Volkstheater Lulu von Frank Wedekind




Sex und Crime

Frank Wedekinds "Lulu" war wiederholt mit Aufführungsverboten belegt ob der sexuellen Freizügigkeit im Werk. Nun hat man im Volkstheater eine Inszenierung erarbeitet, die gerade diesen Aspekt heraushebt. Entstanden ist ein Spiel um sexuelle Freizügigkeit in Zeiten allgemeiner sexueller Freizügigkeit.
Um 1900 gehörte Wedekind zu den wenigen Schriftstellern die sich auf sozialpolitischem Terrain bewegten. Couragiert stellt er die Missstände seiner Zeit an den Pranger, kennt keine Tabus. Bezeichnend für sein Werk ist die Vielschichtigkeit der Charaktere die nicht zuletzt durch ihre soziale Determination sichtbar werden. Doch soziale und politische Verantwortlichkeit sind, wie sich zeigt, heute völlig aus der Mode gekommen.

Christian Stückl, der der Inszenierung die fünfaktige Urfassung der Lulu-Dramen (Erdgeist und Die Büchse der Pandora) zugrunde legte, hat deutlich erkennbar in das Werk eingegriffen. So ist letztendlich seine eigene Fassung entstanden, eine simple Saga von einer herumdriftenden Frau und deren Niedergang. Was bleibt nach der Reduktion auf "Sex und Crime" (wie er in einem Interview sagte): Lulu, unschuldig kindlich triebhaft, verheiratet mit einem jahrzehnte älteren Mann dessen sexuelle Vorlieben sie unreflektiert bedient, wird von dem Maler Schwarz porträtiert. Schwarz, der Lulu, respektive dem Bild, das er sich von ihr macht, verfällt, verführt sie. Schon ist die erste Leiche vorprogrammiert, denn den Ehemann trifft sofort der Schlag, als er der Situation gewahr wird. Da kann Lulu (Brigitte Hobmeier) noch so sehr mit dem Geschlechte wackeln; tot ist tot, wenn das Blut aus der Nase rinnt. So heiratet Lulu den Maler Schwarz (Markus Brandl), der die Dinge ernst und sich das Leben nimmt, als er von Lulus Verhältnis zu Schöning (Alexander Duda) erfährt. Auch Schöning, der sodann geehelicht wird, ist bald auf der Suche nach einem Ausweg aus seinem Abhängigkeitsdilemma. Als die Nadel wirkungslos wird, greift er zum Revolver, doch der Schuss trifft ihn selbst. Effektheischend verlässt seine Seele den Leib. Usw. Erst als Lulu "Jack mit dem Messer" trifft ist auch ihr Ende absehbar.


Nicholas Reinke, Monika Manz, Brigitte Hobmeier, Thomas Kylau, Fabian Preger, Karsten Dahlem

© Volker Derlath


Die plakativ entworfenen Figuren sind von den Schauspielern leicht zu füllen, die Darstellungskonzepte sind so vielfältig nicht. Und, es läuft wieder und wieder auf dasselbe Bild hinaus - die labbrige Baumwollunterhose als Inbegriff des Exzesses. Fast gänzlich auf der Strecke geblieben ist die Erotik, das feine differenzierte Spiel der Geschlechter um den Sexus, einer der Hauptbestandteile des Urwerkes. Allein Brigitte Hobmeier als Lulu versteht sich gelegentlich darauf, so, wenn sie Schöning becirct oder mit Alwa picknickt.


Die von Marlene Poley dekorativ gestalteten Orte der Handlung haben ihren jeweiligen Mittelpunkt in einer wandlungsfähigen Holzpritsche, die sowohl der Wedekind'schen Chaiselongue entspricht als auch "dem Holz, aus dem einer geschnitzt ist". Die Frage, ob Lulu nun wenig Geschick bei der Wahl ihrer Männer hat oder mehr dem eigenen Triebe folgend sich in deren Wünschen spiegelt, kann letztlich auch das Bühnenbild nicht beantworten.


In wenigen, dem Strich nicht zum Opfer gefallenen Originaltextpassagen kann man die Dimension von Wedekinds Charakteren erahnen, wird die Kraft des Stückes für kurze Augenblicke spürbar. Wie sehr die Personen und damit der Inhalt reduziert wurde, lässt sich am Besten an der Rolle der Gräfin Geschwitz, einer Frauenfrau aufzeigen, die zu Ende von "Die Büchse der Pandora" den Entschluss fasst: "Dies ist der letzte Abend den ich mit diesem Volke verbringe. - Ich kehre nach Deutschland zurück (...) - Ich lasse mich immatrikulieren. Ich muss für die Frauenrechte kämpfen, Jurisprudenz studieren." Stattdessen fasst sie sich mit dem Satz: "Mir fehlt etwas.", an den Schritt, bevor sie sich aus dem Spiel verabschiedet. Der große Gedanke der Frauenrechtsbewegung muss einem simplen Stammtischspruch weichen. Resultiert nicht die sexuelle Befreiung der Frau auch aus dieser Bewegung? Ist denn eine solche Aussage nicht wiederum Diskriminierung der weiblichen Sexualität? Zählt heute nur noch, was einen Lacher oder mindest ein Grinsen bringt? Was bleibt ist "Volkstheater", gemacht für die Sehgewohnheiten des modernen Fernsehpublikums. Doch als Nachgeschmack entsteht nicht nur Langeweile. Und es bleibt noch, mit Brecht zu hoffen: "Das Volk ist nicht so tümlich wie es scheint".

C.M.Meier

 

 


Lulu

von Frank Wedekind

Rudolf Waldemar Brem, Brigitte Hobmeier, Thomas Kylau, Alexander Duda, Nicholas Reinke, Markus Brandl, Ursula Burkhart, Tobias van Dieken, Karsten Dahlem, Monika Manz, Calvin E. Burke, Christina Jung, Fabian Preger, Benjamin Mährlein

Regie: Christian Stückl