Residenztheater Eine Familie von Tracy Letts


 

 

Perspektivlos


„Wir sind hier in der Prärie. Das ist ein Bewusstseinszustand, ein seelisches Leiden, klar? So ähnlich wie Blues.“ Der amerikanische Schauspieler und Dramatiker Tracy Letts ist in Durant, einer amerikanischen Kleinstadt, aufgewachsen. In seinem Theaterstück „Eine Familie“ nimmt er Bezug auf dieses Leben und erzählt die Geschichte seiner Großeltern, welche auch sein Leben prägte. In Chicago mit der Steppenwolf Theater Company uraufgeführt, gelangte das Stück im nächsten Schritt an den Broadway und Letts erhielt dafür 2008 den Pulitzer-Preis für Dramatik. Wenn das keine typische Erfolgsgeschichte ist, und eine Perspektive die doch keine ist … „Heute ist Tracy Letts der festen Überzeugung, dass jeder in seinem Leben einmal an einen Punkt kommen muss, an dem er die ‚eigenen Beschädigungen‘ nutzen sollte.“ (Programmheft)


Das alte Ehepaar Violet und Beverly Weston lebt zurückgezogen in ihrem Haus. Violet ist krebskrank und tablettensüchtig, Beverly alkoholabhängig. Er nimmt Johnna, eine junge Ureinwohnerin als Hilfe auf, bevor er wenige Tage später das Haus für immer verlässt. Aus gegebenem Anlass kommen seine drei Töchter, Barbara, Ivy und Karen, sowie Violets Schwester Mattie Fae und ihr Mann Charlie zusammen. Das Familienkarussell beginnt sich zu drehen, Szene um Szene, immer schneller.


Jens Kilian schuf sinngemäß auf der Bühne verbindend ein offenes Haus mit Wohnraum im Erdgeschoss, Bibliothek und Schlafräumen im 1. Stock und einer kleinen Dachkammer für Johnna. So erhielt das Publikum Einblick auf alle Ebenen der Geschichte, in der jeder auch sein persönliches Befinden, wie etwa Hasch rauchen, Existenzangst oder Midlifecrisis in den Focus rücken konnte. Letts verflocht geschickt Gegenwart mit der Vergangenheit und breitete Problem für Problem vor dem Publikum aus; alle durchaus gesellschaftlich relevant und aktuell, sodass jeder sich angesprochen fühlen konnte. Wobei der Wiedererkennungseffekt der amerikanischen Soap durchaus als befördernd eingesetzt war, und Wohnzimmerfernsehatmosphäre aufkam. Tina Lanik führte Regie und ordentliche klare Bilder unterstützten den Text und diese Stimmung in Residenztheatermanier. Die im Fokus des Stückes stehenden Frauen ließen alle Schauspielerinnen zu Hochform finden, allen voran Sophie von Kessel und Charlotte Schwab. Der Entfaltungsraum für die Darsteller der Männer war deutlich begrenzter und doch boten auch sie angemessenes schauspielerisches Niveau. Thomas Gräßle gab einen durchaus coolen Sheriff Deon.


Im Stück war es die wiederholt zitierte, doch nie ausgesprochene Vereinbarung des alten Ehepaares Weston, sich für Erlittenes zu entschädigen, der letzte Coup sozusagen im Krimi des Lebens. Selbstbestätigung, akribische Analyse und die ultimative Wahrheit … ist das wirklich alles um Zufriedenheit bzw. Quote entstehen zu lassen?

     
 

H

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Die Selbstzerstörung per se, die in der Natur und damit im Menschen genauso angelegt ist wie das Wachstum per se, sucht sich ebenso durchzusetzen. Der natürliche Verfall (der Neuem Raum und Nährboden schafft) kennt viele beschleunigende Ausdrucksformen wie Krebs, Alkohol- und Drogensucht, Klimawandel und Wirtschaftswahn, um nur einige zu nennen.Und während die Einen Wachstum predigen um zu zerstören, gleicht die Natur in ihrer Weise aus.


Wenn also der Hintergrund in den Vordergrund gerückt wird, entsteht auch nicht wirklich etwas Neues. Während im klassischen Drama die Psyche im Verborgenen agiert, hinter der Maske und nur an einigen Stellen hervortritt, so demonstrierte in diesem Stück die Psyche unverdeckt ihre Anlagen, und fällt somit hinter das Tierische zurück. Die Maske, welche auch als Regeln für Verhaltensformen im Patriarchatund damit der bürgerlichen Gesellschaft steht, diese Maske ist es, die das aufkommende Matriarchat abzulegen sucht, schließlich geht es derzeit vor allem um den Beweis, dass Frauen doch die besseren Männer sind.


Als Entfaltungsraum in der Realität blieb dem Patriarch der Familie, nun als Ältester Violets Schwager Charlie, an der Tafel (des Abendmahls der Psychosen) nach dem Begräbnis das Tischgebet zu sprechen, was Karens Verlobten Steve, den Gast keineswegs daran hinderte im selben Augenblick seine Geschäfte zu führen, wofür der Angebetete sicherlich Verständnis hat, wird doch in seinem Namen weltweit das umfassendste Geschäft überhaupt betrieben. Womit also alles seine Ordnung hat.


Am Schluss der Vorstellung applaudierte das Publikum begeistert und die Quotenerwartungen werden sicherlich weiterhin erfüllt.

 

C.M.Meier

 


Eine Familie (August: Osage County)

von Tracy Letts
Deutsch von Anna Opel

Paul Wolff-Plottegg, Charlotte Schwab, Sophie von Kessel, Arthur Klemt, Marie-Therese Fischer, Katharina Pichler, KatrinRöver, AurelManthei, Barbara Melzl, Wolfram Rupperti, Lukas Turtur, Thomas Gräßle, Amanda da Gloria

Regie: Tina Lanik

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