Volkstheater Die Jungfrau von Orleans nach Friedrich Schiller
In der Talsohle der Kunst angekommen?
„Die Jungfrau von Orleans“ ist eine „romantische Tragödie“, mit der Schiller einen wesentlichen Beitrag leistete zu einer Reihe von Dramen, die den Prinzipien einer „hohen rührenden Gattung“ verpflichtet waren. Diese Klassifizierung kann bei vielen modernen Menschen ein Schaudern auslösen, insbesondere, wenn man sich die Tatsache bewusst macht, dass eben dieses Drama auf „mystisch-religösem“ Fundament ruht. Gottes- oder wie in diesem Fall „Marienerscheinungen“ taugen heute für esoterische Wochenblättchen oder vielleicht auch für die Bild-Zeitung, die sich ja bekanntlich auf jeden Schwachsinn stürzt. Doch bei näherer Betrachtung kommt man nicht umhin, einzusehen, dass es dem Pantheisten Schiller keineswegs um religiöse Läuterung ging. Wie in vielen guten Werken, diente dieser Ansatz auch hier lediglich einer Dramaturgie, die menschliche Verhaltensweisen, Leidenschaften oder Konflikte bloßlegt und spielbar macht.
Dabei sollte natürlich auch der historische Kontext nicht außer Acht gelassen werden, in dem das Drama entstand. In der historisch nicht genau belegten Vorlage hatte Johanna drei Tage nacheinander Marienerscheinungen, in denen ihr die Pflicht auferlegt wurde, auf jedes private Gefühl zu verzichten, um einem höheren Zweck, der Befreiung Frankreichs von der englischen Okkupation, zu dienen. Doch im Verlauf der Handlung, in der Johanna die französischen Truppen von einem Sieg zum nächsten führte, geriet ihr der Engländer Lionel vor die Klinge. Nachdem sie sein Gesicht ‚geschaut’ hatte, verliebte sie sich und verhalf ihm zur Flucht. Ein gewaltiger innerer Kampf tobte in Johanna, die jetzt plötzlich ein liebendes Weib war und abtrünnig wurde von ihrer göttlichen Berufung. Allein dieser Konflikt könnte abendfüllend sein. Doch Schiller wäre nicht Schiller, hätte er nicht das weite Feld von Politik und nationaler Identität beackert. Ihm ging es um das Pflanzen von nationaler Verbundenheit gegen die napoleonische Unterwerfung der deutschen Kleinstaaten mit dem Ziel einer deutschen Nation. Zuletzt wurde die kriegerische Jungfrau Opfer politischer Machenschaften und spätestens an dieser Stelle wurde das Drama höchst aktuell.
Also hätte man sich eigentlich auf den Abend im Volkstheater freuen können, hätte gespannt sein können auf die Lesart eines jungen Regisseurs und wie es ihm gelingen würde, ein zweihundert Jahre altes zeitloses (mythenhaftes und darum hochpotentes) Drama aufzuheben, neu zu bewanden und zeitgenössisch zu interpretieren. Simon Solberg zeichnete neben der Regie auch für das Bühnenbild verantwortlich, das dem Betrachter eingangs einen Dschungel anbot. Aus diesem trat Jan Viethen in der Rolle des Dunois, entkleidete sich gänzlich, kokettierte mit seiner Nacktheit und stülpte sich ein Baströckchen über: ‚Liebe Neger, wir sind uns darin einig, dass eine derartige Darstellung von „Negern“ politisch nicht korrekt ist! Aber wir, die wir uns hier versammelt haben, wissen doch, dass es sich um das Persiflieren von uralten, in Fleisch und Blut übergegangenen Vorurteilen handelt. Darum müssen wir, eine aufgeklärte Theatergemeinde, politisch nicht korrekt sein.’
„Die Jungfrau von Orleans“ ist eine „romantische Tragödie“, mit der Schiller einen wesentlichen Beitrag leistete zu einer Reihe von Dramen, die den Prinzipien einer „hohen rührenden Gattung“ verpflichtet waren. Diese Klassifizierung kann bei vielen modernen Menschen ein Schaudern auslösen, insbesondere, wenn man sich die Tatsache bewusst macht, dass eben dieses Drama auf „mystisch-religösem“ Fundament ruht. Gottes- oder wie in diesem Fall „Marienerscheinungen“ taugen heute für esoterische Wochenblättchen oder vielleicht auch für die Bild-Zeitung, die sich ja bekanntlich auf jeden Schwachsinn stürzt. Doch bei näherer Betrachtung kommt man nicht umhin, einzusehen, dass es dem Pantheisten Schiller keineswegs um religiöse Läuterung ging. Wie in vielen guten Werken, diente dieser Ansatz auch hier lediglich einer Dramaturgie, die menschliche Verhaltensweisen, Leidenschaften oder Konflikte bloßlegt und spielbar macht.
Dabei sollte natürlich auch der historische Kontext nicht außer Acht gelassen werden, in dem das Drama entstand. In der historisch nicht genau belegten Vorlage hatte Johanna drei Tage nacheinander Marienerscheinungen, in denen ihr die Pflicht auferlegt wurde, auf jedes private Gefühl zu verzichten, um einem höheren Zweck, der Befreiung Frankreichs von der englischen Okkupation, zu dienen. Doch im Verlauf der Handlung, in der Johanna die französischen Truppen von einem Sieg zum nächsten führte, geriet ihr der Engländer Lionel vor die Klinge. Nachdem sie sein Gesicht ‚geschaut’ hatte, verliebte sie sich und verhalf ihm zur Flucht. Ein gewaltiger innerer Kampf tobte in Johanna, die jetzt plötzlich ein liebendes Weib war und abtrünnig wurde von ihrer göttlichen Berufung. Allein dieser Konflikt könnte abendfüllend sein. Doch Schiller wäre nicht Schiller, hätte er nicht das weite Feld von Politik und nationaler Identität beackert. Ihm ging es um das Pflanzen von nationaler Verbundenheit gegen die napoleonische Unterwerfung der deutschen Kleinstaaten mit dem Ziel einer deutschen Nation. Zuletzt wurde die kriegerische Jungfrau Opfer politischer Machenschaften und spätestens an dieser Stelle wurde das Drama höchst aktuell.
Also hätte man sich eigentlich auf den Abend im Volkstheater freuen können, hätte gespannt sein können auf die Lesart eines jungen Regisseurs und wie es ihm gelingen würde, ein zweihundert Jahre altes zeitloses (mythenhaftes und darum hochpotentes) Drama aufzuheben, neu zu bewanden und zeitgenössisch zu interpretieren. Simon Solberg zeichnete neben der Regie auch für das Bühnenbild verantwortlich, das dem Betrachter eingangs einen Dschungel anbot. Aus diesem trat Jan Viethen in der Rolle des Dunois, entkleidete sich gänzlich, kokettierte mit seiner Nacktheit und stülpte sich ein Baströckchen über: ‚Liebe Neger, wir sind uns darin einig, dass eine derartige Darstellung von „Negern“ politisch nicht korrekt ist! Aber wir, die wir uns hier versammelt haben, wissen doch, dass es sich um das Persiflieren von uralten, in Fleisch und Blut übergegangenen Vorurteilen handelt. Darum müssen wir, eine aufgeklärte Theatergemeinde, politisch nicht korrekt sein.’
Kristina Pauls, Jean-Luc Bubert © Arno Declair |
Hoppla! Ist das wirklich so? Und warum sind wir plötzlich bei einem afrikanischen Stamm gelandet? Das Programmheft gibt Auskunft: In diesem Drama geht es um Kolonialismus und konkret um die Ausbeutung Nigerias durch multinationale Ölkonzerne, insbesondere durch die Royal Dutch Shell Group. Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich! Das war selbst dem Kühnsten noch nicht aufgefallen, dass in diesem Schiller-Stück Kolonialismus verhandelt wird. Aber aufgemerkt: Es liegt auf der Hand, wurde doch das Land 1861 durch England kolonisiert. Da ist es auch ein Leichtes, Orleans und den französischen Adel in die zersplitterten Königreiche des vorkolonialen Nigeria zu verpflanzen. Wir wollen uns an dieser Stelle nicht von der Tatsache verwirren lassen, dass es sich um den „Hundertjähriger Krieg“ (1337 und 1453) handelte, in dem ein englisch-französischer Konflikt um die Thronfolge ausgefochten wurde. Die Kolonisierung außereuropäischer Gebiete hatte zwar noch nicht begonnen, aber aus der Theaterperspektive betrachtet sind „wilde Neger“ schließlich lustiger als gebildete und kultivierte Franzosen.
Alle diese Ungereimtheiten wurden auch nicht glaubhafter, als die ‚heilige’ Johanna auf der Bildfläche erschien. Kristina Pauls fiel als eine gehetzte schwert- und fäusteschwingende Manga-Prinzessin ein, dürftige Sprechblasen absondernd, deren Inhalte weitestgehend unverständlich blieben, da sie in ihrer Atemlosigkeit nicht Text verschleuderte, sondern große, asthmatisch anmutende Gefühle. Da wurde geschnauft und gequetscht, unterbrochen von Kung-Fu und Prügelkaskaden. Wäre Chuck Norris über die Bühne gegeistert, niemand hätte Anstoß daran genommen, denn die Ästhetik amerikanischer Action-Filme war unübersehbar. Die Männer, bei Schiller gefürchtete Kriegshelden, zelebrierten Runnig-Gags und Blödheiten, wie man sie nur auf dem untersten Level in den Comedy-Sendungen des Privatfernsehens findet. Kaum ein Satz ging über die Bühne, der nicht totgeblödelt wurde. Es war erstaunlich, wie viele physische und materielle Anstrengungen es kosten kann, so schlechtes Theater zu produzieren. Diese Inszenierung hat gewollt oder ungewollt die Intelligenz des Betrachters beleidigt.
Wozu bedurfte es eigentlich Schillers, wenn die Geschichte so wenig mit der klassischen Vorlage zu tun hatte? (In der Titulierung „nach Schiller“ kommt Schiller unbestritten vor.) Diese Frage kann nur spekulativ beantwortet werden. Hier hat sich vermutlich ein junger Regisseur hinter einer Autorität verschanzt, die allein durch Name und Titel künstlerische Seriosität verspricht. Es wird momentan in der Öffentlichkeit sehr viel über Missbrauch gesprochen; dieses Wort würde ich in Bezug auf die Volkstheaterinszenierung gleichfalls ins Spiel bringen. Schiller war es, der im Zusammenhang mit dem Theater von einer „moralischen Anstalt“ sprach. Theater war und ist eine Bildungseinrichtung! Diesen Gedanken hat Regisseur Simon Solberg schändlichst verraten. Wenn bittere Wahrheiten nur noch lustig sind, zeitigen sie keine moralische Entrüstung mehr. Nigeria ins Spiel zu bringen, ist dabei höchst verwerflich, da es um das Leid von Millionen Menschen geht. Das fleischgewordene Ergebnis schnappte ich beim Verlassen des Theaters auf. Eine Frau sagte zu ihrem Begleiter: „War doch schön, oder? War doch lustig.“
Nein, ganz im Gegenteil: Diese Inszenierung markiert leider einen künstlerischen Tiefpunkt in der beachtlichen Tradition des Volkstheaters. In dieser Talsohle der Kunst angekommen, bleibt nur zu hoffen, dass sich wieder Gipfel auftun werden.
Alle diese Ungereimtheiten wurden auch nicht glaubhafter, als die ‚heilige’ Johanna auf der Bildfläche erschien. Kristina Pauls fiel als eine gehetzte schwert- und fäusteschwingende Manga-Prinzessin ein, dürftige Sprechblasen absondernd, deren Inhalte weitestgehend unverständlich blieben, da sie in ihrer Atemlosigkeit nicht Text verschleuderte, sondern große, asthmatisch anmutende Gefühle. Da wurde geschnauft und gequetscht, unterbrochen von Kung-Fu und Prügelkaskaden. Wäre Chuck Norris über die Bühne gegeistert, niemand hätte Anstoß daran genommen, denn die Ästhetik amerikanischer Action-Filme war unübersehbar. Die Männer, bei Schiller gefürchtete Kriegshelden, zelebrierten Runnig-Gags und Blödheiten, wie man sie nur auf dem untersten Level in den Comedy-Sendungen des Privatfernsehens findet. Kaum ein Satz ging über die Bühne, der nicht totgeblödelt wurde. Es war erstaunlich, wie viele physische und materielle Anstrengungen es kosten kann, so schlechtes Theater zu produzieren. Diese Inszenierung hat gewollt oder ungewollt die Intelligenz des Betrachters beleidigt.
Wozu bedurfte es eigentlich Schillers, wenn die Geschichte so wenig mit der klassischen Vorlage zu tun hatte? (In der Titulierung „nach Schiller“ kommt Schiller unbestritten vor.) Diese Frage kann nur spekulativ beantwortet werden. Hier hat sich vermutlich ein junger Regisseur hinter einer Autorität verschanzt, die allein durch Name und Titel künstlerische Seriosität verspricht. Es wird momentan in der Öffentlichkeit sehr viel über Missbrauch gesprochen; dieses Wort würde ich in Bezug auf die Volkstheaterinszenierung gleichfalls ins Spiel bringen. Schiller war es, der im Zusammenhang mit dem Theater von einer „moralischen Anstalt“ sprach. Theater war und ist eine Bildungseinrichtung! Diesen Gedanken hat Regisseur Simon Solberg schändlichst verraten. Wenn bittere Wahrheiten nur noch lustig sind, zeitigen sie keine moralische Entrüstung mehr. Nigeria ins Spiel zu bringen, ist dabei höchst verwerflich, da es um das Leid von Millionen Menschen geht. Das fleischgewordene Ergebnis schnappte ich beim Verlassen des Theaters auf. Eine Frau sagte zu ihrem Begleiter: „War doch schön, oder? War doch lustig.“
Nein, ganz im Gegenteil: Diese Inszenierung markiert leider einen künstlerischen Tiefpunkt in der beachtlichen Tradition des Volkstheaters. In dieser Talsohle der Kunst angekommen, bleibt nur zu hoffen, dass sich wieder Gipfel auftun werden.
Wolf Banitzki
Die Jungfrau von Orleans
nach Friedrich Schiller
Jean-Luc Bubert, Pascal Fligg, Justin Mühlenhardt, Kristina Pauls, Stefan Ruppe, Robin Sondermann, Jan Viethen Regie: Simon Solberg |