Residenztheater  Der Hausmeister von Harold Pinter


 

Das Unheil lauerte im Schweigen

So, wie Samuel Beckett die „Nachfolge“ von James Joyce antrat, stieg Harold Pinter in die großen Fußstapfen Becketts. Die Männer waren einander in Zuneigung verbunden, wobei sie doch stets gehörigen Abstand hielten. Und das war gut so, denn alle drei waren literarische Titanen, die keine anderen „Götter“ neben sich ertrugen. Aber da sie in drei Generationen aufeinander folgten, verkehrten sie respektvoll wie Väter und Söhne. Als Roger Blin, der 1952/53 Becketts Weltruhm mit der Pariser Uraufführung von „Warten auf Godot“ begründet hatte, inzwischen jedoch mit dem großen Iren verstritten war, 1961 „Der Hausmeister“ von Pinter in Paris auf die Bühne brachte, kam es auf Betreiben Blins zum ersten Treffen der beiden Dramatiker. Beckett zeigte sich von einer gänzlich unerwarteten Seite, redselig und überaus gesellig. Er, der Pinters Talent schätzte, fischte im Gespräch immer wieder nach Komplimenten und behauptete, seine Literatur habe keine Form. Als Pinter widersprach, brachte Beckett sein eigenes Formverständnis wie folgt auf den Punkt: „Ich war mal im Krankenhaus. Auf einer anderen Station lag jemand im Sterben – der Mann hatte Speiseröhrenkrebs. In der Stille konnte ich sein Schreien ständig hören. Das ist die einzige Form, die mein Werk hat.“ Beide verstanden sich.

Nun wird man Pinter schwerlich in die Kategorie Theater des Absurden einordnen können, doch es steht außer Frage, dass seine Werke inhaltlich ebenso existenzialistisch sind wie Becketts. Bei der Form drängen sich die Übereinstimmungen geradezu auf. In Becketts Spätwerk verstummten die Protagonisten fast gänzlich. Pinter bekannte: „Ich glaube, dass wir nur allzu gut miteinander kommunizieren, in unserem Schweigen, in dem, was ungesagt bleibt, und dass das, was stattfindet, ein ständiges Ausweichen ist, letzte verzweifelte Manöver, uns nicht preiszugeben. Kommunikation ist verstörend. Sich in das Leben eines Anderen einzumischen zu beängstigend. Anderen die eigene Armseligkeit in uns zu offenbaren ist eine erschreckende Aussicht.“ Und so bleiben alle Figuren des Dreipersonenstücks Andeutungen.

Von Aston, der in einer maroden Wohnung seines Bruders lebt, die er renovieren soll, erfährt man, dass er in einer Psychiatrie eingesessen hat, nachdem er an öffentlichen Plätzen zu viel geredet hatte. Was mag er geredet haben, dass man einen chirurgischen Eingriff in sein Hirn vornahm? Man bekommt kaum mehr als eine Ahnung davon. Wenn er redet, hat das gesprochene Wort kaum Bedeutung. Doch die Pausen dazwischen sind beredt. Eines Tages bringt er den alten Obdachlosen Davies mit und bietet ihm eine Schlafstätte an. Davis ist misstrauisch. Er ist ein rüder Geselle, voller Hass gegen alles und alle die anders sind. Seine Legende sollte Aston nachdenklich machen, denn Davis führt einen falschen Namen, ist schnell mit dem Messer zur Hand und behauptet, nicht im Besitz seiner wichtigen Papiere zu sein, die ihn rehabilitieren. Er könnte sie holen, doch dafür hat er nicht das rechte Schuhwerk.

  Hausmeister  
 

Hans-Michael Rehberg, Shenja Lacher

© Ruth Walz

 

Schließlich tritt noch Mick auf den Plan, Astons Bruder, ein Unternehmer und Hausbesitzer mit hochfliegenden Plänen. Als Davis realisiert, wer das Sagen hat, dreht sich sein Sinn und er versucht Aston, den er schon hinlänglich ausnutzt, auch noch auszubooten.

Es geht Mensch gegen Mensch. Jeder will und muss sich irgendwie mit den Gegebenheiten, die nicht freundlich sind, zu arrangieren. Für diesen unterschwelligen Krieg schuf Annette Murschetz ein düsteres Bühnenbild. Der schmuddelige Raum, eher Obdachlosenasyl als Wohnung, wurde im Schein der gelblichen Deckenfunzel noch unansehnlicher, noch unwohnlicher. Angefüllt war der Raum mit allerlei Möbeln, Koffern, Kisten, Küchengeräten, Schrott, undefinierbaren Überbleibseln und Stapeln von Zeitungspapier. In diesem Verhau lebten die beiden Männer, nervten sich mit Körpergerüchen und unerträglichen Geräuschen während des Schlafs. Die Stimmung, eingangs von der freundlichen Selbstlosigkeit Astons dominiert, begann zu kippen. Aggressionen kamen auf und drohten zu eskalieren. Ausgesprochen wurde wenig, umso unheilvoller waren die Pausen, das Stottern, die abgebrochenen Sätze.

Wer konnte geeigneter sein, diesen gewaltigen Brocken Dramatik auf die Bühne zu bringen als Andrea Breth. Endlich gelang es, sie, eine der ganz großen Regisseurinnen, an ein Münchner Theater zu verpflichten. Andrea Breths Inszenierungen zeichneten sich in der Vergangenheit vor allem durch ein tiefes (und gesundes) Verständnis und durch ein tiefes Ausloten der Texte aus. Inszenatorischen Schnickschnack suchte man bei ihr stets vergeblich. Der Text fordert die Form und wenn er das tut, dann stimmt es rundum. So auch im Münchner Residenztheater.

In einem Labyrinth aus Dinglichkeiten, zumeist überflüssigen, mäanderte das Leben zäh vor sich hin. Wenn Shenja Lachers Aston Auskunft gab, dann klangen seine einfachen, emotional hintergründigen Sätze wie in Ton gestochene Gebote. Sein Dasein war ritualisiert, seine Pfade vorbestimmt, denn das was wichtig war, hat man ihm genommen. Die Erinnerung war Rest. Für den Zuschauer erschloss sich wenig mehr als eine Ahnung und die war bedrohlich, denn jedem stand es frei, sie mit den eigenen Dämonen aufzufüllen.

Bruder Mick hingegen war ein Macher, einer der der Welt nicht unterlag. Norman Hacker gab ihn schneidig und robust. Aber auch in seiner Figur schwang eine Emotionalität mit, die Verzweiflung, eine tiefe existenzielle Traurigkeit implizierte. Hans-Michael Rehberg, er kehrte nach fünfzig Jahren an eine Stätte seines Karrierebeginns zurück und feierte am Premierenabend seinen 76. Geburtstag, verkörperte den Hausmeister Davies. Es war eine Augenweide, diesen großen Mimen in seiner Lebendigkeit und physischen, sowie sprachlichen Präsenz zu erleben. Sein Davis war ein verschlagener Alter, stets auf der Hut vor Anfeindungen und immer bereit, Händel vom Zaun zu brechen. Sein Wille dominierte, schürte den Konflikt und beim Zuschauer das Unbehagen.

Die zweieinhalb Stunden waren auch für den Zuschauer harte Arbeit. Obgleich das Drama durchaus komische Momente hat, die allerdings im Beckettschen Sinn ihre Wirkung nur entfalteten, wenn Inhalt und Darstellung bis zum Äußersten gingen, war die Handlungsarmut quälend. In allem schien auch ein wenig „Warten auf Godot“ zu stecken. Doch um Handlung ging es nur sekundär. Vielmehr wurde die Unfähigkeit zur Kommunikation zelebriert, und dabei ging Pinter, wie auch Andrea Breth bis zum Äußersten. Mochte sich das Problem der rationalen Wahrnehmung auch entzogen haben, der emotionalen Intelligenz entging es nicht. Und das vornehmlich Dank der inhaltlichen und ästhetischen Geschlossenheit der Inszenierung.

Es war in jedem Fall ein sehr besonderer Abend, dessen Bilder und Töne sich nicht so schnell aus dem Gedächtnis löschen lassen. Einmal mehr wurde der Beweis erbracht, dass es durchaus lohnt, Autoren auf die Bühne zu bringen, die nicht unbedingt „abonnementfördernd“, weil nicht kurzweilig sind. Großen Dank an Frau Breth und an ihre Darsteller.

 

Wolf Banitzki

 

 


Der Hausmeister

von Harold Pinter

Norman Hacker, Shenja Lacher, Hans-Michael Rehberg

Regie: Andrea Breth

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