Residenztheater  Eine göttliche Komödie. Dante < > Pasolini von Federico Bellini


 

Viel Gewalt, wenig Göttlichkeit

Ort der Handlung ist Ostia, Roms vorgelagerter Strand. Das Geschehen spielt in der Nacht auf den 2. November 1975. Der Dichter und Filmemacher Pier Paolo Pasolini war mit seinem Alfa Romeo an den Strand gefahren und wurde getötet, geradezu abgeschlachtet. Die Leiche fand man in der Früh auf einem Fußballplatz. Schnell war der Täter ausgemacht und festgesetzt: der junge, schmächtige Stricher Pino Pelosi. Er gestand die Tat und wurde verurteilt. Doch die Zweifel an Tathergang und den Mördern werden nie wirklich ausgeräumt. Federico Bellinis Drama, das auf der Bühne des Residenztheaters seine Uraufführung erlebte, beginnt im Augenblick des Sterbens Pasolinis.

Vier mögliche Varianten wurden langatmig durchexerziert. Die erste: Pelosi gerät mit Pasolini, gespielt von Tim Werths mit erstaunlicher Ähnlichkeit zum Dichter, in einen Streit und erschlägt ihn auf bestialische Weise. Dann endete der Vorgang abrupt und wurde zurückgespult. Neben Pasolini und Pelosi entstieg dem Auto nun eine weitere Person, ein Neofaschist, und das Schlachten begann erneut. Auch diese zweite Variante endete und wurde auf Anfang zurück gespult. Jetzt entstiegen dem Auto vier Personen. Hinzu kam ein Mafiosi. The same procedure as… Und in der vierten Variante kommen zwei Polizisten hinzu, die Beweismittel platzieren und, nachdem sie feststellen mussten, dass noch ein Rest Leben in Pasolini ist, die Tat vollendeten. Alle Figuren waren auf dieselbe Weise gekleidet, was wohl bedeutete, dass alle derselben Gesellschaftsschicht entstammten. (Kostüme Graziella Pepe) Annähernd 20 Minuten dauert dieses erste Bild einer Gewaltorgie gegen Pasolini. Erste Unmutsäußerungen im Premierenpublikum wurden laut, denn es begann zu langweilen.

Dabei ging es vornehmlich darum, dass Pasolini, im Augenblick des Hinübergleitens vom Leben in den Tod, seine Reise durch die Dantesche Hölle beginnt. Immerhin war der Dichter ein sehr sündhafter Mensch. Pasolini selbst hatte zwei Adaptionen des wohl bedeutendsten italienischen Textes aus dem 14. Jahrhundert versucht. Selbstredend hatte er die Höllen in die Gegenwart verpflanzt, in das fiebrige Klima des italienischen Neokapitalismus, den er als bekennender Kommunist mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfte. Stichwortartig finden im Verlauf der Vorstellung immer wieder Anspielungen auf den Mord und die Umstände Eingang. Da werden die 3 Mio. Lire angesprochen, die die Raubmörder unangetastet ließen. Warum? Weil es zu wenig war, um sich damit den Hintern zu …! Nur eine Theorie. Eine andere war, dass Pasolini am Tag seines Todes darauf hoffte, wieder in den Besitz der gestohlenen Filmrollen von „Die 120 Tage von Sodom“ nach dem gleichnamigen Roman von Marquis de Sade zu gelangen. Immerhin, alles deutete oder sollte darauf hindeuten, dass hinter dem vermeintlichen Schwulenmord als Beziehungstat politische Motive und politisch motivierte Täter steckten. Vermutlich stimmt das sogar, denn in solchen Fällen kann man getrost vom Schlimmstmöglichen ausgehen. Doch den Beweis wird man uns wohl schuldig bleiben.

  Eine gttliche Komdie  
 

Max Gindorff, Tim Werths, Nils Strunk, Franz Pätzold

© Matthias Horn

 

All das sollte man wissen, um die Inszenierung und ihren Inhalt überhaupt zu verstehen. Ebenso das Auftauchen des Raben aus dem Film “Große Vögel kleine Vögel“ von Pasolini. Dieser Rabe, Franz Petzold mit schwarzer Federboa moderierte dominant, stellt sich im Film mit den Worten vor: „Ich komme von weit her. Mein Land heißt Ideologie. Ich lebe in seiner Hauptstadt, der Stadt der Zukunft. Karl-Marx-Straße Nummer 70 mal 7.“ In diesem Film geht es um einen Vater und einen Sohn, die sich auf den Weg gemacht haben, um Geld bei armen Menschen einzutreiben und damit ihrerseits Schulden bei reichen Leuten zu begleichen. Sie kommen „aus dem Dorf der Not, Straße des Hungers Nummer 23, am Fuß des Berges Dummheit, der in der ganzen Welt berühmt ist wegen des Martyriums der heiligen Analphabeta.“ Auch in Antonio Latellas Inszenierung ist der Vogel ein Kommunist, ein innerlich Roter. (Im Film wird er übrigens am Ende von Vater und Sohn verspeist, was einen konsequenten Realismus nicht leugnen kann.)

Doch damit nicht genug, denn auch das Verhältnis Pasolinis zum trunksüchtigen Vater und zum Bruder, der sich mit neunzehn Jahren den Partisanen anschloss und im Frühjahr 1945 fiel, waren Gegenstand der Handlung. Aus diesem krisenhaften Verhältnis zum Vater, in dem Pasolini den Vergewaltiger der Mutter sah, entwickelte sich das innige Verhältnis zur Mutter. Doch auch die entpuppt sich als Zwitterwesen, als Mutter-Frau und als Hexe-Sirene, die Pier Paolo nicht auf den Läuterungsberg (Teil: Paradies in Dantes „Göttliche Komödie“) folgt. Ein Telefonat aus Pasolinis Jenseits zerstörte diese Hoffnung. Zwischendrin nach etwa einer Stunde noch einmal eine Discochoreografie, in der aus der Gewaltorgie gegen Pasolini ein Tanz gemacht wurde. Die führte in der Premiere zu einem Exodus etlicher Zuschauer, die wohl die Hoffnung aufgegeben hatten, zu verstehen worum es ging und worauf es hinauslaufen sollte. Es sollte nicht der letzte sein. Als Pasolini, also Tim Werth, am Penis durch die Manege geführt wurde, kam noch einmal Bewegung in die Reihen. Dieser Publikumsabwanderung war es wohl zu danken, dass die Buhs bei der Verbeugung von Schauspielern und Regisseur nicht die Überhand gewannen. Ungeachtet dessen waren immer noch einige Zuschauer bereit und willens, das Ereignis frenetisch, vielleicht ein Quäntchen zu frenetisch, zu feiern. Es klang ein wenig nach Trotz.

Antonio Latellas Inszenierung war sehr ambitioniert. Auf der Bühne von Giuseppe Stellato der Lieblings-Alfa von Pasolini, zuletzt sintflutartiger Regen und eine selbstfahrende Telefonzelle, mit der Franz Pätzold mal eben eine Runde drehte. Latella und Autor Federico Bellini wollten dem „bedeutendsten italienischen Literaten des 20. Jahrhunderts“ ein gebührendes Denkmal errichten und auf seine Poesie und seine Sprachgewalt verweisen. Tatsächlich gab es in der von Gewalttätigkeiten dominierten Inszenierung Momente, in denen das „Göttliche“, das im Titel vorkommt, den Raum erfüllte, und zwar immer dann, wenn der Gesang Alighieris erklang. Die berückende Schönheit der Sprache versöhnte zumindest für kurze Augenblicke mit den Gewalttätigkeiten, Nacktexzessen und dem Gefühlschaos, das mehr aus der Verwirrung der Vorgänge heraus entstand, und sich weniger als der Seelenzustand Pasolinis definierte. Die Verheißung, die die Namen Dante und Pasolini in sich tragen und die für kurze Momente über dem inszenatorischen Chaos wie ein poetisches Licht zu strahlen begannen, wurden durch die brachiale Ästhetik schnell eingeholt und eingestampft.

Es ist ohne Frage eine gute Zeit, mehr noch in Italien als in Deutschland, um an Pasolini zu erinnern und sein Werk über das Dante Alighieris mit noch größerer Strahlkraft auszustatten. Allein, Pasolinis Werk hat schon durch seine politische Programmatik nicht das Format und die Allgemeingültigkeit seines mittelalterlichen Kollegen. Zumindest findet Pasolinis Werk deutlich mehr Ablehnung, als das Werk Dantes. In der Inszenierung am Residenztheater drehte es sich zudem mehr um die Person, mehr um den Menschen Pasolini und weniger um seine politisch-weltanschauliche Botschaft. Zumindest konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren. Dabei liebte Pasolini klare Botschaften.

In seinem Film “Große Vögel kleine Vögel“ erteilt Franziskus im Jahr 1200 zwei Mönchen den Auftrag, die Vögel zu bekehren, damit sie einander lieben, wie es Gott verlangt. Als sie nach zwei Jahren zurückkehren und dem heiligen Franziskus ihr Scheitern eingestehen müssen, antwortet der: „Die Welt muss verändert werden, Bruder, das ist es, was ihr nicht verstanden habt. Eines Tages wird ein Mann mit blauen Augen kommen und der wird sagen: ‚Wir wissen, die Gerechtigkeit schreitet fort. Wir wissen das in dem Maße, wie die Gesellschaft fortschreitet und sie sich ihrer unvollkommenen Zusammensetzung bewusst wird und die beklagenswerte Ungleichheit ans Licht kommen wird, die auf der Menschheit wie ein Fluch lastet. Ist nicht eben dieser Hinweis auf die Ungleichheit zwischen den Klassen, zwischen den Nationen, zwischen den Rassen die schwerste Bedrohung für den Frieden auf der Welt? Geht also und beginnt noch einmal von vorn.‘“

Man kann den Tod Pasolinis beklagen, doch das macht heute ebenso viel Sinn, wie den Stand des Monds zu beklagen. Zum Thema Tod entgegnete der Vater in Pasolinis “Große Vögel kleine Vögel“ auf die Bemerkung des Sohnes: „Ich weiß, Papa, das Leben ist nichts, gar nichts.“ „Aber der Tod ist alles. Wenn einer gestorben ist, ist für ihn, was er im Leben getan hat, ein für allemal erledigt.“ Was kann tröstlicher sein?

Wolf Banitzki


Eine göttliche Komödie. Dante < > Pasolini

von Federico Bellini

Mit: Philip Dechamps, Gunther Eckes, Max Gindorff, Franz Pätzold, Nils Strunk, Tim Werths

Regie Antonio Latella