Volkstheater Solaris nach Stanislaw Lem




Was ist hinterm Horizont?

Stanisław Lem (1921-2006) studierte Medizin. Er konnte das Studium allerdings nicht abschließen, da er sich weigerte, der pseudowissenschaftlichen (und ziemlich hirnrissigen) Lehre des stalinistischen Agrarwissenschaftlers Lyssenko in einem Examen das Wort zu reden. Er fiel durch, konnte zwar fortan nicht als Arzt praktizieren, aber doch immerhin in der Forschung weiterarbeiten. Er verlegte sich in dieser Zeit schon auf das Schreiben. Lem avancierte zu einem Schlüsselautor der modernen Science-fiction, womit er immer noch unterschätzt wurde, denn im eigentlichen Sinn war er ein Philosoph, dessen Denken nicht nur eine neue Begrifflichkeit schuf, sondern die Grenzen des Vorstellbaren in die Tiefen des Universums hinaus verschob. Während die meiste SF-Literatur in den vornehmlich destruktiven Denkweisen der Menschheitsgeschichte verharrt, sinnierte Lem bereits in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts über Formen von Intelligenz, die das Animalische, das Kriegerische, das individuell Egoistische nicht kennt. Damit hinterfragte er das Wesen Mensch auf die radikalste Weise, denn er forderte damit Antworten ein, die über den Fortbestand unserer Spezies entscheiden werden. Damit war Lem auch im Sozialismus, der vorgeblich freiesten und zukunftsträchtigsten Gesellschaftsordnung, ein Subversiver.

Lems 1961 verfasster Roman „Solaris“ wurde bis dato drei Mal verfilmt: 1968 von Boris Nirenburg, 1971 von Andrej Tarkowski und zuletzt 2002 von Steven Soderbergh. (Nebenbei, Lem lehnte die beiden letztgenannten Verfilmungen ab.) Allein diese Tatsache beweist, dass der Roman für die Künstler jeder Generation seit seiner Entstehung eine permanente Herausforderung war und ist. Das mag vielleicht daran liegen, dass die meiste moderne SF-Literatur überwiegend das Bedürfnis nach Unterhaltung und nach technischen Spezialeffekten bedient, oder aber zu Propagandazwecken entsteht. (Zahlen darüber, wie oft das amerikanische Pentagon im Hintergrund als Produzent fungiert, sollte die Alarmglocken schrillen lassen!) Tatsächlich gelang es den letzten beiden Filmen mit dem Titel „Solaris“ lediglich, eine Ahnung von den Dimensionen des philosophischen Anspruchs zu vermitteln.

Lem hält sich in seinem Buch nicht mit der Urangst der menschlichen Spezies auf, allein im Universum zu sein, er beantwortet diese seit Anbeginn im Raum stehende  Frage nach anderen Wesen vielmehr damit, dass er anmerkt, es könnte dem Menschen in seiner Unvollkommenheit nur schwer oder gar nicht gegeben sein, die möglichen Spielarten von Intelligenz zu erkennen oder zu begreifen, oder gar mit ihr korrespondieren zu können. Damit entgrenzt er das Denken dergestalt, dass sich der Homo sapiens sapiens seiner „kleinen“, menschlichen Denkweise schämen sollte, bekommt er doch in der heutigen Realität aufgrund seiner charakterlichen Schwächen nicht einmal die simpelsten Probleme in den Griff. Lem fordert den Menschen auf, ohne es zu artikulieren, den real existierenden Menschen zu überwinden und, wie es Nitzsche nannte, „Übermensch“ zu werden.

solaris

Stefan Ruppe, Robert Merdzo, Robin Sondermann, Pascal Fligg

© Arno Declair

Ort der Handlung ist ein kleiner Planet, ein Trabant, genannt Solaris. Forscher entdeckten bei ihrer Suche nach extraterrestrischem Leben, dass dieser kleine, fast gänzlich von einem Ozean bedeckte Himmelkörper scheinbar nicht den physikalischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Eine Raumstation wurde errichtet, nachdem man vermutete, es handle sich um die Anwesenheit von Intelligenz. Doch aller Versuche der Kontaktaufnahme scheiterten. Die Forscher greifen zu härteren Methoden und setzten den Ozean „harter Strahlung“ aus. Die Nachrichten, die die Erde danach erreichen, sind besorgniserregend. Der Astronaut Gibarian hat sich das Leben genommen. Ein anderer, Fechner, verschwindet bei einem Aufklärungsflug. Die Erde schickt den Psychologen Kris Kelvin zur Station, um Aufklärung zu erhalten. Dort befinden sich Snaut und Sartorius, beide hochgradig verstört und zu keiner vernünftigen Kommunikation, die Aufklärung schaffen könnte, fähig. Dass die beiden regelmäßig Besuch erhalten, erfährt Kelvin erst, als er selbst von einer Erscheinung, seiner zehn Jahre zuvor verstorbenen Frau, heimgesucht wird. Harey, sie erscheint als dreidimensionales, sehr realistisches Abbild, hatte sich nach der Trennung beider das Leben genommen. Kelvin hält sich selbst für hochgradig schuldig. Langsam dämmert es dem Psychologen, dass sie nicht verrückt sind, sondern, dass Solaris, ein hochkomplexer Organismus, auf diese Weise mit den Menschen kommuniziert. Solaris hält dem Menschen den Spiegel vor und entblößt dessen Unzulänglichkeit erbarmungslos.


Regisseurin Bettina Bruinier konnte am Volkstheater mehrfach mit überaus intelligenten und künstlerisch hochwertigen Inszenierungen aufwarten. Ihre Arbeiten zeugten immer von einem freien und weitgreifenden Geist. Vermutlich wollte sich die Künstlerin mit dieser Theaterarbeit den Traum erfüllen, dem großartigen Werk Lems Fleisch und Stimme zu geben, wie die drei Filmregisseure vor ihr. Zumindest über die zwei letztgenannten Filme gelangte sie hinaus, indem sie dem Roman verhaftet blieb. Allerdings stellt sich die Frage, ob der Stoff sich dafür eignet, auf eine Theaterbühne gebracht zu werden. Das kann nicht verneint werden, da die Geschichte für den, der ihr folgen konnte (Es wurde mit umfänglicher physikalischer Terminologie hantiert.), spannend war. Unverständnis erzeugte naturgemäß das Gegenteil: Langeweile. In diesem Sinn wäre es anmaßend, den Stab über Sinn oder Unsinn der theatralen Einrichtung des Romans zu brechen. Sicher ist doch, Bescheidenheit im Anspruch gehört nicht ins und aufs Theater, sondern bleibt den sittlich Lauen außerhalb der Kunst vorbehalten.

Bühnenbildner Markus Karner hatte eine Raumstation geschaffen, dessen großes Panoramafenster Einblick in eine nüchterne Raumstation ermöglichte. Es war kein Ort des Lebens, vielmehr eine Arbeitsstätte, streng strukturiert und ohne lebendige Farbe. Stets präsent im hinteren Teil der Bühne auf einem kleinen Podest agierte der Musiker Robert Merdzo. Er verlieh den Vorgängen einen Sound, was der Grundidee sehr zugute kam, da ja die Intelligenz des Planeten Solaris ständig anwesend, aber nicht sichtbar war.  Robert Merdzo machte nicht nur sie fühlbar, sondern auch die inneren Vorgänge der Protagonisten. Den größten Teil der Geschichte hatte Pascal Fligg als Kris Kelvin zu leisten, was er auch mit engagiertem Spiel tat. Dabei musste er extreme emotionale Höhen und Tiefen glaubhaft machen, denn seine Figur befand sich vom ersten Augenblick an in Ausnahmesituationen. Hilfe konnte er dabei nicht erwarten, weder vom kettenrauchenden, völlig apathischen und zynischen Snaut (Stefan Ruppe), noch vom beinahe emotionslosen, völlig in sich zurückgezogenen Sartorius (Oliver Möller). Die Auftritte Gibarians, ebenfalls eine Projektion von Solaris, verwirrten den Psychologen bis an die Grenzen des Erträglichen. Robin Sondermann verlieh seiner Figur den Ausdruck einer abgeklärten Glückseligkeit, die nur bedeuten konnte, dass sie sich der außerirdischen Intelligenz hatte nähern können und wissend war. Gänzlich aus dem Rahmen fiel Lenja Schultze als Harey. Das lag in der Natur der Rolle, denn sie war fehl am Platze, verstand ihre eigene Anwesenheit über lange Zeit nicht. Die Amplitude ihre Gefühlswallungen schlug bis in jeden möglichen Winkel des Raumes aus.

Die Inszenierung sei unbedingt den Freunden von anspruchsvoller SF-Literatur (auf keinem Falle denen von Fantasy) empfohlen, denn die werden den Roman kennen und einen leichteren Zugang zur Arbeit von Bettina Bruinier haben. Sie soll aber auch all jenen Theaterfreunden empfohlen werden, deren Erwartung nicht darin besteht, dass Theater nur leichtzugängliches Vergnügen sein soll. Manchmal kann aus intellektueller Anstrengung auch ein großes Vergnügen gezogen werden, zumal, wenn sie mit so einer spannenden Geschichte gepaart ist.
Es war ein unspektakulärer Theaterabend, der aber gewaltige Denkanstöße geben konnte, ein Abend für Neugierige in Sachen Philosophie und am Thema „Was ist hinterm Horizont“ Interessierte.



Wolf Banitzki

 

 


Solaris

nach dem Roman von Stanisław Lem

Bühnenfassung: Bettina Bruinier und Katja Friedrich

Pascal Fligg, Oliver Möller, Stefan Ruppe, Lenja Schultze, Robin Sondermann

Regie: Bettina Bruinier