Residenztheater Trilogie der Sommerfrische nach Carlo Goldoni
Fritschs knallbuntes Turbotheater gefiel
Um 1800 urteilte A.W. Schlegel über Goldoni: „Seine Sittengemälde sind wahr, aber zu wenig aus dem Geist des Alltäglichen herausgespielt; er hat das Leben von der Oberfläche abgeschöpft.“ Landsmann Francesco de Sancti ging sogar noch drakonischer vor und meinte: Goldoni „geht immer rasch und direkt vor, nie denkt er längere Zeit nach, er sammelt sich nicht und vertieft nichts; zu seinen Inhalten, die ihm eigentlich gleichgültig sind, verhält er sich gutgelaunt und gedankenlos, immer ganz äußerlich (…); in seinem Bestreben, aller Rhetorik aus dem Wege zu gehen, stürzt er in die Gewöhnlichkeit ab.“ Wen wundern die von der Romantik getragenen und sich an deren Idealen orientierenden Verächter, kann man da nur anmerken. Ein anderer, illusionsloserer Zeitgenosse sah in Goldoni durchaus einen ernstzunehmenden Realisten: Stendhal. Der meinte: „Hätte man einem Komödiendichter verboten, die Welt zu verklären, so wäre dem keiner besser gerecht geworden als Goldoni.“ Darum empfahl er: „Seine Werke kaufen und darin das Natürliche studieren.“
Es mag eine Menge Ansätze geben, das künstlerische Werk Goldoni zu betrachten, zu verreißen oder hoch zu loben. Goldoni selbst liefert vielleicht die sinnvollste Erklärung, denn er hat sich nie mit anderen Maßstäben abgegeben als mit denen der Renaissance und diese Epoche vertrat die Ansicht, dass der Mensch das Maß der Dinge sein sollte. Das ist einfach und plausibel. Hinzu kommt noch etwas anderes, was man bei Künstlern eher selten antrifft. Goldoni war ein unerschütterlicher Optimist und er hatte ein glückliches Naturell. Eben das scheint auch auf Herbert Fritsch zuzutreffen, wenn man seine Inszenierungen sieht. In Bezug auf Goldoni zeichnet sich da unbestreitbar eine Kongenialität ab. Nachdem Fritsch mit „Der Revisor“ sehr vorteilhaft punkten konnte, nun also Goldonis "Trilogia della villeggiatura" von 1761 in der Übersetzung und Bearbeitung von Sabrina Zwach mit dem Titel „Trilogie der Sommerfrische“ auf der Bühne des Residenztheaters.
Die Bürger von Livorno reisen alljährlich nach der Weinlese nach Montenero in die Sommerfrische. Obgleich es sich niemand mehr leisten kann, werden große Roben aufgeboten und mittellose Freunde eingeladen, denn es schickt sich, eine große Gesellschaft um sich zu scharen. Filippo reist mit seiner verwöhnten Tochter Giancita, seiner Schwester Sabina, übrigens die einzige Person, die über ein Vermögen verfügt, und Guglielmo, einem jugendlichen Freund. Leonardo hingegen hat seine Schwester Vittoria und den Schnorrer Ferdinando im Schlepptau. Seine Pläne drohen jedoch an der nicht mehr zu verschleiernden Insolvenz zu scheitern. Erst als die Hochzeit mit Giacinta und deren Mitgift in trockenen Tüchern ist, kann die Party beginnen. Es folgt ein turbulenter Reigen aus Irrungen, Wirrungen und Bäumchen-wechsel-dich-Spielen. Italienische Leidenschaften führen zu Chaos auch in den Gefühlen. Am Ende, und darauf kann man sich bei Goldoni verlassen, geht alles gut aus und jeder bekommt, wonach das Herz begehrt.
Das Bühnenbild von Herbert Fritsch erschöpft sich in einer durchsichtigen Leinwand, auf die vordergründig projiziert und hintergründig Schattenspiele veranstaltet werden können. Es gibt einen guten Grund für das Frugale in der Ausstattung: Die „Faust“ Inszenierung hat auch den Etat für diese Produktion verschlungen. Das war natürlich ein Witz. Die Projektionen bestanden aus knallbunten Barcodes, die auch schon mal einen dreidimensionalen Raum vorstellen konnten. Der Gedanke mit den Barcodes ist naheliegend, denn obgleich unentwegt von Liebe und Geld geredet wird, wird auch an Geld gedacht, wenn nur von Liebe die Rede ist. Fritsch persifliert nicht nur die Urlaubskultur, sondern auch deren Protagonisten. Selbst wenn sich Herbert Fritsch gegen Aktualisierungen sträubt, weil sie ihn langweilen, wie er meint, der Bezug zum Heute lässt sich nicht leugnen. Urlaub, Urlaubsorte, Hotelklassen, Urlaubsgarderobe, all das sind längst Statussymbole geworden, und manch ein Zeitgenosse nimmt auch schon mal einen Kredit auf, um mithalten und –reden zu können.
Ensemble © Thomas Aurin |
Victoria Behrs Kostüme waren eine wahre Augenweide. Sie waren so grell überdreht, dass sie Gefahr laufen, als (Retro-) Mode schon wieder ernst genommen zu werden. Hinzu kam, dass sämtliche Darsteller so genannte „Kulturstreifen“ aufwiesen, scharfe Ränder in Braun und auch Krebsrot auf käseweißer Haut, wohin die Kleidung nicht reichte. Das erinnerte an die peinliche 50er und 60er Jahreästhetik an der Schwelle zum Aufbruch aus der Prüderie. Es ging nicht nur frivol zu in der Gesellschaft, die Sommerfrische war hochtouriges Relaxen mit viel Krach und Getöse. Sämtliche bekannten Klischees über Italien wurden gnadenlos verbraten – zum unbestrittenen Vergnügen des Publikums und ohne unsere liebenswerten südlichen Nachbarn zu denunzieren. Es war ein Heidenspaß, den exzessiven Wortkaskaden zu lauschen, die mit (Freudschen) Fehlleistungen nur so gespickt waren. Gestik und Mimik, Sprachgebaren und Gesang waren in der Tradition der Commedia dell’arte inszeniert, deren bedeutendster Reformator Goldoni war. Er wollte sie abschaffen, in dem er den Darstellern die Maske vom Gesicht nahm und ihnen so individuelle Charaktere verlieh. Im Ergebnis schenkte er den Italienern ein neues, lebendiges und dennoch sehr traditionsbewusstes Theater, an das Regisseur Fritsch auf schönste Weise erinnert.
Schon in „Der Revisor“ war ersichtlich, dass Sebastian Blomberg ein von Fritsch favorisierter Darsteller ist. Als Ferdinando, der sich um die ältliche Sabina (Sibylle Canonica) und ihr Vermögen bemühte, brillierte Blomberg über weite Strecken. Sein Gigolo für Arme, mit Glitzermakeup und feistem Hüftschwung begeisterte, wenn er den Bühnenraum nur durchquerte. Markus Hering gab den verschuldetet Leonardo als einen permanent Flüchtigen vor den Gläubigern, aber auch vor seinen eigenen Dämonen. Er spielte exzessiv bis zur Atemlosigkeit, um am Ende als mehrfach begossener Narr dazustehen, wovon auch die ersten fünf Zuschauerreihen etwas hatten. Der Filippo von Aurel Manthei verblüffte mit italienischem Akzent. Das mutete angesichts der Tatsache, dass es allesamt Italiener in Italien waren, recht seltsam an. Aber so genau sollte man die Dinge nicht hinterfragen. Auch der vordergründige Genuss ist ein Genuss. Michele Cuciuffo, zwar in Deutschland geboren, konnten seine italienischen Gene in der Rolle des Fulgenzio nicht leugnen. Die braucht man vermutlich, um die ausgefeilte Kunst der Commedia dell’arte, die rasante Einheit von Wort und Geste dergestalt zu zelebrieren, dass es wie Zauberei erscheint. Die Damen agierten alle gleichermaßen schrill, was man nach einer kurzen Gewöhnungsphase durchaus genießen konnte. Nora Buzalkas Giacinta und Friederike Otts Vittoria lagen lautstark im Dauerclinch, beide darauf bedacht, die andere als nicht up to date dastehen zu lassen oder sie mit schmeichlerischen Galanterien zu ermorden.
Fritsch hatte, wie es bekanntermaßen seine Art ist, extrem temporeich, ausladend körperlich und sehr rhythmisch inszeniert. Traumhafte Gesangseinlagen, die Texte waren sämtlich von Gino Paoli, komplettierten ein ästhetisch in sich geschlossene Inszenierung. Carsten "Erobique" Meyer im gestreiften (Schlaf-) Anzug war der Mann am Klavier. Wie ein abgekämpfter Barpianist, er rauchte, trank sein Bier, kommentierte er nicht nur musikalisch. Und um dem ganzen Spektakel noch das I-Tüpfelchen aufzusetzen, inszenierte und choreografierte Herbert Fritsch auch noch die Verbeugung. Das war mutig angesichts der denkbaren Möglichkeit, dass die Inszenierung beim Publikum durchfällt? Das hätte einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlassen. Doch das ist nur müßige Spekulation, denn unterm Strich gab es eine furiose Inszenierung zu sehen, die kurzweilig, weil amüsant war, die Goldoni zur Ehre gereicht hätte und den großen Dramatiker nach langer Absenz wieder ins Bewusstsein des Münchner Publikum gerückt hat. Danke für einen wunderbaren Abend.
Wolf Banitzki
Trilogie der Sommerfrische
Oder: Frivole Sommerfrische in möglicherweise drei Liebes-Akten
nach Carlo Goldoni, übersetzt und bearbeitet von Sabrina Zwach
Aurel Manthei, Nora Buzalka, Sibylle Canonica, Markus Hering, Friederike Ott, Sebastian Blomberg, Gunther Eckes, Michele Cuciuffo, Paul Wolff-Plottegg, Alfred Kleinheinz, Barbara Melzl Regie: Herbert Fritsch |