Residenz Theater Romeo und Julia von W. Shakespeare


 

 

Was Sie schon immer über Liebe wissen wollten, sich aber nicht …

Jetzt ist es raus! Bei der Liebe geschieht "im Hirn genau dasselbe wie bei einem psychiatrischen Wahn. Als psychobiologische Abfolge." (…) "Die Liebe ist ein Wahn mit Realität.", so Prof. Dr. Eckart Rüther, ehemaliger Leitender Oberarzt an der Psychiatrischen Klinik der Universität München und Professor für Psychiatrie an der Universität Göttingen und, und, und - also eine echte Kapazität. Auf die Frage, "Welche Prognose geben Sie als Psychiater dieser Paarbeziehung (die von Romeo und Julia - Anm. W.B.)?", antwortete Herr Rüther: "Die funktioniert nicht. Nie! Deswegen ist Shakespeare auch so klug, wenn er diesen Tod erfindet. Weil diese Liebe nicht möglich ist. Das, was die beiden sich voneinander erwarten, wird niemals in Erfüllung gehen. Nie. Und das würden sie nicht verkraften. Lieber sterben sie vorher." (Zitat Programmheft zur Inszenierung am Residenz Theater)

"Lieber sterben sie vorher." - Lieber? Man kann sicherlich eine Menge hineindeuten in die überspannte Psyche der beiden Liebenden, Julia ist mit dreizehn Jahren immerhin noch pubertierend, doch gewiss keine echte Todessehnsucht. Wo bliebe schließlich die herzanrührende Tragik, wenn die Todesfolge Vorsatz gewesen wäre? Und das weiß auch Herr Rüther besser, denn immerhin verdient er seine Brötchen damit, Menschen wie Romeo und Julia zu helfen. Also: "Wenn Romeo und Julia zu mir (Herrn Rüther - Anm. W.B.) als Paartherapiepatienten kämen, dann würde ich ihnen sagen: ‚Jetzt bringt mal diese beiden Eltern her, und dann versuchen wir mal, mit denen zu sprechen.' Die beiden Eltern würden nicht kommen, dann wären die beiden wieder allein. Dann würde ich ihnen sagen: ‚Hört mal, jetzt versuchen wir, innerhalb von einem Jahr zu schauen, ob eure Liebe noch trägt. Wir machen soviel Geheimnis drum herum, wie möglich. …"

   
 

Felix Rech, David Rott, Wolfgang Menardi, Shenja Lacher

© Thomas Dashuber

 

 

Wie? Sie fragen sich, was das mit Theater und mit Shakespeare und mit Romeo und Julia zu tun haben soll? Sie sind sich sicher, dass Sie in diesem Zusammenhang nicht erfahren wollen, dass es sich bei Liebe um ein Aha-Erlebnis, um einen "Übersprung in ihrem Zentralnervensystem" handelt, "in dem sie wissen und unkorrigierbar festhalten, dass der andere der Richtige für sie ist"? Ja, wie sind sie denn bisher überhaupt durchs Leben gekommen? Auch wenn ich es selbst nicht recht verstehe, es muss was mit Theater zu tun haben, sonst würden diese psychiatrischen Auslassungen nicht ein ganzes Programmheft füllen. Es mag auch sein, dass sich darin durchaus kluge und wissenswerte Gedanken finden. Immerhin weist ein Programmheft zumeist auch ein paar Pfade auf, die die Regie zu gehen versucht, und das kann durchaus hilfreich für das Verstehen einer Inszenierung sein. Im Zusammenhang mit der "Fleischwerdung" auf der Bühne des Residenz Theaters wird der Zuschauer diese Pfade vergeblich suchen.

Nüchtern betrachtet ist dieses Rührstück wahrlich nicht das stärkste, wenngleich wohl das populärste des Engländers. Ein Beweis für die Trotzdem-Popularität ist der berühmte Balkon in Verona, der der Tourismusindustrie Vorort viel Geld beschert, obgleich er weder etwas mit Romeo und Julia, noch mit Shakespeare zu tun hat. Hier wabert der Kitsch, den das Drama auch(!) auslösen kann.
Der Plot des Stückes, nämlich der tragische Tod der beiden Liebenden basiert zudem auf der Verhinderung einer Botschaft in Folge einer Seuchenquarantäne. Keinem anderen Dichter hätte man diese Waghalsigkeit, - oder auch Einfallslosigkeit durchgehen lassen.
Und dann gibt es schließlich noch so etwas wie einen "Ohrwurm" im Text, der sogar bei Mitmenschen ohne gesteigertem Theaterinteresse haften bleiben kann: "Es war die Nachtigall und nicht die Lerche, die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang;" (Übersetzung A. W. von Schlegel)

Es ist eine ziemlich aufgeblasene Geschichte, die einen menschlichen Wunschtraum, nämlich die Liebe bis in den Tod (nicht gegen den Tod!), bedient und die nebenher auch etwas über wahnhafte Feindschaft erzählt. Dabei war es die sprachliche Genialität, die diesen Text in die erste Liga der dramatischen Literatur katapultierte. Hinzu kommt das Jahrhunderte lange Bemühen von jungen und gelegentlich auch älteren Schauspielern, die Herzen mit dieser Geschichte erfolgreich zu rühren.

Allein, im Residenz Theater bringt man dem Zuschauer eine Übersetzung von Thomas Brasch zu Gehör. Übersetzungen von Brasch zeichnen sich in erster Linie durch Vulgarität aus, die es in Shakespearetexten durchaus gibt, die aber von Brasch überbetont und zelebriert wurde. Brasch ist starker Tobak, eine Provokation an sich.

Tina Lanik zog dann auch recht mutig vom Leder. Oder zumindest glaubte sie das. Textlich gab es keine Hemmungen und viele "Ärsche und Titten und Schwänze" besiedelten phonetisch die Szene. Pech hatte der Zuschauer, der für derartige Auslassungen nicht aufgeschlossen war. Für den wurden die drei und eine Viertel Stunde verdammt lang. Auch wer nicht unbedingt auf Action stand, hatte schlechte Karten. Der Kampf zwischen Mercutio (Felix Rech), Tybald (Wolfgang Menardi) und Romeo (David Rott) nahm viel Raum und auch Zeit in Anspruch. Alle involvierten Darsteller vollbrachten physische Höchstleistungen, wofür sie vom Publikum am Ende belohnt wurden. Es hatte allerdings etwas von einer Sportveranstaltung. Mercutios Tod war dann auch opernreif. Fast hätte man ihm zurufen mögen: Bleib endlich liegen!

Die zweite Schlüsselszene war die 5. Szene im 3. Akt, jene bereits erwähnte mit Nachtigall und Lerche. Bühnenbildnerin Magdalena Gut hatte eine riesige schräg stehende Spiegelwand eingerichtet, die im sanften Spot das nackte Liebespaar nach der Hochzeitsnacht in vollendeter Schönheit abbildete. Hier wurde viel Aufwand für einen sich in Grenzen haltenden Effekt getrieben. Das restliche Bühnenbild, erst Schaukasten, später erweitert auf eine zweite höhere (Balkon-) Ebene, hatte den Charme einer halbfertigen Ikea-Anbauwand.

Zwei Figurenpaare standen seit Anbeginn für den Erfolg des Stückes. Das erste ist selbstredend Romeo und Julia. David Rott überzeugte in seiner Darstellung nicht wirklich. Er blieb weitestgehend farblos, gestaltete seinen Part ordentlich - mehr nicht. Ein glücklicher Umstand war die Besetzung der Julia mit Lisa Wagner. Sie ist eine unverwüstliche Darstellerin, die sich mit ihrer sprachlichen und gestischen Gestaltungskraft über jedes Regiekonzept (wenn den eins sichtbar wird) hinweg zu setzen vermag, wenn ihre künstlerische Intention ihr dies abverlangt. Das zweite Paar von überragender Bedeutung im Stück ist die Amme und Bruder Lorenzo. Die Amme wurde von einer recht blassen und wenig präsent wirkenden Elisabeth Schwarz gegeben. Die Frau, die lustvoll Intrigen spinnt und aus dem Stand die Fronten wechseln kann, ist ein Garant für Menschlichkeit in einer Geschichte, deren Zentrum eine idealisierte und übermenschliche Liebe ist. Frau Schwarz konnte der Geschichte ihren Stempel nicht aufdrücken. Robert Joseph Bartl erfuhr geradezu eine Vergewaltigung. Man hatte ihn mit einer Fettleibigkeit ausgestattet, die es ihm nicht ermöglichte sich gefahrlos zu bücken, noch differenziert körperlich zu gestalten. Was hatte Frau Lanik im Sinn? Dieser Bruder Lorenzo, dem nichts Menschliches, also auch nichts Sinnliches fremd ist und der gerade aus diesem Grund einen gesunden Geist repräsentiert, war zu einem McDonalds-Fettmonster degeneriert.

Jörg Hube und Beatrix Doderer zeichneten sich in ihren Rollen als Herr und Frau Capulet vornehmlich durch Lautheit und Grobschlächtigkeit aus. Wenn man dem Programmheft Glauben schenken darf, ging es in dieser Inszenierung auch um Psychologie. Die jedoch blieb deutlich auf der Strecke. Überhaupt war schwer nachvollziehbar was diese Inszenierung bewirken wollte. Vermutlich versuchte Tina Lanik einen Spagat zwischen intellektueller Analytik und tabuloser Sinnlichkeit. Wenn man der Inszenierung eines mit Sicherheit bescheinigen kann, dann ist es das Fehlen von Sinnlichkeit. Mit großem Aufwand wurden Emotionen dargestellt, jedoch keine erzeugt. Und das wäre die Kunst gewesen, auf die der Zuschauer ein Anrecht hat.

Wolf Banitzki

 

 

Romeo und Julia

von W. Shakespeare

Übersetzung Thomas Brasch

Beatrix Doderer, Elisabeth Schwarz, Lisa Wagner, Robert Joseph Bartl, Jörg Hube, Shenja Lacher, Hannes Liebmann, Matthias Lier, Wolfgang Menardi, Felix Rech, David Rott

Regie: Tina Lanik