Residenztheater Was ihr wollt von William Shakespeare
Der Abend der Komödianten
Amélie Niermeyer garantiert inzwischen Solidität und niveauvolles, künstlerisches Theater, wenn sie Klassiker inszeniert. Mit dieser Gewissheit geht man gern ins Theater, selbst wenn es drei Stunden verspricht. Wer hat nicht schon unter Aufführungslängen von drei, vier oder fünf Stunden gelitten! Auch wenn Frau Niermeyer mit ihrer „Maria Stuart“ am Residenztheater 2009 kein wirkliches Beben auslösen konnte, so erregte ihre Inszenierung von Bergmanns „Persona“ 2012 doch einiges Aufsehen. Das 2013 von ihr eingerichtete bürgerliche Trauerspiel „Kabale und Liebe“ auf der Bühne des Residenztheaters überzeugte in jeder Hinsicht. In allen Inszenierungen setzte Frau Niermeyer auf die Strahlkraft Juliane Köhlers. So auch in Shakespeares „Was ihr wollt“. Es ist die letzte wirkliche Komödie des Meisters und wahrhaft meisterlich.
Viola wird nach einem Schiffbruch in Illyrien an den Strand gespült. Verkleidet als Mann begibt sie sich in die Dienste des Herzogs Orsino. Der liebt hingebungsvoll die Gräfin Olivia, die wegen des Todes ihres Bruders allen weltlichen Freuden entsagt hat. Orsino schickt Viola, die sich jetzt Cesario nennt, zur Gräfin, damit diese stellvertretend um ihre Gunst anhält. Das fällt Viola nicht leicht, denn sie ist ihrerseits bereits unsterblich in den Herzog verliebt. Olivia findet Gefallen an dem zarten Pagen und verliebt sich in Viola. Diese vertrackte Geschichte findet ihre Auflösung, als Violas Zwillingsbruder gleichfalls an die Gestade Illyriens geschwemmt wird. So bekommt am Ende jeder den Partner, den er oder sie liebt.
Und da es sich um eine Komödie handelt, schwirren noch einige Mitbewerber wie Sir Andrew Bleichenwang oder Malvolio, Haushofmeister mit Hang zum Höheren, um die schöne Olivia aufgeregt herum. Der Ausländer Bleichenwang wird dabei immer wieder vom Oheim Olivias, dem trunksüchtigen, auf Almosen angewiesenen Sir Toby Rülp ermutigt, der den wackeren Saufkumpan naturgemäß kräftig zur Ader lässt. Rülp, Bleichenwang und Olivias Dienerin Maria erteilen ihrerseits Malvolio eine derbe Lektion, die diesen von seinem Liebeswahn kuriert. Kommentiert oder kontrastiert wird die Handlung durch einen Narren, der einer tiefen Traurigkeit verfallen ist. Soweit die Geschichte in groben Zügen.
Amélie Niermeyers Inszenierungsansatz ist so einfach wie grandios. Inspiriert durch das 60. Sonett: „So wie die Wellen streben nach dem Kieselstrand, so hasten unsere Minuten an ihr Ende“, inszeniert sie die wogende Handlung als ein Auf und Ab der Gezeiten. Bühnenbildner Alexander Müller-Elmau nahm es wörtlich und brachte eine riesige bleigraue Welle in Form einer Walze auf die Bühne. Die rollte, die Darsteller gelegentlich bedrohlich vor sich hertreibend, über die ganz Bühne, bis in die tiefste Tiefe des Raumes vor und zurück. Dieser Welle entstiegen die Figuren und in dieser Welle verschwanden sie auch wieder.
Juliane Köhler, Wolfram Rupperti, Götz Schulte, Arnulf Schumacher, Alfred Kleinheinz, Antonio, Barbara Melzl, Markus Hering, Christiane Roßbach, Norman Hacker, Shenja Lacher, Ian Fisher © Thomas Dashuber |
Als sich der Vorhang zur (zweiten) Vorstellung öffnete, wurden die Zuschauer von dem wunderbaren Gesang des aus Missouri stammenden Songwriters Ian Fisher in den Bann geschlagen. Er gab den Narren, der sich in dieser Inszenierung fast ausschließlich auf Gesang und Mimik beschränkte. Neben den im Stück vorkommenden Liedtexten gab er auch Sonette zum Besten. Angesichts seiner exzellenten Darbietung wurde der erste Satz im Stück, gesprochen vom Herzog: „Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter!“, Programm. Ian Fisher begleitete die Handlung über weite Strecken auf der Gitarre.
Es gelang Amélie Niermeyer, Figuren, die nicht vordergründig komisch sind, mit komischen Momenten auszustatten. So zwang Götz Schultes Orsino, ein honoriger Staatsmann, des Öfteren zum Schmunzeln, wenn ihn seine unerfüllte Liebe buchstäblich verdrehte. Schultes Orsino bekam in seiner Liebesqual durchaus komische Züge, geriet aber nie lächerlich. Ebenso hatte Barbara Melzls Olivia die Lacher auf ihre Seite, als sie den unverhofft aufgetauchten Zwillingsbruder Violas, Sebastian (Wolfram Rupperti) majestätisch getragen in ihr Schlafgemach führte. Ihr schamlos blitzender Ausdruck ließ keine Zweifel über das Bevorstehende aufkommen. Juliane Köhlers Viola/Cesario geriet zwangsläufig komisch, wenn sie sich verängstigt, verzweifelt und heillos überfordert Situationen ausgeliefert sah, die so absurd waren, dass man sie kaum glauben konnte. Obgleich Frau Niermeyers Inszenierung nicht jugendliche Verliebtheit vorführte, bestach Juliane Köhler mit quirliger Agilität. Der Ansatz, die Liebenden als reife Menschen darzustellen, bereicherte das Drama um die Dimension des Existenziellen. Alle Bemühungen zielten auf „eheliche Liebe und ehrbare Leidenschaft“ und ein Scheitern bedeute gleichsam die Katastrophe.
Dieser Ansatz war unübersehbar, sinnvoll und bremste den Spaß dennoch nicht aus.
Dafür sorgten vor allem Norman Hacker als Sir Toby Rülp und Shenja Lacher als Sir Andrew Bleichenwang. Sie zelebrierten Wortwitz, Situationskomik und schreckten vor Slapsticknummern nicht zurück. Ziel ihrer Niedertracht war vor allem Malvolio, gespielt von Markus Hering. Selten sah man einen Liebenden, der, wie eine Presswurst in gelbe Bänder geschnürt und breit grinsend, so grandios seinen tragisch anmutenden Hirngespinsten erlag. Herings Rolle beinhaltete mehr, als nur die Puritaner-Parodie, und so stellte sich durchaus Mitgefühl für ihn ein.
Amélie Niermeyer gelang in jeder Hinsicht das rechte Maß. Darum fand auf der Bühne auch keine Selbstentzündung statt und das erwies sich als gut. Anton Kuh warnte davor, als er sinngemäß schieb, dass es töricht sei, „wenn auf der Bühne über längere Strecken eine überkandidelte Bumsfidelität herrschen müsste“. Er meinte, „wenn oben übermäßig gelacht werden muss, verschreckt das das Lachen im Parkett. So komisch, wie die dort oben tun müssen, könne gar nichts sein“. (Friedrich Luft, Kritik vom 11.10.1962 zur Kortner-Inszenierung)
Es war der Abend der Komödianten und als solche entpuppten sich mehr oder weniger alle Darsteller. Die drei Stunden waren sehr kurzweilig. Der Spaß hielt sich nicht in Grenzen und das Publikum bedankte sich zu Recht mit frenetischen Applaus und vielen Bravos. Es ist eine Komödie, auf die man schon seit längerem gewartet hat.
Wolf Banitzki
Was ihr wollt
von William Shakespeare
Juliane Köhler, Wolfram Rupperti, Götz Schulte, Arnulf Schumacher, Alfred Kleinheinz, Antonio, Barbara Melzl, Markus Hering, Christiane Roßbach, Norman Hacker, Shenja Lacher, Ian Fisher
Regie: Amélie Niermeyer