Residenztheater Leonce und Lena. Dunkle Nacht der Seele


 

 

Theater ist Theater

„Melancholie. Langeweile. Depression. Selbstmord. Das sind die Themen ... Laut (Regisseur Calixto) Bieito sollen diese Projekte als zeitgemäße symphonische Gedichte betrachtet werden, als theatralische Praxis, die auf der gewaltsamen Verbindung von Texten und Musik beruht, und deren eigentliches verbindendes Element nicht die offensichtliche, stringente Handlung, sondern die bloße visuelle und traumartige Macht ...“ , so Marc Rosich (Programmheft). Die Dramaturgie erhebt die Befindlichkeiten von Büchners Figuren in den von ihm beschriebenen Zustand der "Automaten ohne Seele." Perfekte Charakteristik.

Versprechen um Versprechen treiben die Menschen ... ins Theater. Die Versprechung der Ankündigung „nach Georg Büchner“ erfüllte die Erwartungen im Bereich Text immer wieder und auch gar nicht. Denn dieser entwickelte in der Zerstückelung, in Fetzen von Gedanken verschiedener Ursprünge - Leonce und Lena, Dantons Tod, Briefe, Lenz - nur ansatzweise seine Kraft. An wenigen Stellen erfüllte der Klang dieser Worte, seiner Sprache den Raum unmittelbar mit Lebendigkeit. Er erreichte spontan das Innerste, bewegte es, und wer im Publikum noch Mensch war, fühlte sich erkannt. „Die Nacht schnarcht über der Erde und wälzt sich im wüsten Traum. Gedanken, Wünsche, kaum geahnt, wirr und gestaltlos ...“ Georg Büchner. Für die bereits vor ihrem Ende Toten haftete dem wohl nur der Laut der Vergangenheit an. Der Kontrast, Programm der Inszenierung, zu den englischsprachigen einfachen Songtexten und anderen Einfügungen stach überdeutlich ins Ohr. „Happy is not enough ... Happy is not enough ... Dying is not enough ...“, die Wiederholungsmaschinerie lief auf Hochtouren. Mit der Leere der Worthüllen füllten die farbig gekleideten Damen die Mikrophone, denn die Gefühle wurden verpackt zu Last „die Koffer voll von Sehnsucht“ (Maika Makovski). Kein Nachhall im Lebendigen.

Schwarze Folie verdunkelte die Bühne, endlose Weite wich Bergen, gleich einer unwegsamen Moorlandschaft sog sie die Blicke des Zuschauers in sich auf, sog sie scheinbar die Seelen an. Technik und visuelle Gestaltung reichten hier einander erfolgreich die Hände (Bühne: Rebecca Ringst). Zu Beginn erstrahlte ein Bündel von Sternen, gleich einem Blumenstrauß, gleich der vielfältigen Hoffnung. Dann verschlang der Sumpf der Verwandlung, die Dunkelheit die Figuren, erst partiell, dann zunehmend. (Licht: Tobias Löffler!) Was blieb waren die Schatten ihrer Schatten, winzige Flecken heller Haut, hellen Haars.

Genija Rykova und Lukas Turtur setzten Abziehbilder von Frau und Mann in Szene, mechanisch verbunden miteinander und nach wenigen Augenblicken doch vereinsamt, unheilbar unglücklich. Des Jackets, des Schleiers entledigt, strichen sie nachtwandlerisch ziellos über die Fläche. Ein Entertainer, Guntram Brattia, hatte die Beiden verbunden. Danach entledigte er sich seiner Bekleidungshüllen, Blöße vorstellend als Prinzip, der man nur zu gerne auch noch die Haut abgezogen hätte, den Schmerz zu figurieren. In rot und türkis gekleidet Katharina Pichler und Friederike Ott – äußerliche Farbakzente waren gesetzt. Sie verbreiteten den Zeitgeist, vertreiben die Langeweile. Das türkise Kleid konnte für einige banale Übungen den Pappmann aktivieren. Nein. Nein. Nichts Neues in der Welt. Die Mechanismen haben die Figuren fest im Griff. Gewohnheit herrscht schon, bevor Gewohnheit einsetzen kann.

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Friederike Ott, Guntram Brattia, Genija Rykova, Katharina Pichler

© Matthias Horn

 

 Kann eine Inszenierung als gelungen angesehen werden, wenn diese ihre eigenen Vorgaben und die Vorgaben des Dichters erfüllt? In gewisser Weise ja, unbedingt, und wer die dunkle Bildfolge mit Zitaten als Einzelbilder zu sehen verstand, zu erschauen vermochte, fand Bestätigung. Eines ist gewiß: Anerkennenswert bedrückend elementare Bilder beherrschten die Szene, verstärkt wurde ihre Wirkung durch die, die Spannung haltenden Musiker. Die bleibende Impression – erschöpfend theatralische Selbstverliebtheit auf einem dunklen Stern im Kosmos.

Parallel zu den wenigen Szenen aus Büchners ironischem Lustspiel „Leonce und Lena“, welche als marginale Vorlage gedient hatten, hing ein passender Rahmen. "Während das zu Vivat-Rufen angehaltene Volk hungert, übt sich der Hof in Nabelschau." G.B. Heute: In Psychoschau vernarrt, vegetiert eine wissenschaftswahnende Gesellschaft in der für Poesie, Erotik und Kultur kein Platz mehr ist. Es herrschen Funktionalität und Mechanisierung - die programmierte Freudlosigkeit des menschlichen Gemütes - welche sich zu einer überdimensionalen Wolke in den Menschen und über dem Land, den Kontinenten zusammengeballt hat. Schwarz auf Weiß wird Soll-Befindlichkeit diktiert, die Bitrate gesteigert ins jenseits des Erfüll-, Erfahrbaren. Euphorie um Depression. Auf einem Moorberg lag eine junge Braut, nach dem hoffnungsvollsten Tag noch in weiß gekleidet, wie ein grauer Schatten Material.

Die Übermacht des Vergänglichen, der Verlust von Lebendigkeit, von Gemeinschaft und Kultur wurde in dieser Aufführung offensichtlich. Doch was bringt es, wenn die Kunst, der höchste Ausdruck für Kultur, lediglich den schwarzen Schatten des Volksgemüts spiegelt – Gedrücktheit. Verstärkung. Diese wurde festgesetzt im Zuschauerraum? Ich wage zu bezweifeln, dass das Publikum des Residenztheaters in München wirklich mit der dunklen Nacht der Seelen so vehement konfrontiert werden möchte, kehrt, stellt es doch zumeist selbst die hellen Momente hervor. Die Nächte sind delegiert, an jene, die in steigender Zahl gescheitert, verschwiegen und in keiner Statistik mehr genannt werden. Eitel Ordnung herrscht.

 

C.M.Meier



 


Leonce und Lena. Dunkle Nacht der Seele
Nach Texten und Motiven von Georg Büchner in einer Fassung von Calixto Bieito und Marc Rosisch

Guntram Brattia, Friederike Ott, Katharina Pichler, Genija Rykova, Lukas Turtur
Musik: Blerim Hoxa, Chris Lachotta, Manfred Manhart
Songtexte: Maika Makovski /„Oh meine müden Füße“  Georg Büchner / „Kein Kinderlied“ Mascha Kaléko

 

Regie: Calixto Bieitoj

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