Residenztheater Der Spieler von Fjodor M. Dostojewskij


 

Im Bann des Spiels

Man sollte meinen, wenn ein Autor wie Fjodor M. Dostojewskij einen Roman wie „Der Spieler“ geschrieben hat, wäre er mit dem Thema durch und hätte eine derartige Spielleidenschaft als das erkannt, was sie ist, eine Krankheit oder zumindest eine Schwäche des Willens, vielleicht auch des Charakters. Tatsächlich allerdings hatte das Werk für Dostojewskij kaum Folgen für sein Bewusstsein in dem Sinn, dass er sich vom Rouletttisch fernhielt. Ganz im Gegenteil. Gut ein halbes Jahr, nachdem er den Roman fertig gestellt hatte, befand er sich mit seiner frischgebackenen Ehefrau Anna Grigorjewna, sie hatte ihm als Stenografin gedient und war Dostojewskij behilflich gewesen, den Roman fristgerecht zu beenden, in Dresden. Der Lockruf des Rouletttisches wurde für Dostojewskij übermächtig und schließlich „überredete“ ihn seine Frau, dass er für ein paar Tage nach Homburg zum Spielen reisen möge. Der Schriftsteller hatte ihr glaubhaft vermitteln können, dass, „falls es gelänge, in eine Stadt des Glücksspiels zu fahren, dort zwei bis drei Wochen zu wohnen, und falls er eine gewisse Summe in Reserve hätte, dann hätte er bestimmt Erfolg: Ohne den Zwang zur Eile würde er jene ruhige Spielmethode anwenden, bei der er einfach gewinnen müsse – zwar keine riesige Summe, aber immerhin genug, um die Spielverluste zu decken.“ (A.G. Dostojewskaja: Erinnerungen.)

Acht Tage dauerte der Ausflug, drei Mal musste ihm seine Frau Geld nachsenden. Als er heimkehrte, war alles verspielt und Dostojewskij war unausstehlich und deprimiert. Im Gegensatz zu seiner Frau zog Dostojewskij lange Zeit keine Konsequenzen. Anna Grigorjewna war indes zu der festen Überzeugung gelangt, „dass Fjodor Michaílowitsch nie gewinnen werde, das heißt, vielleicht schon gewinnen, möglicherweise sogar eine große Summe, diese Summe jedoch am selben Tag (oder spätestens am nächsten) verspielt sein wird und keinerlei Bitten, Überzeugungsversuche, Beschwörungen meinerseits, nicht zum Roulett zu gehen, das Spiel nicht fortzusetzen, ihn davon abbringen werden.“ Ihr war bald klar geworden, „dass dies nicht einfach ‚Willensschwäche‘, sondern eine den Menschen verschlingende Leidenschaft war, etwas Elementares, gegen das selbst ein starker Charakter nicht ankämpfen kann. Man musste sich damit abfinden, die Spielsucht als eine Krankheit zu sehen, gegen die es kein Mittel gibt.“

Dostojwskij machte seinerseits keine Anstalten, Mittel gegen seine Sucht zu finden. Er folgte dem Lockruf, wann immer er ihn in seinem Innern vernahm. Er glaubte geradezu besessen an die Möglichkeit vom finalen großen Gewinn. Sein Bekenntnis für die Figur des Hauslehrers Alexej Iwanowitsch, des Spielers im gleichnamigen Roman war unzweifelhaft, wie seine Frau bemerkte: „Fjodor Michailowitsch stand voll und ganz auf seiten des ‚Spielers‘ und sagte, vieles von dessen Gefühlen und Eindrücken habe er an sich selbst erfahren. Er versicherte, man könne sehr wohl einen starken Charakter besitzen, dies mit seinem Leben beweisen und dennoch nicht die Kraft aufbringen, die Leidenschaft für das Roulettspiel zu bezwingen.“ Bei diesem Selbstbildnis ist ein gerüttelt Maß an Eitelkeit im Spiel, denn die Spielsucht Dostojewskijs war nicht seine einzige Charakterschwäche.

Warum diese ausführlichen Einlassungen aus dem Leben des Autors, wird sich der eine oder andere Leser fragen? Nun, um klarzustellen, dass Dostojewskij selbst der „Spieler“ war, dass er dessen Positionen uneingeschränkt befürwortete, dass er keinerlei ehrliche Selbstkritik übte und dass er damit ein „Evangelium“ zum Spiel geschrieben hatte. Es sind die realistischen Beschreibungen des aus dem Spiel oder des aus der Spielsucht resultierenden sozialen und moralischen Elends, das eine kathartische Wirkung hat und somit bei vernünftigen und gesunden Menschen eine aufklärerische oder gar pädagogische Wirkung erzeugt. Dostojewskij verlor in seinem ganzen Roman kein Wort über das Wesen des Glücksspiels, welches in dem spekulativen Versuch besteht, sich über ein Regelwerk und mittels einer Kugel oder des Zufalls in den Besitz des Geldes der anderen Mitspieler zu bringen. Einziger moralischer Rechtfertigungsversuch: Alle nehmen freiwillig daran teil! Und hier gibt es einen hässlichen Haken, denn das trifft lediglich für den Spieler, nicht aber für den Spielsüchtigen zu. Dahinter, handelt es sich nicht gerade um eine Hinterzimmerpokerpartie im Freundeskreis, steckt stets auch ein Organisator, die Bank, und die ist der wahre Gewinner, weil sie immer und dauerhaft gewinnt. Folglich ist das auch nur ein ziemlich dümmliches Geschäftsmodell, das nur so erfolgreich ist, weil es fragwürdige Illusionen und Emotionen nährt.

Die Geschichte von Dostojewskij ist schnell erzählt. Sie spielt in parasitären Kreisen von Spielern in einem Ort namens Roulettenburg. Der eigentliche Spieler, Alexej Iwanowitsch, ist Hauslehrer beim General a.D. und in einer Hassliebe zu dessen Stieftochter Polina Alexandrowna gefangen. Er wartet auf die Gelegenheit, seinen Coup beim Spiel zu landen und sich somit aus allen finanziellen Abhängigkeiten zu befreien, um endlich dem subalternen, für ihn sklavischen Verhältnis zu Polina zu entkommen. Erst dann, so glaubt er, kann er ihr endlich seine Liebe gestehen. Mit der Zeit schwinden beim Spiel die Mittel und neue Abhängigkeiten entstehen. So hat der General, von dem etliche andere Menschen abhängen, längst seine Besitzungen an den fragwürdigen Marquis des Grieux verpfändet. Der einzige Hoffnungsschimmer ist der Tod der Tante des Generals, dessen Nachricht sehnlichst herbeigewünscht wird. Doch anstelle der Nachricht von ihrem Tod reist die Tante Antonida Wassiljewna höchstselbst an. Putzmunter und quietschvergnügt stürzt sie sich, vom Spielfieber gepackt, auf das Roulette und verspielt in kürzester Zeit das heißbegehrte Erbe. Eine der seltenen Gewinnerinnen ist eine gewisse Mademoiselle Blanche, eine suspekte aber anziehende Frau, die mehr mit ihren Identitäten und Lebensläufen als am Rouletttisch spielt und zuletzt Gattin des Generals und Besitzerin seines Restvermögens, das vornehmlich in dem Titel besteht, wird, nachdem sie sich mit den Gewinnen Alexej Iwanowitschs in Paris etabliert hat. Am Ende muss Alexej Iwanowitsch aus dem Schuldgefängnis ausgelöst werden. Von dem Englischen Zuckersieder Mr. Astley erfährt er, dass Polina Alexandrowna, inzwischen in der Schweiz lebend, ihn noch immer liebt. Augenblicklich beginnt das Spiel von neuem und aus dem letzten verbliebenen Gulden macht er im Handumdrehen 170. Also, nur nicht verzagen und mutig setzen.

  Der Spieler  
 

Links oben: Thomas Gräßle, Charlotte Schwab, Thomas Lettow am Spieltisch: Hanna Scheibe, Philip Dechamps rechts: Thomas Loibl, Lilith Häßle

© Matthias Horn

 

Andreas Kriegenburg inszenierte Dostojewskijs Roman im Residenztheater als dreistündigen Spielreigen. Bühnenbildner Harald B. Thor hatte sich von einem Rouletttisch inspirieren lassen und brachte das ganze Roulettenburger Leben als einen solchen auf die zwei Spielebenen aufweisende Bühne. Mittelpunkt auf dem „Oberdeck“ der sich unentwegt drehenden Bühne war das Kurhaus, der Spieltisch, Ort nimmermüder Zocker, Zentrum und Grund für die Anwesenheit aller gleichermaßen. An der Peripherie befanden sich auf abgespreizten, marode wirkenden Brücken die Hotelzimmer oder Balkone, üppig bestückt mit Champagner, dem reichlich und pausenlos zugesprochen wurde. Darunter, am Grund des Daseins, glich die Bühne einer Müllkippe, geflutet von den Überbleibseln der Konsumgesellschaft. Da sich die Bühne stetig drehte, mussten die agierenden Darsteller permanent in Bewegung sein, um sichtbar, präsent und anwesend zu bleiben. So hasteten die Personen, das Leben, die Beziehungen und auch der Geldverkehr in Atemlosigkeit und stetigem Wandel dahin. Das Lebensroulett ließ keine Atempause zu.

Dostojewskij schrieb seinen Roman in der ersten Person und folglich erzählt Alexej Iwanowitsch unentwegt. Es gibt nur ganz wenige Szenen in denen er nicht präsent ist. Und so wurde die Inszenierung ein darstellerisches Fest für Thomas Lettow, der die Gesellschaft nicht nur rhetorisch dominierte. Lettows Alexej Iwanowitsch besaß unübersehbar eine intellektuelle Überlegenheit. Sein Sarkasmus, auch sein Zynismus verlieh ihm etwas Diabolisches und Thomas Lettow setzte das in höchstem Maße körperlich um. Er leistete, auch was Textbewältigung anbelangte, Titanenarbeit und ließ den Mitstreitern nur begrenzten Raum zur Entfaltung. So bekam der Zuschauer (in der Vorstellung am 3. Januar 2019) von den anderen Figuren höchstens eine Ahnung. So zum Beispiel von dem von Thomas Loibl gestalteten General a.D. Loibl, ohne Frage ein Erzkomödiant, musste sich damit begnügen, die Karikatur eines liebeskranken, dünkelhaften, seine Verzweiflung kaschierenden und am Ende erbärmlichen Patriarchen abzuliefern. Tatsächlich ist er in der Geschichte für einen ganzen Tross parasitärer Geschöpfe der Wirt, der sie am Leben erhält.

Immerhin hatte Andreas Kriegenburg die Chuzpe, Polina Alexandrowna, die Stieftochter des Generals als eine sehr kokette und durchaus berechnende Person darzustellen. Lilith Häßle machte die Figur, die bei Dostojewskij durchaus romantisch-tragische Züge trägt, zu einem selbstbewussten, mit ihren Reizen hemmungslos spielenden Luder. Hanna Scheibe als Mademoiselle Blanche de Cominges oblag es über weite Strecken mehr zu sein, als zu gestalten. Sie gab eine kühle, pragmatisch im Hintergrund agierende Frau, die erst schrillen Lebensgeist entfaltete, als sie ihre Etablierung in Paris betrieb. Einen großen Auftritt hatte indes Charlotte Schwab als Antonida Wassiljewna Tarassewitschewa, Tante des Generals. Es liegt im Wesen der Rolle begründet, dass ihr die Sympathien des Publikums, das das ganze intrigante, geldgeile Geschmeiß längst satt hatte, zuflogen. Mit Furor verballerte sie ihr Vermögen am Roletttisch, als wäre es ein Neujahrsfeuerwerk. Selbst ihr reuevoller Abgang hatte etwas Anrührendes, denn die alte Dame war die einzige, die wieder zu gesundem Verstand kam, nachdem der Rausch des Spiels verpufft war. Philip Dechamps als Marquis des Grieux und Thomas Gräßle in der Rolle des Mr. Astley irrlichterten durch die Geschichte und waren kaum mehr als Stichwortgeber. Zudem konnte man sie in ihrer Farblosigkeit leicht verwechseln.

Das visionär ausladende Bühnenbild und auch die Kostüme von Andrea Schraad verliehen dem Abend einen großen Schauwert. Eine Vielzahl von szenischen Lösungen, die im Hinter- oder Untergrund abliefen, machte die Inszenierung in vielen Situationen auch doppelbödig, allein, so richtig sprang der Funke nicht über und gelegentlich wurden Längen quälend. Regisseur Kriegenburg, unbestritten einer der wichtigen und verlässlichen Regisseure unserer Zeit, setzte zu stark auf Szenen, die den Rausch des Spiels und des Spielers beschrieben. Mehrfach toste Thomas Lettow mit enormer körperlicher Spannung durch die Beschreibungen des Spiels, des maßlosen Gewinnens, des ruinösen Verlierens. Summen wurden ins Publikum geschleudert, als wären sie Offenbarungen. Bei etlichen Zuschauern blieben es einfach nur Summen und so lief sich dieses Prinzip bald tot. Man musste wohl selbst Spieler sein oder aber das Geld abgöttisch lieben, um diesem Reiz zu erliegen. Geld ist ein Zahlungsmittel, ein Versprechen, eine Illusion und die Anbetung des Geldes sollte bei einem gesunden Menschen Unverständnis, schlimmstenfalls Ekel erzeugen, denn Geld, soviel für die Ästheten unter uns, hat auch etwas Ordinäres.

Der wahre Konflikt, nämlich, dass das Geld die gesellschaftlichen Schichten voneinander separiert und folglich Liebende trennt, blieb marginal. Auch solche profunden Einsprengsel wie die Bemerkung Mr. Astleys, dass der Hauslehrer und Spieler Alexej Iwanowitsch längst mehr als nur Geld verloren hatte, gingen unter. „Sie sind stumpf geworden. (…) Sie haben sich nicht nur vom Leben losgesagt, von Ihren eigenen und den Interessen der Allgemeinheit, von der Pflicht des Bürgers und Menschen, von Ihren Freunden (…). Sie haben nicht nur jedes Lebensziel mit Ausnahme des Gewinnens im Spiel aufgegeben, sondern sogar Ihre Erinnerungen.“ Auch unsere heutige Gesellschaft ist ein Roulettspiel und die Jagd nach dem schnellen, meist von Arbeit abgekoppelten Profit ist allgegenwärtig. Astley hat es in der Beschreibung auf den Punkt gebracht, wohin das den einzelnen Menschen und auch die ganze Gesellschaft führen wird. Diese Botschaft war nicht die dominante und das war schade. Zurück blieb ein pathologischer Spieler im Bann des Spiels, ohne Ausweg.

Wolf Banitzki

 


Der Spieler

von Fjodor M. Dostojewskij
Deutsch von Alexander Nitzberg

Mit: Thomas Lettow, Thomas Loibl, Lilith Häßle, Hanna Scheibe, Charlotte Schwab, Philip Dechamps, Thomas Gräßle, Arnulf Schumacher

Regie: Andreas Kriegenburg
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