die teilweise geradezu prophetischen Charakter haben. Man schaue sich nur einmal die Überlegungen Horns an, die dieser angesichts des Wandels in der Welt entwickelte: "Ich habe keine Angst vor Menschen, keine Angst vor Gewehren, (...) selbst Krieg macht mir nichts aus: im Krieg sitzen alle in einem Boot, du hast eine Chance wie jeder andere. Aber was für eine Chance hast du gegen einen Kopf, der in der ganzen Welt tausende von Baustellen im Kopf hat, (...) jeden Mann als wärst du der einzige, und jede Flasche Whisky, die dasteht und von der er weiß, dass sie dasteht, (...) Davor, das ist das Einzige, (...) ja, davor könnte ich Angst haben." Spätestens bei dieser Passage zeigte sich, dass Regisseur Sebastian Hirn entweder mit dem Text überfordert war oder doch nur seinen Thrill erzeugen wollte.

Diese Inszenierung setzte auf starke Bilder, die vornehmlich der Bühne von Bernhard Hammer zu verdanken waren. Der Bühnenbildner schuf einen beklemmend niedrigen Raum, der nach oben hin durch eine Deckenschalung begrenzt war und der durch zahlreiche Schalungsstützen bedrohliche Enge und auch Instabilität suggerierte. Allerdings war darin kein Hauch von Afrika. Selbst der zweistündige Dauerregen konnte diese Illusion nicht befördern.

Die Ambitionen des Regisseurs ließen den Schauspielern wenig Raum zu deutlicher und differenzierter Gestaltung. Alexander Duda gelang es als Horn noch am ehesten, der Figur ein menschliches Antlitz zu verleihen. Nicholas Reinke (Cal), der sich in den vergangenen Spielzeiten besonders durch sensible Charakterdarstellungen im Ensemble profiliert hatte, musste durchgängig mit viel überflüssigem körperlichem Aufwand einen platten Psychopaten geben. Elisabeth Müller lieferte schrill plakativ den Gegenentwurf zu Falilou Secks Neger, der stets cool und wortkarg das große unentschlüsselbare Mysterium Afrika verkörpern musste. Dieses Afrika ist ein Klischee aus soap-operas, wie vieles, was die Inszenierung dem Publikum glauben machen wollte. Der Text von Koltès spricht eine andere Sprache. Hier spürt man einmal mehr, dass künstlerische Erfahrungen nicht selten aus den Medien und nicht aus den Realitäten gespeist werden. Das ist ein untauglicher Weg.

Wolf Banitzki

 

 


Der Kampf des Negers und der Hunde

von Bernard-Marie Koltés

Alexander Duda, Falilou Seck, Elisabeth Müller, Nicholas Reinke

Regie: Sebastian Hirn
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