Schwere Reiter UA Land von Cornelie Müller
Und nun?
Es ist das Land, das die Menschen formt. Es sind die Nahrungsmittel, die menschliche Substanz bilden. Es sind die Menschen, die die Menschen bewegen. Es ist die Natur, welche die Welt durchdringt und deren Grundlage ausmacht. Und eben die Vielfältigkeit der Natur schöpft Differenzierung, schafft übereinstimmende Annäherung, bewahrt vor einheitlicher Egalität. Existenz und also - ein Wechselspiel von Bewegung und Starre, von Luft und Boden, von Blut und Knochen, von Zugehörigkeit und Fremde – „ein Wirrwarr mit Widersprüchen“. Dieses Durcheinander wird in der Welt von Politik nachvollzogen, oder vielmehr in der Reaktion auf die Reaktion der Reaktion einer missverstandenen Aktion verbreitet. Migration, Emigration und Remigration bildeten den Kern dieser kunstvollen Suche, die es auf den Punkt brachte: „Weil man immer am falschen Ort ist.“
Cornelie Müller und Robert Spitz recherchierten in Bayern und Israel die Schicksale deutschstämmiger Juden. Oder waren es jüdische Deutsche? Schon hier tut sich die Diskrepanz durch Artikulation auf und die Vorbehalte schaffenden Akzente nähmen ihren Anfang. Jedenfalls, die spannende Geschichte der Familie Spitz zog sich wie ein rotes Band durch die Aufführung. Im Programmheft finden sich die Beweggründe ebenso ausführlich festgehalten, wie die Erinnerungen der verschiedenen Familienmitglieder. Die Suche nach Heimat – und also Verbindlichkeit – zeichnet eine abenteuerliche Wechselhaftigkeit im 20. Jahrhundert. Cornelie Müller, welche auch den Text schuf, legte bei diesem ebenso wie bei der detailliert abgestimmten Inszenierung den Schwerpunkt auf die verbindenden Momente. Denn eben diese Momente sind es, die Heimat (urspr. Ort wo man sich niederläßt, Lager) entstehen lassen. Sarah Camp, Robert Spitz und Sophie Wendt verkörperten Heimatsuchende, erspielten freudig bewegt berührende wie irritierende Augenblicke.
Die Betonung des Geschehens lag auf universeller Aktion, weniger auf dem Wort, welches doch ortsgebunden einer Sprache Ausdruck verleiht und in der alltäglichen Reduzierung deutliche Einschränkung verlautete. „Ja da halt ... wo ... da ... wie ... ja da ...“ Bisweilen prallten Worte aneinander ab, wie Steine an einer Wand. „Die Sprache allein genügt nicht mehr.“ Es wurden Erinnerungen gepflegt, ein Baum gepflanzt, eifrig eine schillernde Folie zerzupft, glatte Fassaden geputzt, auf dem Scherbenhaufen des Gestern die Fragilität des Heute zertreten, zwischen Konserve und persönlicher Musikalität hin- und hergezappt – das waren die Aktivitäten, die die Zeit füllten. In der Mitte stand die Frage: Kann ein Briefkasten mit Namensschild Heimat bedeuten, Identität bestätigen? Das Labyrinth aus Häuserwänden, Straßenschluchten, Gittern der Ausgrenzung, verschlungenen Wegen und Sackgassen war gegenwärtig, Ort. Im Bühnenbild (Bauten: Wolfgang Metzger) wirkten die egalisierenden Merkmale der Städte, die sich dennoch in der Art der Fassaden, den Namen der Straßen und naturgemäßem Bewuchs unterscheiden, wie die Videoprojektionen an den Außenwänden deutlich machten. Während der Klang (Paolo Mariangeli), vom gesprochenen Wort über Straßenlärm bis zum aufgezeichneten Zwitschern der Vögel, gegen die Stahlwände prallte und so Resonanz in den anwesenden Menschen auslöste. Alles allerorts im selben Modus? Auf der Bühne in München verstand es Michael Bischoff mit Hilfe von gesetztem Lichtdesign die einen oder anderen Momente deutlicher hervorzuheben, bzw. diese im Dunkel verschwinden zu lassen, Tag und Nacht in „Land“ zu erwecken.
Robert Spitz, Sophie Wendt, Sarah Camp ©Volker Derlath |
Eine Performance von „Blut und Boden“ war es keinesfalls. Es war in der Tat „Eine Annäherung“, eine Sensibilisierung für die Welt in der Mensch sich bewegt. Die Durchmischung von Schauspiel und Publikum, das dem Zuschauer sein eingebunden sein in Theater veranschaulicht, kann nachdenklich stimmen. Die Heranführung fand auf spielerische unaufdringliche Weise statt. Die Freiheit sich im Bühnenraum zu bewegen, durch die Kulissen zu schlendern oder auf einem kleinen beweglichen Hocker beobachtend am Rande des Geschehens zu sitzen, zeigte was der Mensch wirklich benötigt - Bewegungsraum, Rückzugszone, Interaktion und Beobachtungsphase. Dies gilt für alle, ob in Deutschland oder Israel, ob in der Ukraine oder auf Hawaii. Es scheint in der sogenannten Gesellschaft vergessen zu sein, verschüttet unter Lawinen von Gewalt oder marketinggemachten Scheinbedürfnissen, was das Leben eigentlich ausmacht. Wer Interesse hegt an dem „was die Welt im Innersten zusammenhält“, wird Bereicherung und Bestätigung erfahren in der künstlerisch erlebenswerten „Annäherung“.
C.M.Meier
Nachsatz:
Die brisante Aktualität von „Land – Eine Annäherung“ ist mit Blick auf das Heute in der Welt zweifelsohne gegeben. Es gibt keine, es kann keine allgemein gültige Antwort, keine Lehrmeinung welche Lösungen und Antworten bietet, geben. Allein in der Bewusstwerdung des Einzelnen und seinem Handeln liegen Möglichkeiten dazu.
UA Land
von Cornelie Müller
Eine Annäherung
Sarah Camp, Robert Spitz, Sophie Wendt Raum, Text, Inszenierung: Cornelie Müller |