Volkstheater Die Orestie von Aischylos




In der „Orestie“ gibt es kein Happy End

Man kann Aischylos getrost den Stammvater des modernen Theaters (inzwischen 2500 Jahre alt) nennen. Er war es, der mit seiner Tetralogie das Kultdrama in den Stand des Kunstdramas erhob und nebenbei eine Revolutionierung des Theaters einleitete. „Die Orestie“ wurde erstmals 458 v.Chr. in Athen aufgeführt. Damit schenkte er der Welt vielleicht das „Urdrama“, das über Jahrtausende hinweg in seiner Dramaturgie und in seiner abgehandelten Mythologie, Offenbarungscharakter hatte. Inhalt ist die Geschichte des fluchbeladenen Atridengeschlechts. Und wie dankten es ihm seine Zeitgenossen? Er wurde beschuldigt, die eleusischen Feste entweiht zu haben. Verbittert zog sich der Dichter, der mit dem Schwert in der Hand sein Blut für Athen vergossen hatte, nach Sizilien zurück, wo er das Wohlwollen des Tyrannen Hieron I. genoss. Soviel zum Thema Kulturpolitik und Kulturpolitiker.

Inhalt der Tetralogie ist im ersten Teil die Ermordung des aus dem Trojanischen Krieg heimkehrenden Königs Agamemnon durch die Ehefrau Klytämnestra und deren Beischläfer Aigisthos (Neffe des Agamemnon) im Palast von Argos.
Im zweiten Teil kehrt Orest, Sohn des Agamemnon nach Argos zurück und tötet in einem Akt der Blutrache, von Apollon befohlen und angestachelt von der Schwester Elektra, die Mutter Klytämnestra und Aigisthos. Daraufhin wird er von den Rachegöttinnen, den Erinnyen heimgesucht und flieht nach Delphi in den Tempel des Apollon.
Dort wird er im dritten Teil durch Apollon von seiner Tat entsühnt. Er kehrt nach Athen zurück und stellt sich einem Gericht unter Vorsitz der Athene. Apollon tritt dabei als sein Verteidiger und gleichsam als Mitverantwortlicher an dieser Bluttat auf. Die Erinnyen verteidigen Klytämnestra mit dem Argument, dass sie nicht blutsverwandt mit Agamemnon sei. (Blut war schon immer dicker als Wasser.)  Muttermord steht gegen Gattenmord, und da Athene, die dem Haupte des Zeus entsprungen, nicht von einer Mutter geboren war, wirft sie ihren Stimmstein für Orest in die Waagschale. Er wird freigesprochen und damit das Geschlecht der Atriden nicht gänzlich ausgerottet wird, verwandelt Athene die rachedürstigen Erinnyen in Eumeniden, die fortan die segensreichen Schutzgötter der Stadt Athen sind. Der Kreislauf der Blutrache, unerklärbar, aber scheinbar tief im Menschen eingeboren, wird durchbrochen, zumindest auf dem Theater.
„Aischylos beschreibt hier den Übergang vom Blutsrecht zum Staatsrecht und damit die Gründung der modernen Demokratie.“ (Werbetext des Volkstheaters)

Tatsächlich ist die Blutrache noch fester Bestandteil des individuellen Rechtsempfindens in vielen Ländern auf der Erde. Das Programmheft zitiert einen Text von C. Emcke,  der berichtet, dass in Albanien nach dem Fall der pseudokommunistischen Alleinherrschaft Enver Hodschas 1991 ca. 20 000 Menschen in Blutfehden verwickelt und ca. 9 500 durch sie zu Tode kamen. Allein diese Zahlen belegen die Brisanz des Themas und hier handelt es sich nur um ein Land.

Der Betrachter wurde beim Betreten des Zuschauerraums von der offenen Bühne empfangen. Bühnenbildnerin Monika Rovan hatte die Wände tiefschwarz streichen lassen. Die Spielfläche war mit Sand aufgefüllt. In der Mitte loderte ein Lagerfeuer, drum herum Bierkästen, Kühlbox, Campinggestühl, Utensilien eine Beachparty. Und das war auch der erste Eindruck, es wurde getanzt und geschwatzt. Ein Brechtscher Verfremdungseffekt, der den Zuschauern sagen sollte, hier seht ihr eine blutrünstige mythologische Geschichte, die von Schauspielern vorgetragen wird? Hoffentlich, denn wenn nicht, bliebe das Ganze nur ein Strandfest.


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Kristina Pauls, Jean-Luc Bubert, Mareile Blendl, Xenia Tiling, Barbara Romaner, Robin Sondermann

© Andrea Huber


Unvermittelt begann das Spiel, stark verknappt und bis zum dritten Teil lediglich die Geschichte erzählend. Die Familienverhältnisse wurden beschrieben, der Konflikt bloßgelegt, schließlich die Messer gewetzt und zugestochen. Und obgleich eine ganze Familie daranging, sich gegenseitig auszurotten, gab es etliches, was Heiterkeit erzeugte. Lag es am Publikum oder an der Inszenierung von Christine Eder? Eines sollte klar sein, über diesem Drama sollte sich, wenn überhaupt, nur ein Homerisches Lachen legen, nicht ein Lachen, das aus Comedygags gespeist wird. Christine Eder ließ kaum eine Gelegenheit aus, Momente ins Komische kippen zu lassen. Das war ein trauriger Kniefall vor dem medialen Zeitgeist.

„Die Orestie“ von Aischylos ist ein so umfassendes Werk, das problemlos eine fünfstündige Vorstellung füllen könnte. Christine Eder trieb die Darsteller in nicht einmal zwei Stunden durch die Geschichte. Wozu sich auch mit Charakteren aufhalten, ging es ihr doch lediglich um die Fabel. Das erste Mal erlangte das Spiel antike und menschliche Größe, als Barbara Romaner in der Rolle der Klytämnestra im zweiten Teil die Nachricht vom vermeintlichen Tod ihres Sohnes Orest mit einem markerschütternden Schmerzensschrei kommentierte. Bis dahin konnte sich das Publikum an den Unterhosen Jean-Luc Buberts als Agamemnon satt sehen, ein fragwürdiges Vergnügen. Und die gewannen am Ende auch wieder die Überhand, als er den Gott Apollon billig chargierend zu entthronen meinte. Mareile Blendl sprang ihm in diesem Unterfangen als oberlippenbärtige Athene bei. An Stelle der Waagschale für die Stimmsteine reckte sie ein Paddel in die Höhe. Ein Paddel, das war lustig.

Wenn überhaupt mythologischer Habitus zutage trat, dann im Spiel von Barbara Romaner. Sie ließ sich auf nichts ein, was die Tragik verwässerte. Ebenso Robin Sondermann als Orest. Eingedenk seiner Rolle als unschuldiges Opfer und als schuldiger Täter zugleich, hielt er den Gestus dieser Rolle aufrecht, ohne sich zu  Plattitüden verleiten zu lassen. Xenia Tiling gab, ebenso unbeirrt ihrer Rolle folgend, eine vom Gedanken an die Blutrache zerfressene Elektra.

Das Anliegen von Christine Eder, auf das immer noch aktuelle Thema Blutrache hinzuweisen, mag durchaus lobenswert gewesen sein. Allein dieses Ziel hat sie deutlich verfehlt. Statt dessen gelang es ihr, die vielleicht grausamste Familiengeschichte in der Theaterliteratur, von Aischylos mit dem Ziel einer großen Katharsis verfasst, in eine unterhaltsame familientaugliche Theaterveranstaltung zu verwandeln. Am Schluss hatte man das Gefühl, es hätte ein Happy End gegeben. Selbst wenn das Drama bei Aischylos mit einer Jubelprozession endet, hat dieses Stück angesichts der Blutspur, die sich durch die Familie der Atriden zieht, kein wirklich glückliches Ende.

Sie hätte sich mehr vom (der Antike verpflichteten) Wort Walter Jens leiten lassen sollen, nach dessen Vorlage gespielt wurde, statt sich beim Publikum anzubiedern. Dann wäre dem Publikum ein Geschenk zuteil geworden. So wurde ihm nur mehr oder weniger die Zeit vertrieben.

Lösbar war das Problem, wie die Realität überdeutlich zeigt, unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen ohnehin nicht. Selbst Aischylos musste auf die Götter zurückgreifen, eine Schwäche, die allen antiken Dramen innewohnt, um das Desaster zu beenden. Dabei sind die Götter nie klüger als die Menschen. Sie unterscheiden sich vom Menschen lediglich darin, dass sie die fast uneingeschränkte Macht zur Willkür haben. Vielleicht käme man einer Lösung näher, wenn man nicht der Geschichte (als gottgegebene) das Wort redete, sondern ihr eine Vision von einer Gesellschaft mit Menschen, die frei von diesen Erbsünden sind, gegenüberstellt. Theater könnte das möglich machen.


Wolf Banitzki

 

 

 


Die Orestie

von Aischylos

Mareile Blendl, Jean-Luc Bubert, Justin Mühlenhardt, Kristina Pauls, Barbara Romaner, Robin Sondermann, Xenia Tiling

Regie: Christine Eder
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