Volkstheater Anna Karenina von Armin Petras nach Lew Tolstoi
Anna Karenina oder die Freiheit der Entscheidung
Tolstois Romanepos ist ein überaus komplexes Werk, in dem die Geschichte dreier adliger Familien beschrieben wird, deren Schicksale miteinander verwoben sind. Armin Petras ging daran, den annähernd tausendseitigen Roman zu einer Bühnenfassung umzuarbeiten. Dabei beschränkte sich der Autor weitestgehend auf die drei wichtigen Handlungsstränge, deren Entwicklungen gegenläufig anmuten.
Fürst Stefan Oblonski, Bruder Anna Kareninas, ist von seiner Frau Dascha bei einem seiner regelmäßigen Seitensprünge ertappt worden. Dascha sieht in ihrer moralischen Entrüstung keinerlei Möglichkeit, die Ehe weiterzuführen. Doch am Ende ist diese Ehe die stabilste Beziehung, nicht zuletzt durch das Eingreifen Annas, die zur Besonnenheit mahnt.
Der Gutsbesitzer Lewin bemüht sich um Daschas junge Schwester Kitty Schtscherbazkaja, die jedoch in den Grafen Wronski verliebt ist, und ihm eine Abfuhr erteilt. Am Ende heiraten Lewin und Kitty, denn sie ziehen der großen Leidenschaft das kleine Glück vor.
Anna Karenina ist mit dem erfolgreichen und moralisch integeren Staatsbeamten Karenin verheiratet. Annas Liebesaffäre mit dem Grafen Wronski führt schließlich zum Bruch der Ehe, dem Verlust ihres Sohnes Serjosha und ihrer Selbsttötung. Gesellschaftlich deklassiert hatten sich die beiden Liebenden auf das Gut der Wronskis zurückgezogen und mussten nun erkennen, dass sie einander nicht mehr genügen. Wronski stürzte sich in die Arbeit; Anna stürzte ihrerseits in Depressionen. Das Ende ist bekannt.
Dass Tolstois Roman so erfolgreich war, lag nicht zuletzt auch daran, dass er ein gewaltiges Sittengemälde spiegelte. Die moralischen Prämissen und Tabus, die diese Liebesgeschichte im ausgehenden 19. Jahrhundert letztlich in einer Tragödie enden ließen, hatte noch lange über Tolstois Tod hinaus Bestand. Jetzt, davon kann man getrost ausgehen, sind sie in unserer westlichen Gesellschaft weitestgehend überwunden. Ehebruch heißt nur noch selten Ehebruch, da das Bewusstsein soweit gediehen ist, dass Ehen heutigentags eher in Ausnahmefällen bis zum Tod eines der beiden Partner Bestand haben und glücklich sind. Ehebruch implizierte immer auch eine Schuld, und selbst die Jurisprudenz verzichtet inzwischen weitestgehend auf den Begriff der Schuld bei Ehescheidungen. Das Gesetz trägt, und das ist unbestritten eine Errungenschaft, der Gefühlslage Rechnung. Niemand kommt mehr auf die Idee, von Schuld zu sprechen, wenn sich die Liebe verabschiedet hat.
Von dem Ballast des Sittengemäldes befreit, versuchte Regisseur Frank Abt im skelettartigen Dramenkonstrukt Armin Petras einer Fragestellung auf die Spur zu kommen, die uns im Hier und Heute auf den Nägeln brennt. Abt fand heraus, dass sich Anna Karenina letztendlich in einem Dilemma befand, das sie automatisch zur Tragödin werden ließ. Wie immer sich Anna Karenina entscheiden würde, sie wäre in jedem Fall die Verliererin. Also, so der Regisseur, ging es hier um die fragwürdige Freiheit zur Entscheidung.
Grundsätzlich: Wer die Freiheit zur Entscheidung in Frage stellt, steht vor einem unlösbaren Problem. So geschehen in Frank Abts Inszenierung, die keine Antworten zu geben vermochte. Abgesehen davon ist die Betrachtungsweise, ob Anna Karenina in jedem Fall die Verliererin ist, doch eine sehr subjektive. Aus entsprechender Perspektive betrachtet, könnte die Behauptung, Anna habe dem Leben das Größtmögliche abgefordert und auch (temporär) bekommen, während sich alle anderen auf spießigste Weise (für die Ewigkeit) eingerichtet haben, schwerlich angefochten werden. Freiheit ist immer nur eine Idee, die zu leben mit einem Risiko verbunden ist. Der Idealist hält folglich dagegen, jeder Versuch der Freiheit lohnt sich, weil man dadurch das Menschsein spürt. Für die Liebe gibt es noch keine Altersvorsorge. Aber vielleicht gibt es schon ein Unternehmen, das an diesem Problem arbeitet.
Tolstois Romanepos ist ein überaus komplexes Werk, in dem die Geschichte dreier adliger Familien beschrieben wird, deren Schicksale miteinander verwoben sind. Armin Petras ging daran, den annähernd tausendseitigen Roman zu einer Bühnenfassung umzuarbeiten. Dabei beschränkte sich der Autor weitestgehend auf die drei wichtigen Handlungsstränge, deren Entwicklungen gegenläufig anmuten.
Fürst Stefan Oblonski, Bruder Anna Kareninas, ist von seiner Frau Dascha bei einem seiner regelmäßigen Seitensprünge ertappt worden. Dascha sieht in ihrer moralischen Entrüstung keinerlei Möglichkeit, die Ehe weiterzuführen. Doch am Ende ist diese Ehe die stabilste Beziehung, nicht zuletzt durch das Eingreifen Annas, die zur Besonnenheit mahnt.
Der Gutsbesitzer Lewin bemüht sich um Daschas junge Schwester Kitty Schtscherbazkaja, die jedoch in den Grafen Wronski verliebt ist, und ihm eine Abfuhr erteilt. Am Ende heiraten Lewin und Kitty, denn sie ziehen der großen Leidenschaft das kleine Glück vor.
Anna Karenina ist mit dem erfolgreichen und moralisch integeren Staatsbeamten Karenin verheiratet. Annas Liebesaffäre mit dem Grafen Wronski führt schließlich zum Bruch der Ehe, dem Verlust ihres Sohnes Serjosha und ihrer Selbsttötung. Gesellschaftlich deklassiert hatten sich die beiden Liebenden auf das Gut der Wronskis zurückgezogen und mussten nun erkennen, dass sie einander nicht mehr genügen. Wronski stürzte sich in die Arbeit; Anna stürzte ihrerseits in Depressionen. Das Ende ist bekannt.
Dass Tolstois Roman so erfolgreich war, lag nicht zuletzt auch daran, dass er ein gewaltiges Sittengemälde spiegelte. Die moralischen Prämissen und Tabus, die diese Liebesgeschichte im ausgehenden 19. Jahrhundert letztlich in einer Tragödie enden ließen, hatte noch lange über Tolstois Tod hinaus Bestand. Jetzt, davon kann man getrost ausgehen, sind sie in unserer westlichen Gesellschaft weitestgehend überwunden. Ehebruch heißt nur noch selten Ehebruch, da das Bewusstsein soweit gediehen ist, dass Ehen heutigentags eher in Ausnahmefällen bis zum Tod eines der beiden Partner Bestand haben und glücklich sind. Ehebruch implizierte immer auch eine Schuld, und selbst die Jurisprudenz verzichtet inzwischen weitestgehend auf den Begriff der Schuld bei Ehescheidungen. Das Gesetz trägt, und das ist unbestritten eine Errungenschaft, der Gefühlslage Rechnung. Niemand kommt mehr auf die Idee, von Schuld zu sprechen, wenn sich die Liebe verabschiedet hat.
Von dem Ballast des Sittengemäldes befreit, versuchte Regisseur Frank Abt im skelettartigen Dramenkonstrukt Armin Petras einer Fragestellung auf die Spur zu kommen, die uns im Hier und Heute auf den Nägeln brennt. Abt fand heraus, dass sich Anna Karenina letztendlich in einem Dilemma befand, das sie automatisch zur Tragödin werden ließ. Wie immer sich Anna Karenina entscheiden würde, sie wäre in jedem Fall die Verliererin. Also, so der Regisseur, ging es hier um die fragwürdige Freiheit zur Entscheidung.
Grundsätzlich: Wer die Freiheit zur Entscheidung in Frage stellt, steht vor einem unlösbaren Problem. So geschehen in Frank Abts Inszenierung, die keine Antworten zu geben vermochte. Abgesehen davon ist die Betrachtungsweise, ob Anna Karenina in jedem Fall die Verliererin ist, doch eine sehr subjektive. Aus entsprechender Perspektive betrachtet, könnte die Behauptung, Anna habe dem Leben das Größtmögliche abgefordert und auch (temporär) bekommen, während sich alle anderen auf spießigste Weise (für die Ewigkeit) eingerichtet haben, schwerlich angefochten werden. Freiheit ist immer nur eine Idee, die zu leben mit einem Risiko verbunden ist. Der Idealist hält folglich dagegen, jeder Versuch der Freiheit lohnt sich, weil man dadurch das Menschsein spürt. Für die Liebe gibt es noch keine Altersvorsorge. Aber vielleicht gibt es schon ein Unternehmen, das an diesem Problem arbeitet.
Xenia Tiling, Barbara Romaner © Arno Declair |
Ca. drei Stunden dauerte die Bühnenfassung des Romans im Volkstheater. Die Geschichte wurde übersichtlich erzählt. Wohlgemerkt: Erzählt, denn die Texte waren überwiegend reflexiv, prosanah und nicht selten fühlte man sich in ein Hörbuch versetzt. Zudem hatte Frank Abt die Personen gegeneinander ausgewechselt, ließ jeweils die Texte des oder der anderen Darsteller sprechen, was ein weiteres Abrücken von den Wirkungsweisen der dramatischen Kunst bedeutete und was den Prosacharakter der Veranstaltung zusätzlich verstärkte. Daher kann nicht geleugnet werden, dass die Inszenierung einige Länge aufwies. Regisseur Abt, der sich ganz sicher im Klaren darüber war, wie sehr sich die Geschichte in die Länge ziehen würde, stachelte seine Protagonisten denn auch zu frenetischem Spiel an. So gingen Barbara Romaner (Anna) und Robin Sondermann (Wronski) mehrfach auf die emotionalen Barrikaden, schrieen sich und der Welt ihre Liebe, aber auch ihre Verzweifelung ins Antlitz. Nicht selten gerieten diese Szenen zu einer Gefühlsepilepsie, die dem nüchternen Betrachter die Tür in das Mitfühlen vor der Nase zuschlug.
Dennoch muss die Leistung gerade dieser beiden Darsteller gelobt werden, denn ihnen war ihr ernsthaftes Bemühen deutlich anzusehen, eine der größten Liebesgeschichten mit Blut zu erfüllen.
Auf kollegiale Hilfe brauchten sie dabei nicht zu verzichten. Stefan Ruppe hinterließ mit seiner hochsensiblen und komischen Gestaltung der Figur des Lewins einen bleibenden Eindruck. Kristina Pauls Kitty entwickelte sich mit der Geschichte. Am Anfang noch mädchenhaft linkisch und verliebt auf Wronski schielend, stand am Ende eine Braut im Raum, die Lewin, den Erhörten, kurz und knapp zu verstehen gab, was ihn zukünftig als Ehemann erwarten würde. Friedrich Mücke (Karenin) und Xenia Tilling (Dascha) ähnelten sich in ihren Haltungen als selbstkontrollierte, auf die Etikette und den Ruf achtende Bürger. Friedrich Mücke nahm man den hohen Staatsbeamten ebenso unzweifelhaft ab wie Xenia Tilling die duldende, aber doch dominante Ehefrau. Torsten Kindermann wurde in seiner Rolle als Fürst Stefan Oblonski wenig gefordert. Dafür waren seine musikalischen Auslassungen am Klavier für das Atmosphärische von überragender Bedeutung.
Ästhetisch erwies sich die Inszenierung als geschlossen. Für Bühne und Kostüme zeichnete Oliver Helf verantwortlich. Er beließ es bei einer Spielfläche, die versatzweise mit Mobiliar ausgestattet war, das auf das ausgehende 19. Jahrhundert verwies. Die Darsteller trugen Kostüme, wie sie in den Petersburger Salons vermutlich anzutreffen waren. Dabei vermied es der Ausstatter, ein realistisches Bild der Zeit der Belle Epoque zu kreieren. Die Andeutungen waren maßvoll und erfüllten bestens ihren Zweck. Im zweiten Teil erstreckte sich die Spielfläche bis in den hintersten Bühnenraum. Sie war jetzt eine Eislauffläche und suggerierte, dass es nun darauf ankam, Geschick zu entwickeln, um auf den Beinen zu bleiben. Das damalige gesellschaftliche Leben war auf dünnem Eis angesiedelt. Da galt es, den Schein zu wahren. Karenin brachte es sinngemäß auf den Punkt: In dieser Gesellschaft wird niemand geduldet, der nicht lachen kann.
Die Inszenierung ist in jedem Falle sehenswert, insbesondere für den, der den Roman nicht kennt oder für den, der ein natürlicheres Bild von Anna Karenina bekommen möchte als das, welches Greta Garbo hinterließ.
Ob die Geschichte noch immer modern ist, muss jeder aus seiner Lebenshaltung und -erfahrung heraus für sich entscheiden. Mir erscheint es wie ein großes tragisches Märchen aus einer Zeit, als Liebe noch anstößig war, wenn ihr der Segen von außen fehlte.
Um über die Freiheit der Entscheidung nachzudenken, dazu verleitete der Abend nicht zwingend.
Dennoch muss die Leistung gerade dieser beiden Darsteller gelobt werden, denn ihnen war ihr ernsthaftes Bemühen deutlich anzusehen, eine der größten Liebesgeschichten mit Blut zu erfüllen.
Auf kollegiale Hilfe brauchten sie dabei nicht zu verzichten. Stefan Ruppe hinterließ mit seiner hochsensiblen und komischen Gestaltung der Figur des Lewins einen bleibenden Eindruck. Kristina Pauls Kitty entwickelte sich mit der Geschichte. Am Anfang noch mädchenhaft linkisch und verliebt auf Wronski schielend, stand am Ende eine Braut im Raum, die Lewin, den Erhörten, kurz und knapp zu verstehen gab, was ihn zukünftig als Ehemann erwarten würde. Friedrich Mücke (Karenin) und Xenia Tilling (Dascha) ähnelten sich in ihren Haltungen als selbstkontrollierte, auf die Etikette und den Ruf achtende Bürger. Friedrich Mücke nahm man den hohen Staatsbeamten ebenso unzweifelhaft ab wie Xenia Tilling die duldende, aber doch dominante Ehefrau. Torsten Kindermann wurde in seiner Rolle als Fürst Stefan Oblonski wenig gefordert. Dafür waren seine musikalischen Auslassungen am Klavier für das Atmosphärische von überragender Bedeutung.
Ästhetisch erwies sich die Inszenierung als geschlossen. Für Bühne und Kostüme zeichnete Oliver Helf verantwortlich. Er beließ es bei einer Spielfläche, die versatzweise mit Mobiliar ausgestattet war, das auf das ausgehende 19. Jahrhundert verwies. Die Darsteller trugen Kostüme, wie sie in den Petersburger Salons vermutlich anzutreffen waren. Dabei vermied es der Ausstatter, ein realistisches Bild der Zeit der Belle Epoque zu kreieren. Die Andeutungen waren maßvoll und erfüllten bestens ihren Zweck. Im zweiten Teil erstreckte sich die Spielfläche bis in den hintersten Bühnenraum. Sie war jetzt eine Eislauffläche und suggerierte, dass es nun darauf ankam, Geschick zu entwickeln, um auf den Beinen zu bleiben. Das damalige gesellschaftliche Leben war auf dünnem Eis angesiedelt. Da galt es, den Schein zu wahren. Karenin brachte es sinngemäß auf den Punkt: In dieser Gesellschaft wird niemand geduldet, der nicht lachen kann.
Die Inszenierung ist in jedem Falle sehenswert, insbesondere für den, der den Roman nicht kennt oder für den, der ein natürlicheres Bild von Anna Karenina bekommen möchte als das, welches Greta Garbo hinterließ.
Ob die Geschichte noch immer modern ist, muss jeder aus seiner Lebenshaltung und -erfahrung heraus für sich entscheiden. Mir erscheint es wie ein großes tragisches Märchen aus einer Zeit, als Liebe noch anstößig war, wenn ihr der Segen von außen fehlte.
Um über die Freiheit der Entscheidung nachzudenken, dazu verleitete der Abend nicht zwingend.
Wolf Banitzki
Anna Karenina
von Armin Petras nach Lew Tolstoi
Friedrich Mücke, Kristina Pauls, Barbara Romaner, Stefan Ruppe, Robin Sondermann, Xenia Tiling, Torsten Kindermann Regie: Frank Abt |