Volkstheater Ein Volksfeind von Henrik Ibsen




Keine Panik: Alles ist, wie es war ...

Kurarzt Dr. Stockmann ist beliebt in seiner Heimatstadt, denn auf seinen Rat hin wurde das Städtchen in ein Kurbad umgewandelt. Die heimischen Investoren sind zufrieden mit der Rendite. Da es jedoch in der vergangenen Saison zu einigen auffälligen Erkrankungen unter den Kurgästen gekommen war, hatte Tomas Stockmann Wasserproben in einem Labor analysieren lassen. Das Ergebnis trifft zum Handlungsbeginn ein und ist verheerend. Das vermeintlich heilsame Wasser am Ort ist eine Kloake, verseucht von den Abwässern der heimischen Industrie. Nun gilt es zu handeln und als erster erfährt Bruder Peter Stockmann von dem Gutachten. In seiner Macht sollte es liegen, sofort die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, die da wären, den Kurort für zwei Jahre als solchen zu schließen und eine Millionen (Euro) teure Sanierung vorzunehmen. Spontane Unterstützung erfährt Tomas Stockmann von Hovstad, dem Redakteur des vor sich hindümpelnden Stadtblattes. Tomas ist sehr überrascht, als er erkennen muss, dass Dank eines vom Bruder in Auftrag gegebenen Gegengutachtens die ganze Angelegenheit doch eher harmlos erscheint. Die Aktionäre, vertreten durch Ruth Aslaksen, fürchten Einbußen und machen ihre Einflüsse geltend. Dr. Stockmann nimmt den Fehdehandschuh auf und ruiniert sich und seine Familie im Kampf um die Wahrheit. Als erklärter „Volksfeind“ wird er aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.

Die Modernität des 1882 geschriebenen Stückes springt geradezu ins Auge. Tagtäglich feiern in unserem Land neoliberale Lobbyisten Triumphe und das Volk, dessen Belange von den Volksvertretern längst nicht mehr vertreten werden, sieht sich ohnmächtig einer sonderbar deformierten Demokratie gegenüber. Ibsen war kein Mann des sozialen Engagements. Es hat ihn nicht einmal sonderlich interessiert, obgleich er als Kind einen Wirtschaftsruin am eigenen Leib miterleben musste. Der große Norweger war eher ein Anarchist, der an die unbedingte Notwendigkeit zur Wahrheit glaubte und dessen Dramen ständig überprüften, wie weit Ideal und Realität voneinander entfernt waren. „Es gilt, sich selbst zu retten. (...) Der Staat ist der Fluch des Individuums. Der Staat muss weg.“ (Henrik Ibsen) Er verabscheute die Politik und den Staat, ohne allerdings auch nur ansatzweise Alternativen aufzeigen zu können oder zu wollen. Der Arzt Tomas Stockmann trägt deutliche Züge seines Schöpfers, dessen Weltanschauungen gelegentlich wie Narreteien  erscheinen. „Ibsen hält gern der Moral Moralpredigten und ruft die Ordnung zur Ordnung.“ Alfred Polgar

Regisseurin Bettina Bruinier wusste genau um die Schwächen und Stärken dieses Stückes und griff beherzt ein. Als sich der „Strudelkopf“, wie Ibsen Tomas Stockmann genannt hatte, am Ende mit den Worten: „Der ist der stärkste Mann der Welt, der allein steht.“, selbst definierte, schoss ihn seine Ehefrau Katrine nieder. Der moralische Zersetzungsprozess hat für Bettina Bruinier selbst vor der letzten Bastion menschlicher Sicherheit, der Familie, nicht Halt gemacht. Ihre Abrechnung mit dem Jetzt und Heute ist tabulos. Ohne ins Kabarettistische zu verfallen, verweist sie mit aller Deutlichkeit auf aktuelle Vorgänge und auch auf Personen. Die Volkstheaterinszenierung ist inhaltlich kompromissloses und ästhetisch gut gestaltetes politische Theater.

volksfeind

Robin Sondermann, Stefan Ruppe, Jean-Luc Bubert, Xenia Tiling

© Arno Declair

 

Markus Karner hatte eine Bühne aus weißen gelochten Stellwänden geschaffen, wie man sie aus Großraumbüros kennt. Eingelassene Fenster wiesen den Raum auch als fixes Gebäude aus. An mehreren Stellen wurde das Weiß durchgängig als Projektionsflächen genutzt, auf denen Videos (Media Artist: Kerstin Polte) das Agieren aller Darsteller unter Wasser zeigten. Wasser war der Gegenstand des Spiels und auf diese Weise war es allgegenwärtig. Im Verlauf der Handlung wurden Pappkameraden auf die Bühne gebracht, die sowohl „kompakte Majoritäten“ als auch „Wahlvolk“ vorstellten. Die überschaubare Bildhaftigkeit ließ sich mühelos entschlüsseln. Bettina Bruinier ließ die Räume erspielen, beginnend mit der Wohnung Stockmanns, in der man eine Party feierte. Der Versammlungsraum, in dem Stockmann seine Anklage erheben wollte und in dem er zum Volksfeind ernannt wurde, hatte den Charakter eines Parlaments. Redakteur Hovstad und sein Gehilfe hockten sehr eng beieinander, denn die Zeitung befand sich in der Krise und Redaktionsraum war schon immer teuer.

Friedrich Mücke gab den Dr. Tomas Stockmann anfänglich naiv-liebenswert. Alles schien zum Besten gerichtet und Stockmann schwelgte so sehr im kleinen Glück, dass er nicht einmal ansatzweise begriff, welche Auswirkungen sein Wissen auf die Gesellschaft haben würde. Am Ende schwor Mückes Stockmann jeder Versuchung, die sich gegen die Wahrheit richten könnte, rigoros ab. Sein, an der Realität gemessen, lächerlicher Idealismus zwang die Protagonisten zum Handeln. Der wichtigste Gegenspieler war der von Robin Sondermann dargestellte Bruder Peter. Sondermann gelang es, den Zwiespalt zwischen Bürgermeister und Bruder differenziert zu gestalten. So wurde Peter Stockmann nicht ausschließlich zum plakativen Gegner, selbst dann nicht, als er den Bruder zum offiziellen Volksfeind erklärt. Dabei war Zorn und Verzweifelung über Uneinsichtigkeit die Triebfeder, keinesfalls jedoch Machtlüsternheit. In einer anderen wichtigen Rolle überzeugte Xenia Tiling. Als Ruth Aslaksen brachte sie eine „Erfolgsfrau“ auf die Bühne, deren Anblick und Agieren Beklemmungen erzeugte. Sie entwarf eine Frau, die eiskalt und zynisch die Handlung vorantrieb. Äußerlich entsprach die Darstellerin durchaus dem, von der Journaille verherrlichten Bild der „Powerfrau“. In dieser Inszenierung wurde allerdings deutlich, dass man so ein Frauenbild nicht anhimmeln, sondern eher fürchten sollte. Im Gegensatz dazu demonstrierten Kristina Pauls (Tochter Petra) und Mareile Blendl (Ehefrau Stockmanns) fassbare Menschlichkeit. Kristina Pauls, die jugendliche Variante des Idealistenvaters, reagierte ohne Kalkül, aufbrausend und einfordernd. Mareile Blendl als Ehefrau Katrine versuchte verzweifelt Harmonien herzustellen. Sie war jedoch völlig überfordert mit einer Situation, in der sie wie ein Ball im Strudel der Ereignisse immer wieder zwischen die Fronten gespült wurde. Jean-Luc Bubert, der als Hovstad dauertrinkend vor der eigenen Schamlosigkeit und moralischen Verwahrlosung zu fliehen versuchte, ließ erkennen, dass die Medien nicht mehr unbedingt der Wahrheit verpflichtet sein müssen und dass die einstige Macht zu einem zahnlosen an der Leine geführten Tiger verkommen ist.

Wieder einmal bot das Ensemble des Volkstheaters eine respektable Leistung, und wieder einmal stellte Regisseurin Bettina Bruinier ihr Können unter Beweis. Inzwischen bürgt ihr Name auf dem Plakat des Münchner Volkstheaters für künstlerisch hochwertiges und anspruchsvoll unterhaltendes Theater. Und noch etwas zeichnet diese Inszenierung aus: Sie kommt im rechten Gewand zur richtigen Zeit, und zwar unmissverständlich.


Wolf Banitzki

 

 

 


Ein Volksfeind

von Henrik Ibsen

Mareile Blendl, Jean-Luc Bubert, Pascal Fligg, Wolfram Kunkel, Friedrich Mücke, Kristina Pauls, Stefan Ruppe, Robin Sondermann, Xenia Tiling

Regie: Bettina Bruinier