Residenz Theater Das Leben ein Traum von Pedro Calderón de la Barca


 

 

Alter Wein in neuem Schlauch

Ganz anders als Lope de Vega, der 38 Jahre ältere Dichterkollege, der seine Triumphe im Volkstheater feierte, war Calderon Staatsdichter. Als Ordensritter, Soldat seiner katholischen Majestät, Priester und Dichter - immer zum Ruhme Gottes, versteht sich - verkörperte der Mann einen Idealmenschen seiner Zeit. Bereits fünfunddreißigjährig wird Calderon von Philipp IV. mit der Leitung des Hoftheaters in Buen Retiro betraut. 108 Stücke hinterließ uns der Spanier, der zu den großen Theatermagiern seiner Zeit zählte. Sein Theater im Lustschloss von Buen Retiro war mit allen theatertechnischen Errungenschaften der Zeit ausgestattet und erlaubte große Illusion. Und damit ist auch schon der künstlerische Ansatz Calderons benannt: Für ihn stellt das Theater die Welt des Scheins dar! Doch Vorsicht, diese These bekommt einen ganz anderen Stellenwert, wenn man bedenkt, dass Calderon die Welt als ein von Gott inszeniertes Theater sah. Die Welt ein Traum, eine Illusion, eine künstlerische Inszenierung?

In "Das Leben ein Traum" beharrte er auf diesen Standpunkt. Der Ort der Handlung des Stückes ist der mittelalterliche königliche Hof Polens. Die Amtszeit von Basilius, König von Polen, angeblich kinderlos, neigt sich ihrem Ende. Neffe Astolf, Moskowiter und daher Fremder, und Nichte Estrella verhandeln über ein eheliches Arrangement, womit sie gemeinsam den Thron übernehmen könnten. Doch es gibt einen legitimen Thronfolger. Sigismund, Sohn von Basilius, wird seit der Geburt im Wald gefangen gehalten. Die Sterne sagten dem wissenschaftskundigen König voraus, dass Sigismund ein gewalttätiger Tyrann werden würde. Also hat man ihm der Obhut Clotaldos, enger Vertrauter des Königs, anvertraut. Zwei Reisende, die russische Edeldame Rosaura und ihr Begleiter Clarin verirren sich in den Wald, in dem Sigismund gefangen gehalten wird. Clotaldo erkennt in Rosaura seine leibliche Tochter, die ihrerseits unterwegs ist, um ihre Ehre bei Astolf einzufordern, der ihr die Ehe versprach.
König Basilius wagt ein Experiment. Er lässt den schlafenden Sigismund auf den Thron befördern, offenbart ihm die volle Wahrheit und lässt ihn regieren, um zu schauen, ob das Orakel Gestalt annimmt. Innerhalb von Stunden fließt reichlich Blut und man schafft Sigismund, wieder betäubt und ohnmächtig in sein Waldverlies zurück, wo man ihm erklärt, dass alles nur ein Traum war. Als das polnische Volk aufrührerisch Sigismund anstelle des fremden Moskowiters auf den Thron fordert, erscheint Sigismund, nun gewandelt, lauter und rein in seinem Bestreben, auch im Traum gerecht und menschlich zu sein. Die Lehre des Traums wird für Sigismund zum Handlungsmotiv: "Mit Bedacht und Vorsicht soll's geschehen; denn man wird uns vom Genuss (des Traums - Anm. W.B.) einst zur besten Zeit erwecken."
 
   
 

Oliver Nägele, Felix Rech, Lisa Wagner, Dirk Ossig

© Thomas Dashuber

 

 

Es ist ein berührendes Stück, das aufgrund seiner genialen Dramaturgie für alle Zeiten in den Spielplänen eingeschrieben sein wird. Calderon benutzt das Theater wie ein Labor und was daraus hervorgeht hat das Gewicht von Evangelien. Allein, seine Sicht auf die von "Gott geträumte Realität" ist überaus romantisch. Calderon, selbst von hohem seelischem Adel, forderte diesen theatralisch und sehr pathetisch ein. Das war denn auch der Grundtenor der Inszenierung am Münchner Residenz Theater. Obgleich die Übersetzung von Georg Holzer von dem Bemühen kündet, dem Stück ein wenig mehr heutige Bodenständigkeit zu verleihen, bleibt viel romantisierendes Pathos zurück. Nicht ohne Grund schwärmte Goethe über alle Maßen von Calderon und seinen Stücken. Hier trafen in der Tat zwei reinrassige Staatskünstler aufeinander. Dass die Neuinterpretation eines Calderonstückes revolutionieren kann, bewies immerhin die Inszenierung von "Der standhaft Prinz" von Jerzy Grotowski in Krakau 1965. Regisseur Alexander Nerlich, Jahrgang 1979, schien auf derartige Ambitionen nicht gezielt zu haben. Seine Inszenierung zeichnete sich in erster Linie durch das Fehlen von theatralischen Höhepunkten und deutlichen inhaltlichen Interpretationen aus. So wurde alter Wein nur im neuen Schlauch verkauft, will meinen: ein wenig bunter und peppiger. Doch das reichte nicht aus, um das Publikum nachhaltig für Calderon zu erwärmen. Anders als bei Lessings "Philotas", den Nerlich im Marstall nur eins zu eins auf die Bühne bringen brauchte, weil das Thema brandaktuell und die Botschaft überzeugend war, hätte es hier schon einiger neuer Sichtweisen bedurft, um das Stück aus der Klassikergruft zu heben.

So wenig überzeugend wie die Regiearbeit, so wenig überzeugend waren denn auch die schauspielerischen Leistungen. Laut wurde deklamiert, nicht unbedingt verständlich, aber laut und sehr pathetisch. Es hatte über längere Strecken etwas von Wiener Burg anno 1950. Oliver Nägele gab einen selbstzerfleischten König, dessen "Gejammer" nie wirklich königliche Klage war. Helmut Stange als Clotaldo wurde mehr als einmal vom Reim seines Textes überholt. Und Felix Rech als Sigismund wirkte häufig wie unter einer Überdosis - von was eigentlich? Von Leiden über sein gestohlenes Leben oder von der Machtfülle als König? Einen Unterschied konnte man leider nicht ausmachen. Anna Riedl gab eine Estrella, die mit all dem scheinbar kaum etwas zu tun hatte, viel Augenaufschlag und wenig Inhalt. Als sie dann auch noch einen Ausbruch hatte, wurde es nicht nur peinlich, sondern gänzlich unverständlich. Wenn überhaupt Schauspieler ihrem guten Ruf gerecht wurden, dann waren es vielleicht Lisa Wagner (Rosaura), deren Naturell nicht zu unterdrücken ist, und Stefan Wilkening als Clarin. Sie entsprachen am ehesten dem, was man in ihren Rollen erkennen konnte.

Es war eine banale Inszenierung, die den Staub nicht aus dem Gewand Calderons klopfen konnte. Und wenn sie überhaupt der Erwähnung wert ist, dann wegen der guten Bühnenmusik von Rudolf Gregor Knabl, die exzellent auf das Bühnenbild von Gisela Goerttler abgestimmt war. Wenn sich der polnische Königshof unter sphärischen Klängen in die Wahrnehmung des Betrachters schiebt, wird deutlich, zu welcher Illusion Theater fähig ist. Allein, mit Bühnentechnik kann man nur begrenztes leisten. Bleibt noch anzumerken, welche Moral im Raum stehen bleibt, weil Alexander Nerlich und die Seinen Calderon nicht aufgehoben und weiter getragen haben: Es ist die des katholischen Theologen, für den der Traum des Lebens mit dem Erwachen im Tod und somit in Gott endet. Selbst wenn dem Menschen ein freier Wille zugestanden wird, hat er doch den Richtspruch Gottes beim Erwachen zu fürchten. Andere Interpretationsmöglichkeiten sind frommer Wunsch, niedergelegt im Programmheft. Fazit: Es lebe die mittelalterliche Mystik!
 
 
Wolf Banitzki

 

 


Das Leben ein Traum

von Pedro Calderón de la Barca

Anna Riedl, Lisa Wagner, Oliver Nägele, Dirk Ossig, Felix Rech, Helmut Stange, Stefan Wilkening und Eike Jon Ahrens, Dennis Herrmann, Martin Liema

Regie Alexander Nerlich
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