Residenztheater Die Schneekönigin nach H. C. Andersen
Bühnenzauber
Die Welt war stehengeblieben! Die Drehbühne des Residenztheaters folgte ihre Aufgabe nicht und einige Bühnenarbeiter tummelten sich um den Motor. Längst sollte die Vorstellung begonnen haben und das Publikum harrte still und brav des Beginns. Doch die Bretter, die die Welt bedeuten standen still. Im Hintergrund wurde gestikuliert, eifrig in ein Loch gestarrt. Da traten Edi und Josef in Arbeitshosen an die Rampe und erklärten das Dilemma, hielten die Zuschauer mit Anekdoten hin, mit Schnee von gestern.
Ein Märchen? Nein, es war der Beginn des Bühnenstücks „Die Schneekönigin“ in der Fassung des russischen Dramatikers Jewgeni L. Schwarz unter der Regie des Schweizers Samuel Weiss. Wie überhaupt das Zusammenwirken unterschiedlichster Ideen und Talente das Geschehen gestaltete. Oder war es eine Ansicht der Realtität, welche diesem Märchenbild zugrunde gelegt war? Kein Märchen.
Hans Christian Andersens kunstvolles Märchen erzählt die Geschichte der beiden Kinder Gerda und Kai, deren Begegnung mit der Schneekönigin, die mit ihrem Kuss dem jungen Kai das Herz gefrieren lässt. Und schon ist dieser in der eisigen Ewigkeit der bloßen Vernunft gefangen. Mit Innigkeit und Herzensgüte, die verbunden mit feinem Spott erhellend wirken, führt es weiter durch die Abenteuer des Lebens, bis zu der Erfahrung, dass nur die Liebe, die alles umfassende Liebe Zufriedenheit aufkommen lässt und befreit. Damit es bis zum himmlischen Zustand nicht langweilig wird, hält der Teufel den Menschen einen übergroßen Spiegel vor. Dieser wirft das Bild der Launen auf die Betrachter zurück. Eines Tages zerbrach der Spiegel und die Scherben finden sich über die Welt verstreut, reflektieren, bunt und willkürlich.
Ein Märchen? Der Kommerzienrat biss vom Pferdeapfel, er frißt einfach alles auf, was sich vermarkten lässt. Er wollte die Rose kaufen, die Rose die auch im Winter blüht. Die Rose, die die Großmutter und die Kinder pflegten und die deren Zuwendung und Aufmerksamkeit mit Blüten dankte. Die Großmutter verkaufte nicht, der Kommerzienrat holte die Schneekönigin zu Hilfe. Er ist der Überzeugung: „Der einzige Freund ist das Geld.“ Kein Märchen.
Ein Märchen. Die Schneekönigin im glamourösen Glitzerkleid schwebte auf die Bühne. Der Countertenor verzauberte durch seine Stimme und seine Erscheinung funkelte, blendete im Lichte der Scheinwerfer gleich einem Weltstar die Augen der Fans. Auch sein Kuss, der Kuss der Schneekönigin ließ das Herz des Jungen zu Eis gefrieren. Kein Märchen.
Die Figuren agierten in aktuellen Rollenbildern unter dem Motto: Erlaubt ist, was Spaß macht. Man feiert sich selbst und eine Prinzessin darf alles, alles tun wozu die Laune sie anhält. Die Bühnenprinzessin wollte heiraten und sie wählte von allen Freiern den frechsten und redseligsten, um sich gemeinsam in ihren Spieltrieben zu ergötzen. Da wurde durch die Mitte des Palastes eine Gemarkung gezogen, eine Seite für die Prinzessin und ihren Jungen, die andere Seite für den König. Es wurde getrennt in die alte und die neue Welt, die Welt für die Alten und Jungen, die Welt für die ... Eine Alarmanlage wachte über die Einhaltung der Grenzen.
Ein Märchen? „Ein König hat das Recht hinterlistig zu sein.“ (nimmt sich das Recht hinterlistig zu sein. anm. CMM) Der Kommerzienrat lieh dem König Geld, damit dieser seiner Sucht nach Speiseeis nachgeben konnte. Für Speiseeis tut der König alles. Und wohl jeder, der sich König wähnt in seinem Reich, frönt mitunter maßlos seinen Eigenheiten. Kein Märchen.
Im finsteren Märchenwald hauste die Räuberhauptmännin: „Ich liebe Kinder, vor allem wenn sie gut durchgebraten sind.“, sprach‘s und biss von einem Hühnerbein. Ihre Tochter übertraf die Mutter in Eigensinn und Rücksichtslosigkeit und folgte schließlich dem lieben Mädchen. Nur böse zu sein, ist auf die Dauer genauso langweilig, wie nur gut zu sein. Allein diese Haltung trennt die Menschheit in zwei Lager, spaltet das Gewissen des Einzelnen und verfremdet ihn von seiner Vollkommenheit. Kein Märchen.
Zwei Schräge Vögel verfolgten die Geschichte, folgten dem Mädchen mit dem heißen Herzen durch ihre Abenteuer, ihre Erfahrungen. Die Raben, wie Edi und Josef, kommentierten als moderne Entertainer: Unterhaltung über alles. Und, damit dieses Alles auch seine scheinbare Ordnung hat, lag die Moral von der Geschichte im letzten Kuss der Schneekönigin.
Ein Märchen! Deutlich erlebbar war, dass die Schauspieler mit erkennbarem Spaß in ihren Rollen agierten und erheiternde fantastisch ironische Atmosphäre verbreiteten. „Wenn die Kinder singen, blühen die Rosen ...“ Wundersamer Bühnenzauber wurde ausgebreitet, wie im echten Märchen für kleine und große Kinder, Kinder.
C.M.Meier
Die Schneekönigin
nach Hans Christian Andersen
Bühnenfassung von Jewgeni L. Schwarz
David Cordier, Alfred Kleinheinz, Arthur Klemt, Valerie Pachner, Sierk Radzei, Christiane Rossbach, Arnulf Schumacher, Marie Seiser, Paul Wolff-Plottegg Regie: Samuel Weiss |