Residenz Theater Baal von Bertolt Brecht


 

 

Love it or leave it

„Ich liebe die Frauen nicht. Die Liebe muss neu erfunden werden, jeder weiß das. Sie wollen versorgt sein, sonst nichts. Haben sie den Kerl, sind Herz und Schönheit abgetan: Nichts bleibt, nur kalte Verachtung, das Brot einer Ehe von heute… Ich sehe Frauen, die sind wie geschaffen für das Glück, und ich – gute Kameraden hätte ich aus ihnen gemacht, wären sie nicht längst verbraucht von irgendeinem Klotz, der Gefühle hat wie Scheiterhaufen.“ Nein, das stammt nicht aus Brechts „Baal", sondern aus Arthur Rimbauds „Delirien – Der Höllengemahl“. Aber es passt auf Baal, den Allesfresser, den gottgleichen Lyriker und Allesvernichter. Der geniale Dichter und Berserker Baal, ein assyrischer Naturgott stand für diese Figur Pate, gefällt sich in seiner Rolle und lebt sie konsequent bis ans bittere Ende. Er verreckt auf der Flucht vor Langjägern vor der Hütte von Holzfällern, von diesen angespien.

„Alle Laster sind zu etwas gut / Nur der Mann nicht, sagt er, der sie tut.“ So Bert Brecht, der eine Schwäche für Kraftprotze hatte, wohl, weil er selbst alles andere war. Männer wie Baal schreiben keine Geschichte, sie füllen sie auf mit ihrer barbarischen Natur. So exemplarisch stellte Brecht sie aus und überließ es den Zuschauern, ihre Schlüsse daraus zu ziehen. In jedem Fall waren Brechts frühe Gestalten (Baal, Kragler, Fazer, Galy Gay) anarchisch, die Unweisen. Er schickte sie zum großen Poltern hinaus auf die Bühne und ließ die Zuschauerräum dekorieren mit Sprüchen wie: „Glotzt nicht so romantisch!“, „Es ist alles Krampf!“ oder „Es ist ganz gewöhnliches Theater!“. Es war ein großes Aufbegehren gegen das bürgerliche Illusionstheater. Dieser Rolle nahm sich nun erneut Frank Castorf am Residenztheater an, und wenn man sich auf eines verlassen kann, dann auf das große Poltern.

Frank Castorf ist kein Regisseur, der vor einem Autor einen Kniefall macht, auch vor Brecht nicht. Seinen Einstieg in München gab er mit Horváths „Kasimir und Karoline“. Da ihm der Dramatiker, Castorf inszenierte erstmals ein Horváth-Stück, zu unpolitisch, zu seicht und zu indifferent ist, lud er den Text mit Anleihen bei Ernst Jünger, Brecht, Friedrich Schröder-Sonnenstern usw. auf mehr als vier Stunden auf. Das scheint in etwa der Zeitraum zu sein, den Castorf braucht, um sich auszuleben und –toben. Auch für Célines „Reise ans Ende der Nacht“, der 650-Seiten-Roman reichte dem Regisseur nicht aus und wurde mit Heiner Müllers „Auftrag“ verstärkt, musste der Zuschauer geduldiges Sitzfleisch aufbieten. Nun also „Baal“, ein Text von 45 Seiten (Spectaculum 6, Shrkamp Verlag). Auch dieses Drama blähte Castorf bis zur Unkenntlichkeit auf vier und eine halbe Stunde auf. Dazu mussten Rimbaud, Baudelaire, Jean-Paul Sartre, Ernst Jünger und vermutlich noch einige andere Autoren herhalten. Dabei hatten die Zuschauer noch Glück, denn es fanden sich im Chaos der Ideen auch die Drohung, dass sich weitere „500 Seiten fanden, die die Darsteller allerdings selbst realisieren sollten, weil der Spielleiter zu arbeitsscheu sei – also sieben Stunden oder länger“.  Castorf weiß also um die Zumutung, die er seinen Zuschauern bereitet, wenn er derartige Scherze macht.

  Baal-Residenztheater  
 

 (Projektion) Aurel Manthei, Franz Pätzold, Andrea Wenzl

© Thomas Aurin

 

Erzählt wird die Geschichte von Baal nicht stringent. Sie verbirgt sich irgendwie auch in dem Konglomerat. Allein, wenn man die Fabel nicht kennt, wird man sie schwerlich entdecken. Aber das macht auch nichts, denn hier geht es nicht um ein berserkerhaftes Individuum, das frisst, säuft, hurt und mordet, sondern um Kolonialismus, in dem derartige Figuren naturgemäß aufblühen. Castorf setzt damit seine in „Reise ans Ende der Nacht“ begonnene Kapitalismuskritik fort und konfrontiert mit der sinnfälligen und in unserer Gesellschaft als missliebig verleugnete These, dass die heutige moderne bürgerliche Welt auch und vor allem das Ergebnis einer Jahrhunderte währende, barbarische Kolonialpolitik ist, die immer noch andauert. Auch der heutige Terrorismus ist Ergebnis dieser Kolonialpolitik.

Leider leistet Castorf im Theater etwas, was der gesellschaftliche Diskurs nicht erbringt, nicht erbringen will, wie es scheint. Fast möchte man glauben, dass den Politikern der islamistische Terror grad  recht ist, denn neben diesem hässlichen „Phänomen“ scheint es keine Probleme mehr zu geben. Leider, weil wieder radauartiges Agitproptheater stattfindet, das ästhetisch einen Teil der Theatergeschichte eliminiert.

Um das zu verstehen, sei auf ein Interview mit Nicholas Ofczarek verwiesen, in dem er beschrieb, wie sich die Proben zu „Kasimir und Karoline“ gestalteten. Frank Castorf zwang ihn, ein extrem schweres Bühnenteil zu bewegen. Als Ofczarek den Einwand geltend machte, dass es nicht zu schaffen sei, bestand Castorf auf den Kraftakt, denn in diesem Augenblick der Anstrengung, trete der Mensch Ofczarek vor den Schauspieler Ofczarek. Das sei ehrlicher, was aber auch meint, es sei weitestgehend frei von künstlerischer Gestaltung durch den Schauspieler Ofczarek. Nicholas Ofczarek, durch die Intendanz vollmundig als neues Mitglied des Residenztheaterensembles angekündigt, ist noch in derselben Spielzeit zurückgekehrt nach Wien. Selbstverständlich gibt es da keinen Zusammenhang. Zeitgründe wurden genannt.

Wie schon für „Reise ans Ende der Nacht“ hatte Aleksandar Denić auch für „Baal“ ein beeindruckendes Bühnenbild geschaffen. Der mehrstöckige Bau bestand wieder aus einem Labyrinth von Räumen, der in seiner Pagodenhaftigkeit an Asien erinnerte. Bestandteil war gleichsam ein Helikopter, den am Bug der Playboy Hase zierte. Darüber war das Wappen einer amerikanischen Kavallerieeinheit zu entdecken. Eingeweihten war klar, bei diesem Fluggerät handelte es sich um eine Anleihe aus Coppolas Film „Apokalypse now“. Das vermutlich sehr sehenswerte Bühnenbild auch zu schauen, war nahezu unmöglich, denn es herrschte über weite Strecken der Vorstellung hinweg Finsternis, schließlich man befand sich in so etwas wie im „Herzen der Finsternis“ (Joseph Conrad). Dem Platz in der 15. Reihe war ein Übriges geschuldet.

Die Darsteller waren ohnehin nur deutlich zu erkennen, wenn sie auf den beiden Leinwänden zu sehen waren, nachdem Stefan Muhle sie mit der Live-Cam eingefangen hatte. Ansonsten fand viel wildes Gerenne durch den Verhau des Bühnenbildes statt. Franz Pätzold als Ekart leistete dies zeitweise sogar mit einem Fallschirm im Schlepptau und drohte sich mehrfach zu erhängen. Atemloses Gebrüll ließ etliche Texte im gurgelnden Orkus Castorfscher Kriegshöllen, insbesondere bei Andrea Wenzl, versickern. Platte Anspielungen auf Unerwartetes wie: „Kenn ich aus dem Faust!“ von Bibiana Beglau, die in selbiger Inszenierung den Mephisto spielt, durften nicht fehlen. Sie verkörperte übrigens keine Brechtsche Figur, sondern, in Anlehnung  an Arthur Rimbauds „Der Höllengemahl“, die Höllengemahlin.

Differenzierte Gestaltung? Fehlanzeige. Rumor – auch in Augenblicken von Poesie. Castorf bürstete wieder einmal alles gegen den Strich, um „romantisches Glotzen“ zu verhindern und die Botschaft einzuhämmern. Dreist wird er, wenn er ganze Szenen aus „Apokalypse now“ auf der Leinwand abspult und seine Schauspieler darüber projiziert, die die gleichen Texte nachsprechen. Auch Castorfs Fans waren in der Premiere anwesend. Sie waren am Lachen zu erkennen. Es war kein Lachen aus komischen Situationen heraus, sondern das Lachen derer, die anbeten, wenn einer sich über alle Konventionen hinweg setzt und mit jeder tradierten Kunst bricht. Und die Darsteller? Irgendwer musste ja schließlich das Karussell Castorfscher Geistesgäule am Laufen halten.  

Ist das schon Aufbruch in eine neue Kunst? Nein, gewiss nicht, es ist immer noch die liebgewonnene Dekadenz, die Castorf radikal, unverschämt und intelligent für sich zu nutzen weiß. Er schafft dabei etwas, was nur wenigen Regisseuren gegeben ist, er inszeniert das Publikum gleich mit. Und wem es nicht gefällt, der kann es ja bleiben lassen.

 

Wolf Banitzki

 


Baal

von Bertolt Brecht

Bibiana Beglau, Franz Pätzold, Aurel Manthei, Andrea Wenzl, Götz Argus, Jürgen Stössinger, Katharina Pichler, Hong Mei

Regie: Frank Castorf