Volksheater Der Besuch der alten Dame von Friedrich Dürrenmatt
Eine Schicksalsgöttin spinnt die Fäden
Eine Frau kehrt nach 45 Jahren heim in ihren Geburtsort Güllen. Güllen repräsentiert Europa, so meinen es zumindest die Bewohner, denn Goethe hatte hier übernachtet und Brahms ein Quartett komponiert. Man ist diesen Werten verpflichtet, obgleich Güllen wirtschaftlich völlig ruiniert ist und seine Bürger von der Sozialhilfe alimentiert werden.
Doch jetzt gibt es Hoffnung, denn Claire Zachanassian, sie verließ Güllen als Klara Wäscher nicht freiwillig, kehrt zurück und sie ist die reichste Frau der Welt. Man spekuliert auf Millionenspritzen, einen Finanzschirm für das untergehende Gemeinwesen. (Wie wenig sich die Zeiten doch ändern.) Alfred Ill, Betreiber des Krämerladens im Ort, hatte eine besondere Beziehung zu Klara und wird an die Front geschickt, um die ersten Breschen in den Geldsäckel der Milliardärin zu schlagen.
In all der Euphorie vergisst man, dass gerade jener Ill es war, der Klara schwängerte, verriet und sie mit gedungenen Zeugen zur Lügnerin stempelte. Klara musste Güllen verlassen, ging nach Hamburg in ein Bordell, entband das gemeinsame Kind, das ein Jahr nicht überlebte, und lernte schließlich Zachanassian kennen, den reichen Armenier, der sich in ihr rotes Haar verliebt hatte. Die Güllener bitten um Millionen, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Claire bietet eine Milliarde, 500 Millionen werden auf die Familien verteilt und 500 Millionen gehen in die Sanierung der Wirtschaft. Der Jubel kennt keine Grenzen, endet aber abrupt, als Claire eine Bedingung stellt: Sie will das Unrecht beseitigt sehen, dass ihr widerfuhr. Wie? Sie fordert den Tod von Alfred Ill.
Betroffenheit und Bestürzung macht sich breit. Nie und nimmer wird man Leben gegen Geld eintauschen! Einer hatte die Katastrophe immerhin kommen gefühlt: Der Lehrer. „Seit mehr denn zwei Jahrzehnten korrigiere ich die Latein- und Griechischübersetzungen der Güllener Schüler, doch was Gruseln heißt,(...), weiß ich erst seit einer Stunde. Schauerlich, wie sie aus dem Zug stieg, die alte Dame mit ihren schwarzen Gewändern. Kommt mir vor wie eine Parze, wie eine griechische Schicksalsgöttin. Sollte Klotho heißen, nicht Claire, der traut man es noch zu, dass sie Lebensfäden spinnt.“ (Originaltext Friedrich Dürrenmatt)
Genau das macht Claire Zachanassian, sie erkauft sich ihr Recht, das nur weiteres Unrecht ist. Aber auch das kann sie erklären: „Die Menschlichkeit, (...), ist für die Börse der Millionäre geschaffen, mit meiner Finanzkraft leistet man sich eine Weltordnung. Die Welt machte mich zu einer Hure, und nun mache ich sie zu einem Bordell. (...) Anständig ist nur, wer zahlt, und ich zahle. Güllen für einen Mord, Konjunktur für eine Leiche.“ (Originaltext Friedrich Dürrenmatt)
Eine Frau kehrt nach 45 Jahren heim in ihren Geburtsort Güllen. Güllen repräsentiert Europa, so meinen es zumindest die Bewohner, denn Goethe hatte hier übernachtet und Brahms ein Quartett komponiert. Man ist diesen Werten verpflichtet, obgleich Güllen wirtschaftlich völlig ruiniert ist und seine Bürger von der Sozialhilfe alimentiert werden.
Doch jetzt gibt es Hoffnung, denn Claire Zachanassian, sie verließ Güllen als Klara Wäscher nicht freiwillig, kehrt zurück und sie ist die reichste Frau der Welt. Man spekuliert auf Millionenspritzen, einen Finanzschirm für das untergehende Gemeinwesen. (Wie wenig sich die Zeiten doch ändern.) Alfred Ill, Betreiber des Krämerladens im Ort, hatte eine besondere Beziehung zu Klara und wird an die Front geschickt, um die ersten Breschen in den Geldsäckel der Milliardärin zu schlagen.
In all der Euphorie vergisst man, dass gerade jener Ill es war, der Klara schwängerte, verriet und sie mit gedungenen Zeugen zur Lügnerin stempelte. Klara musste Güllen verlassen, ging nach Hamburg in ein Bordell, entband das gemeinsame Kind, das ein Jahr nicht überlebte, und lernte schließlich Zachanassian kennen, den reichen Armenier, der sich in ihr rotes Haar verliebt hatte. Die Güllener bitten um Millionen, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Claire bietet eine Milliarde, 500 Millionen werden auf die Familien verteilt und 500 Millionen gehen in die Sanierung der Wirtschaft. Der Jubel kennt keine Grenzen, endet aber abrupt, als Claire eine Bedingung stellt: Sie will das Unrecht beseitigt sehen, dass ihr widerfuhr. Wie? Sie fordert den Tod von Alfred Ill.
Betroffenheit und Bestürzung macht sich breit. Nie und nimmer wird man Leben gegen Geld eintauschen! Einer hatte die Katastrophe immerhin kommen gefühlt: Der Lehrer. „Seit mehr denn zwei Jahrzehnten korrigiere ich die Latein- und Griechischübersetzungen der Güllener Schüler, doch was Gruseln heißt,(...), weiß ich erst seit einer Stunde. Schauerlich, wie sie aus dem Zug stieg, die alte Dame mit ihren schwarzen Gewändern. Kommt mir vor wie eine Parze, wie eine griechische Schicksalsgöttin. Sollte Klotho heißen, nicht Claire, der traut man es noch zu, dass sie Lebensfäden spinnt.“ (Originaltext Friedrich Dürrenmatt)
Genau das macht Claire Zachanassian, sie erkauft sich ihr Recht, das nur weiteres Unrecht ist. Aber auch das kann sie erklären: „Die Menschlichkeit, (...), ist für die Börse der Millionäre geschaffen, mit meiner Finanzkraft leistet man sich eine Weltordnung. Die Welt machte mich zu einer Hure, und nun mache ich sie zu einem Bordell. (...) Anständig ist nur, wer zahlt, und ich zahle. Güllen für einen Mord, Konjunktur für eine Leiche.“ (Originaltext Friedrich Dürrenmatt)
Justin Mühlenhardt, Robin Sondermann, Jörg Kleeemann, Alexander Duda, Katharina Haindl © Arno Declair |
Mit diesen Sätzen umriss Dürrenmatt den Charakter einer Weltordnung, die als gut und richtig und seligmachend empfunden wird in Zeiten der Konjunktur. Reitet aber die Krise durch die Wirtschaft, fallen alle Masken und hervor tritt das Gesicht der Claire Zachanassian, die sich eine Weltordnung leistet.
Gerade diese, wie man meinen sollte, wichtige Dimension des Dürrenmattschen Dramas blieb in der Inszenierung von Frank Abt am Münchner Volkstheater weitestgehend auf der Strecke. Ungeachtet dessen war es eine bemerkenswerte Arbeit des Regisseurs, die beim Publikum wegen ihrer besonderen Ästhetik griff. Anne Ehrlich hatte dem Regisseur eine Bühne bereitet, die zuerst eines deutlich machte: Güllen war am Ende! Zwei Wände im Bühnenvordergrund, schmuddelig mit verblassenden großen, sehr unnatürlich wirkenden Blumen, schufen Innenräume, die wie Absteigen des Lebens, nicht wie Wohnräume wirkten. Dahinter waren Wäscheleinen gespannt. Wäsche, wohin das Auge blickte. Die Bilder des italienischen Neorealismus drängten sich auf. Güllen versuchte nicht einmal mehr, seine eigene Erbärmlichkeit zu kaschieren.
Regisseur Abt brach das in sich sehr geschlossene Drama auf, kürzte es deutlich ein, und ließ fünf Darsteller einen permanenten Rollentausch spielen. Es ging nicht mehr um Charaktere im Besonderen, sondern um Haltungen und dramaturgische Verknüpfungen, wie sie das Leben schreibt. Die Verständlichkeit des Stückes litt darunter nicht. Allerdings schrumpfte der emotionale, poetische und dingliche Kosmos auf Westentaschenformat. Was bei Dürrenmatt Weltentwurf war, geriet bei Frank Abt zum Kammerspiel. Die Wirkung war nicht geringer, nur anders. Was an Poesie verloren ging, machte Verfremdung wett. Die Getragenheit, die der originale Text bisweilen einfordert, wurde ersetzt durch komödiantische Spiellust, die dem Ruf Dürrenmatts nach Komik gerecht wurde.
Katharina Haindl, Jörg Kleemann, Justin Mühlenhardt, Barbara Romaner und Robin Sondermann warfen das Drama turbulent und spielerisch auf die Bühne und das hatte recht wenig mit den Vorstellungen Dürrenmatts zu tun. Es wurde stringent der Katastrophe entgegenerzählt und mit wenig Text gelang es den Darstellern immer wieder, die Doppelzüngigkeit, das vordergründige Pochen auf (europäische) Werte und das hintergründige Zerbröckeln der Lippenbekenntnisse, fühlbar werden zu lassen. Als es endlich um das Substanzielle des Stückes ging, nämlich um das existenziell Menschliche, trat in Person Alexander Dudas die Figur Alfred Ill auf. Die personelle Anonymität, hervorgerufen durch den permanenten Rollenwechsel, fand ihr Ende. Alexander Duda gab einen sehr menschlichen Ill, spießig und selbstbewusst, später ängstlich und schließlich vor der „Allmacht des Zachanassianschen Schicksals“ resignierend. Nicht ganz so überzeugend war die späte Einführung Ilona Grandkes als alte Dame. Sie wirkte sphärisch abgehoben und nicht wie ein pragmatisch handelnder (sich Gefühle wie Trüffel leistender) Racheengel.
Klassiker der Moderne gerade jungen Theatergängern nahe zu bringen, heißt immer auch Kompromisse einzugehen. Im Fall „Der Besuch der alten Dame“ in der Inszenierung von Frank Abt am Münchner Volkstheater bedeuteten diese Kompromisse eine eigenständige und gelungene Bühnenästhetik. Die Wirkung auf oben genannte Besuchergruppe war unübersehbar positiv. Und auch Theaterbesuchern mit eher konservativen Ansprüchen blieb der Reiz dieser Inszenierung nicht verborgen.
Wolf Banitzki
Gerade diese, wie man meinen sollte, wichtige Dimension des Dürrenmattschen Dramas blieb in der Inszenierung von Frank Abt am Münchner Volkstheater weitestgehend auf der Strecke. Ungeachtet dessen war es eine bemerkenswerte Arbeit des Regisseurs, die beim Publikum wegen ihrer besonderen Ästhetik griff. Anne Ehrlich hatte dem Regisseur eine Bühne bereitet, die zuerst eines deutlich machte: Güllen war am Ende! Zwei Wände im Bühnenvordergrund, schmuddelig mit verblassenden großen, sehr unnatürlich wirkenden Blumen, schufen Innenräume, die wie Absteigen des Lebens, nicht wie Wohnräume wirkten. Dahinter waren Wäscheleinen gespannt. Wäsche, wohin das Auge blickte. Die Bilder des italienischen Neorealismus drängten sich auf. Güllen versuchte nicht einmal mehr, seine eigene Erbärmlichkeit zu kaschieren.
Regisseur Abt brach das in sich sehr geschlossene Drama auf, kürzte es deutlich ein, und ließ fünf Darsteller einen permanenten Rollentausch spielen. Es ging nicht mehr um Charaktere im Besonderen, sondern um Haltungen und dramaturgische Verknüpfungen, wie sie das Leben schreibt. Die Verständlichkeit des Stückes litt darunter nicht. Allerdings schrumpfte der emotionale, poetische und dingliche Kosmos auf Westentaschenformat. Was bei Dürrenmatt Weltentwurf war, geriet bei Frank Abt zum Kammerspiel. Die Wirkung war nicht geringer, nur anders. Was an Poesie verloren ging, machte Verfremdung wett. Die Getragenheit, die der originale Text bisweilen einfordert, wurde ersetzt durch komödiantische Spiellust, die dem Ruf Dürrenmatts nach Komik gerecht wurde.
Katharina Haindl, Jörg Kleemann, Justin Mühlenhardt, Barbara Romaner und Robin Sondermann warfen das Drama turbulent und spielerisch auf die Bühne und das hatte recht wenig mit den Vorstellungen Dürrenmatts zu tun. Es wurde stringent der Katastrophe entgegenerzählt und mit wenig Text gelang es den Darstellern immer wieder, die Doppelzüngigkeit, das vordergründige Pochen auf (europäische) Werte und das hintergründige Zerbröckeln der Lippenbekenntnisse, fühlbar werden zu lassen. Als es endlich um das Substanzielle des Stückes ging, nämlich um das existenziell Menschliche, trat in Person Alexander Dudas die Figur Alfred Ill auf. Die personelle Anonymität, hervorgerufen durch den permanenten Rollenwechsel, fand ihr Ende. Alexander Duda gab einen sehr menschlichen Ill, spießig und selbstbewusst, später ängstlich und schließlich vor der „Allmacht des Zachanassianschen Schicksals“ resignierend. Nicht ganz so überzeugend war die späte Einführung Ilona Grandkes als alte Dame. Sie wirkte sphärisch abgehoben und nicht wie ein pragmatisch handelnder (sich Gefühle wie Trüffel leistender) Racheengel.
Klassiker der Moderne gerade jungen Theatergängern nahe zu bringen, heißt immer auch Kompromisse einzugehen. Im Fall „Der Besuch der alten Dame“ in der Inszenierung von Frank Abt am Münchner Volkstheater bedeuteten diese Kompromisse eine eigenständige und gelungene Bühnenästhetik. Die Wirkung auf oben genannte Besuchergruppe war unübersehbar positiv. Und auch Theaterbesuchern mit eher konservativen Ansprüchen blieb der Reiz dieser Inszenierung nicht verborgen.
Wolf Banitzki
Der Besuch der alten Dame
von Friedrich Dürrenmatt
Alexander Duda, Ilona Grandke, Katharina Haindl, Jörg Kleemann, Justin Mühlenhardt, Barbara Romaner, Robin Sondermann Regie: Frank Abt |