Pathos Ateliers  Tasso nach Goethe


 

 

Mann, Tasso, Mann …


„Sei uns gegrüßt …“, nun ganz so geneigt empfing der Ordnungshüter Peter Trabner die Zuschauer vor dem Pathos nicht. Es waren die Regeln, die er (nach einem freundlichen „Guten Abend“) in den Vordergrund rückte. „1., 2., 3., und 4., 5. …“, stellte er vorsätzlich prägnant in die schwarze Abendluft. Nicht nur über die Sitzordnung aufgeklärt, durfte man folglich das Atelier betreten. Immerhin ist auch die Kunst, nach Schiller und Goethe, „Vermittler einer höheren Ordnung“ und repräsentiert ein Vorstellungssystem.

Es waren wohl die Spannungen zwischen dem Mäzen Herzog Carl August und dem Künstler Johann Wolfgang Goethe die 1785 zur Flucht vor seinem Mäzen und zur Reise nach Italien führten. Im Land der Renaissance und dem humanistischen Ideal, welches wiederum im klassischen deutschen Feudalismus zwar gepriesen, doch schon allein durch die gesellschaftliche Ordnung verraten wird, suchte Goethe die Freiheit zu künstlerischem Schaffen. „Torquato Tasso (auch ein Name ist Programm) … Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“, schrieb er zu seinem wohl persönlichsten Werk, welches er in dieser Zeit fertigstellte. Mit der Einordnung in das Feudalsystem nach seiner Rückkehr stutzte der Künstler sich selbst die Flügel und die Spätwerke lassen dies deutlich erkennen. Der Mäzen als Machthaber und Gesetzesschreiber, der Autokrat („Er schätzt die Kunst sofern sie ihn ziert …“) hatte über den Freigeist gesiegt. Wenn das kein zeitaktuelles Thema ist …

Es waren wohl die Spannungen zwischen den drei unterschiedlichen Weltbildern,  in denen die drei unterschiedlichen Charaktere der Schauspieler sich entwickelten, welche das Projekt beförderten. Der Ostberliner Jörg Witte wählte die Figur Tasso als Kern der Performance. Bildung und Sachwissen waren wichtiger Bestandteil der ostdeutschen Gesellschaft vor der neuen Einheit. Sein Part, die Aufklärung. Der Förder Peter Trabner wurde in die Wirtschaftswunderwelt der Westsphäre  geboren und das Schaffen, Bauen, Ordnen liegen ihm im Blut. Sein Part, das Ordnen und Beleuchten der goldenen Kulisse. Letztgenannt (das Los des jungen weltoffenen Mannes) Martin Clausen, der zu Recht bemängelte, dass er den Worten der Älteren folgen muss, bis diese erkennen, dass auch seine Ideen des Umsetzens wert sind. Ein harter Kampf um einen Rang in der Gruppe. Sein Part, das Warten auf seinen Einsatz. Um die Figur Tasso und das Projekt der Performance reihten sich die beflügelnden Ideen und der persönliche Alltag der Männer. Von der Auseinandersetzung mit dem Titelhelden, den persönlichen Anteilen, den Kontakten und Gesprächen, der Umsetzung und dem Zusammenspiel auf die Bühne handelte dieser. Mit wunderbarem körperlichen Einsatz, verspielter Manier und künstlerischem Können gestalteten sie den Weg ans Ziel. Tasso im Pathos (mit Verve). (Durch das Fenster erkannte ich zeitgleich  im gegenüberliegenden Gebäude einen Mann, ebenfalls mit bloßem Oberkörper in Aktion. Tasso? Zufall?) Da kriegt Mann Tasso doch glatt einen Schlaganfall …

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© Bieringer

 

Goethe ist kaum totzukriegen. Er wird noch lange im Elysium ausharren müssen. Eine gerechte Strafe für ihn und sein Schaffen? Allem und allen gerecht werden zu wollen, darauf basiert das Ideal der Spießbürgerlichkeit; aber immerhin ein Jahrhunderte praktiziertes Gesellschaftskonzept mit Stabilitätscharakter. Unter dem Deckmantel reinster und edelster Menschlichkeit überdauert es bereits Ewigkeiten. Ein Symbol für die Pseudofreiheit des Schaffenden, denn die Freiheit im Geiste, den Gedanken, basiert immer auf der Ordnung eines Realkörpers und ist damit immer in Strukturen eingebunden. Doch wie vielen zusätzlichen Weltvorstellungen will Mensch sich unterwerfen? Wie viele Gebote, Verbote und Ideale werden täglich neu erfunden? So unzählbar viele, dass es viele Menschen wieder in die alten Urstrukturen an den Anfängen ihrer Zeitrechnung zurückzieht.

In diesen Strukturen vollzieht sich das Altern, und also auch in einem permanenten Anpassungsprozess in die Ordnung der Natur. „Und ist es nicht der Mann; er fällt zuletzt, / Um nichts gebessert, in sich selbst zurück.“ In einer humanistisch liberaleren Gesellschaft sähe dies vielleicht etwas anders aus.

Als säßen ein Bürokrat, ein penibler Lehrer, ein aufmerksamer Schüler, ein junger Mann der auf seine Stunde wartet und gleichzeitig zwei Idealisten vor dem Publikum. So brachten Martin Clausen und Jörg Witte das Spannungsfeld des Werkes vor das Publikum. Die menschliche Vielfalt zu der Tasso fähig ist, die im Vorspiel verkörpert worden war, übersteigt bei weitem die Möglichkeiten, welche einem Normbürger entspräche. Die Begegnung ist zum Scheitern verdammt, solange man über die Gesellschaftsanordnung alle in eine Form zu pressen sucht. Die Tragik der Un- und Missverständnisse kann auch damit nicht überwunden werden.

Die Performance ist als Tasso Gedicht zu verstehen, dessen künstlerisch bewegendes Ende durch die Umstände außer Kraft gesetzt wurde. Das Gedicht-Projekt muss scheitern, um in sich wahrhaft zu sein. (Erfolgreich anerkannt im Sinne der damit verbundenen Vorstellungen wäre banal, damit Versagen im künstlerischen Anspruch.) Durch das gleichmäßige Vorlesen der Blankverse wurde es zum Scheitern gebracht. Damit blieb das Projekt, das Gedicht, spannender als der Vortrag des bürgerlichen Dramas. Eine ausgezeichnete Performanceidee und eine anspruchsvolle Umsetzung fanden den Weg auf die Bühne. „Euch zu gefallen, war mein letzter Wunsch …“ Erfüllt!

 

C.M.Meier

 

 


Tasso

nach Goethe

von und mit: Martin Clausen, Peter Trabner, Jörg Witte und Barbara Balsei