Residenztheater Der Widerspenstigen Zähmung von William Shakespeare


 

 

Masochismus als Therapie

Das um 1594/95 geschriebene Stück stellt eine Zäsur im Schaffen Shakespeares dar. In „Der Widerspenstigen Zähmung“ finden sich in den Nebenrollen noch die quirligen Auswüchse des italienischen Volkstheaters, die Hauptrollen hingegen sind bereits gestandene Charaktere der Komödie. Während Katharina und Petruchio Persönlichkeiten sind, die Poesie entfalten, bleiben die anderen Rollen auf Typen und Possen reduziert. (Georg Hensel) In der gut vierhundertjährigen Inszenierungsgeschichte war man sich über den Grundtenor der Interpretation grundsätzlich einig. Der verarmte Edelmann Petruchio sucht eine gute Mitgift und ist nebenher bereit, eine Frau (ohne vorherige Inaugenscheinnahme), egal welchen Aussehens und welchen Charakters, „in Kauf“ zu nehmen. Er gerät an die widerborstige, selbstbewusste und intelligente Katharina. Petruchio beginnt sie durch Hunger, Schlaf- und Liebesentzug, Demütigung und Unterdrückung ihres eigenen Willens zu zähmen. Eigentlich müsste man an dieser Stelle schon abwinken, denn nach außen hin erscheint das Stück als zutiefst misogyn. Doch es sind nicht die körperliche und physische Folter, die Katharina letztlich zum Einlenken und zur Unterwerfung (um eine solche handelt es sich unbestritten) zwingt, sondern die aufkeimende Liebe zu dem starken Mann und seinem weichen Kern oder guten Herzen, wie immer man es nennen mag. Es ist gerade dieser kitschig anmutende Plot, der das Stück über so lange Zeit konserviert und bewahrt hat. Es ändert nichts an der Frauenfeindlichkeit, nur wird sie angesichts des Happy Ends gern übersehen.

Wer sich heute auf dieses Stück einlässt, muss gute Gründe und den Mut zu einer radikalen Neu- oder auch Uminterpretation dafür haben. Tina Lanik hat diesen Mut. Doch Mut ist noch kein Garant für ein Gelingen. Es bedarf auch einer eindeutigen Haltung. Und Haltungen offenbaren sich im klaren und verständlichen Ergebnis. Eben daran mangelte es. Die Verwirrung begann bereits damit, dass es sich bei der Handlung um Katharina und Petruchio um ein Stück im Stück handelt. Der erste Akt beginnt mit einer feuchtfröhlichen Jagdgesellschaft, bei der sich ein Handwerker namens Sly mit der Wirtin anlegt. Als er eingeschlafen ist, inszeniert ein Lord eine Posse, in dem man den Schlafenden in hochherrschaftliche Gemächer bringt und ihm nach seinem Erwachen erklärt, er hätte in einem 15jährigen Schlummer gelegen und sei eigentlich ein adliger Herr. Sinn der Geschichte ist, nachzuweisen ob ein Mensch unter radikal veränderten Vorzeichen selbst vergisst.

Dann taucht eine Schauspieltruppe auf, die die Geschichte von Katharina und Petruchio aufführen. Die Rahmenhandlung wird höchst selten gespielt, da sie eigentlich nicht notwendig ist und zudem auch keine Auflösung erfährt. Tina Lanik sah in dieser Geschichte die Chance, Sozialkritik zu üben, indem sie die Rolle der niederen sozialen Schichten mit der der unterdrückten Frau verglich. So lag Katharina Pichler, immer wieder von kurzen Wachträumen aufgeschreckt, zumeist schlummernd auf der Bühne herum. Der Sinn erschloss sich schwer. Es bedurfte einer Erklärung und Theater das erklärt werden muss, packt nicht.

Irritierend war denn auch die Bühnenästhetik (Bühne/Kostüme Stefan Hageneier). Tatsächlich landet Katharina während einer regnerischen Reise im Schlamm,  doch wird dieser Vorgang nur erzählt und nicht gespielt. Dennoch verbrachten sämtliche Darsteller die 2 Stunden und vierzig Minuten im Regen oder in knöcheltiefem Schlamm. Es wurden mit Schlamm geworfen, sich darin gewälzt, durch ihn geschlittert, ja, er wurde auch gegessen. Radikal war das allemal, nur stellt sich die Frage: Warum? Ist diese Handlung eine Schlammschlacht? Ist Liebe eine Schlammschlacht oder ist eine Schlammschlacht unterhaltsam? Man kann es wohl so sehen, doch im Zweifelsfall zieht man besser das Programmheft zurate, wo die Lesart der Regie zumeist auf sehr kluge Weise erklärt wird.

Die Lektüre des explizit für diese Inszenierung verfassten Textes von Elisabeth Bronfen vermochte allerdings keine Klarheit in die Angelegenheit bringen. Interessant ist er trotz alledem, denn was man darin erfährt, lässt aufhorchen. Mit analytischer Akribie weist Frau Bronfen nach, dass es sich bei Katharina und Petruchio um Gleichgesinnte handelt, deren Kampf im Grunde nur eine Annäherung bedeutet. „Der Traum der Liebe enthält einen traumatischen Kern. Sich zu verletzen oder verletzen zu lassen dient als Beweis für ein uneingeschränktes Teilen radikaler Intimität.“ (Elisabeth Bronfen im Programmheft zur Inszenierung) Oder, so könnte man boshaft ergänzen, Masochismus als Therapie. Gezähmt wurde dabei nicht Katharina, sondern ihre Zunge. „Die Zähmung der Zunge führt zur verrückten Liebesrede, in der sie sich mit und für einander gefunden haben. Instabil ist nicht die Frage des Geschlechts, sondern wer hier wen zähmt. Und ob es sich überhaupt um eine gegenseitige Übernahme handelt: eine geteilte Einwilligung in die Gewalt.“ (Ebenda)
 
   Zaehmung  
 

Shenja Lacher, Andrea Wenzl

 

© Matthias Horn

 

 

Am Ende kommt Frau Bronfen zu dem Schluss: „Egal ob man diesen berüchtigten Monolog (Katharina unterwirft sich darin ihrem Mann – W.B.) als ironische Vorführung weiblicher Demut versteht, mit der deutlich gemacht wird, unter welchen Umständen eine Frau zu Wort kommen kann, oder als Beweis einer sadistischen Zügelung der weiblichen Stimme: Katharina und Petruchio spielen diese letzte Szene zusammen, für einander und gegen die Anderen.“Hier öffnet sich der Kreis der Überlegungen darüber wieder, ob es einen Sinn macht, dieses frauenfeindliche Stück zu spielen und warum. Man kann es sich aussuchen und in der Spielweise zeigt sich die Haltung der Regie. Leider offenbarte sich auf der Bühne des Residenztheaters nichts dergleichen. Und, die vielleicht berühmteste Aufforderung zu einem Kuss, „Kiss me, Kate“, bügelte am Ende alles wieder glatt.

Nein, diese Inszenierung überzeugte nicht. Sie war zu kopflastig und in der ästhetischen Ausformulierung zu kryptisch. Haltung wurde ersetzt durch intellektuelle Spitzfindigkeit. Die Interpretationen trieben Blüten, wie sie nur im Gewächshaus wachsen und nicht in der freien Natur. Die Praxis bleibt das Kriterium der Wahrheit. Die Wahrheiten, die man glaubte herausgeschält zu haben, mussten sich auf der Bühne beweisen. Wenn dieses düstere Spektakel, das eigentlich eine Komödie sein soll, überhaupt über zwei und eine halbe Stunden trug, dann nur Dank der Leistungen der Schauspieler, die die Verblasenheit des Konzeptes zeitweise vergessen ließen. Allen voran Shenja Lacher als Petruchio. Er spielte differenziert und seine Rolle als „Folterer“ geradezu mephistophelisch. Andrea Wenzls Katharina überzeugte vor allem durch ihren körperlichen Einsatz. Sie ging in ihrem Spiel an Grenzen. Franz Pätzolds feine und elegante Gestaltung des Lucentio stand in krassem Gegensatz zu der Figur des Tranio (Lucentios Diener), den Miguel Abrantes Ostrowski als rüden Clown gestaltete. Ihm zur Seite der beeindruckende Robert Niemann als Biondello (ebenfalls Lucentios Diener). Beide bildeten das perfekte Komikerpaar, vergleichbar mit Laurel und Hardy.

Beim Schlussapplaus, der lange anhielt, wurden auch wenige vereinzelte Buhs für die Regie hörbar. Es wären vermutlich mehr gewesen, wenn die Verwirrung über einige Vorgänge und die großartige Leistung der Darsteller nicht so stark nachgewirkt hätten.
Mit großem Aufwand wurde ein Sinnsuche betrieben, die letztlich zu keinem greifbaren Ergebnis führte. Schade möchte man sagen, denn was spricht dagegen, die Komödie als Komödie zu inszenieren und das Stück als das, was es ist: frauenfeindlich und überholt. Man kann nur hoffen, dass sich der Drang, Komödien als Tragödien zu inszenieren (Siehe auch „Der zerbrochene Krug“), bei Tina Lanik nicht weiter auswächst.

 
 
Wolf Banitzki

 

 


Der Widerspenstigen Zähmung

von William Shakespeare

Wolfram Rupperti Baptista, Paul Wolff-Plottegg, Franz Pätzold, Shenja Lacher Petruchio, Arnulf Schumacher, Tom Radisch, Miguel Abrantes Ostrowski, Robert Niemann, Johannes Zirner, Paul Wolff-Plottegg, Andrea Wenzl, Marie Seiser, Katharina Pichler

Regie: Tina Lanik

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