Schwere Reiter Wer ist dein Wolf? Ein Projekt von Hunger & Seide


 

 

 

Für einen Wolf ist es ein Leichtes ein Schaf zu reißen

Zu Vollmond heulen sie besonders laut, die Wölfe. Es ist ihr Zeichen von Stärke, dass sie in die Nacht verlauten. Im Rudel oder als Einzelgänger ziehen sie durch die Wälder, reißen Wild und wenn der Hunger zu groß ist, auch schon mal ein Haustier. Doch vorzugsweise töten sie Wild, wohl ob der Herausforderung und des Fleischgeschmackes. In den letzten Jahren nimmt ihre Anzahl in der Natur Europas wieder zu, nachdem sie jahrzehnte-, jahrhundertelang verfolgt, erlegt oder vertrieben worden waren.  Die Kirche „verteufelte“ sie und die Bauern fürchten um ihr Vieh. So entstand die Mär vom „bösen Wolf“.
„Dabei ist der Wolf auch nur ein Hund, der mit - Sitz, Platz, Lauf – erzogen werden will.“ , so Phil in der Performance. Und Joe sah den Wolf auf der dunklen Seite im Menschen.  Die helle Seite wird wohl vom Schaf eingenommen. Womit auch schon der Kern des Konfliktes in sich offensichtlich ist und der Überlebende naturgemäß schon vor dem Ende feststeht. Es sei denn, man schließt einen Pakt mit dem Wolf und füttert ihn, wie der Heilige Franz von Assisi im 13. Jahrhundert es vorschlug und praktizieren ließ.

Die Akteure betraten die Bühne, einer nach dem anderen, den Stuhl in der Hand, sie nahmen Platz an der Rampe. Die Interviews und Statements wie zu einem Film liefen ab. Es waren grandiose, klare Statements, und jedes davon hörenswert. Die Künstler stellten sich vor, ihr Anliegen, ihre Sichtweise, ihre Konsequenz.  Sie taten dies mit Ernsthaftigkeit und mit Augenzwinkern, immer überzeugend. Neugier machte sich in den Betrachtern breit. Und wie ein Film begann die Geschichte, eine gothic novel und damit Horror garantiert, vor den Zuschauern abzulaufen. Judy (Judith Al Bakri) und Joe (Jochen Strodthoff) leben in einem amerikanischen Einfamilienhaus am Waldrand. Der Wind des Lebens pfeift durch die Ritzen des Holzhauses, er spielt mit den Blättern auf der einsamen Landstraße, treibt sie vor sich her. Judy ist schwanger, Joe ist Gelegenheitsarbeiter. Der Bankvertreter Ray (Rainer Haustein) verkauft die Illusion von Sicherheit, plant, „baut eine Brücke von A nach B“. Er lebt in seinem Auto, immer on the road, hält er für Stunden auf den Parkplätzen der Highways zur Nacht. Phil (Philip Bergmann) bewegt an der Börse die Werte, er steht über allem Geschehen. Seine „Botschaften“ flattern über den Bühnenraum, um von Joe von der Straße gefegt zu werden.   
 
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Philip Bergmann, Judith Al Bakri, Rainer Haustein

© Franz Kimmel

Es entstand ein dichtes Zusammenspiel von Musik, Bildprojektionen, Text und Aktion. Philip Bergmanns Wolf, sein Wolfsgesicht, seine Körpersprache überzeugten - Gänsehaut garantiert. Lag doch seine Rolle auch dem Grauen, dem abstrakten Grauen am nächsten, erzeugt dieses. Thomas Meadwocrofts „Post-Country“-Musik und Kompositionen unterstützten den Horror, der erst noch als Musik den Raum erfüllte, dann nur noch als Tonfolgen und schrille Klänge wahrnehmbar war. Er zerfranste, verschob, zupfte und übertönte in dem Maß, in dem auch seine äußere Verwandlung stattfand. Sofie Reindl schuf die erschreckende Zombie-Maske. Rainer Haustein porträtierte, persiflierte den von sich selbst überzeugten, auf sich selbst gestellten Geldmann und gab den Blick in dessen Inneres frei. Im Zusammenwirken von Michael Bischoff (Raum- und Lichtdesign), Claudia Karpfinger (Raum und Kostüme) und Karnik Gregorian (Video) entstand eine lebendige und beängstigende Bühnenrealität. Judith Al Bakri und Jochen Strodthoff, die für Konzept und Regie verantwortlich zeichneten, und auch performend die Hauptrollen verkörperten, schufen und gestalteten ein kompakt komplexes Kunsterlebnis. Idylle, Angst und Horror und die vergeblichen menschlichen Versuche von Bewältigung wurden thematisiert. Die Performance mündete, man könnte meinen einseitig, ins Wölfische. Doch sie machte lediglich sichtbar, erfahrbar ... was in der Luft liegt.

Die Literatur und die Filmwelt sind voll von Wolfsgeschichten. Vom bloßen Werwolf-Horror bis zum Angleich ans Menschliche reicht die Palette der Werke. Es ist also ein großes Anliegen, welches Hunger & Seide bewegte und das diese bewältigten. Schon die Ausführungen im Programm machen den umfassenden Ansatz deutlich. Den Künstlern von „Wer ist dein Wolf?“ gelang eine weitere zeitgemäße, vielseitige, erhellende und ansprechend unterhaltende Version um den Konflikt zwischen Natur und Zivilisation und deren Berührungspunkte. Diese ist unbedingt erlebenswert.

 
C.M.Meier

 

 

 


Wer ist dein Wolf?

Ein Projekt von Hunger & Seide

Judith Al Bakri, Jochen Strodthoff, Thomas Meadowcroft, Philip Bergmann, Rainer Haustein

Regie: Judith Al Bakri, Jochen Strodthoff