Residenz Theater Klein Eyolf von Henrik Ibsen


 

 

Brav und bieder - die Katharsis blieb aus

Alfred Allmers, der einen Ausflug in die menschenleeren Berge gemacht hat, kehrt zurück, um seiner Frau Rita und seiner Schwester Asta zu erklären, dass er zu einer Entscheidung gekommen ist. Er gibt sein Werk, eine umfassende Abhandlung über die "Verantwortung des Menschen" zu schreiben, auf. Oder besser, er zieht es vor, dieser Verantwortung zukünftig selbst gerecht zu werden. Ziel seiner Bemühungen ist ein besseres Leben für seinen Sohn Eyolf. Dieser ist behindert, hat sich, während Alfred und Rita kopulierten, zum Krüppel gestürzt. Doch dann taucht die Rattenjule auf. Eyolf folgt ihr und ertrinkt im Fjord. Jetzt wird offenbar, was Eyolfs Anwesenheit bislang verschleierte. Alfred und Rita haben nie wirklich zusammen gelebt, bestenfalls miteinander. Der zweite und dritte Akt des 1894 von Henrik Ibsen verfassten Stückes handelt von Trauer, Sinnsuche und Scheitern. Zwar beschließen Alfred und Rita am Ende zögerlich gemeinsam weiter zu leben, doch ist die Prämisse fragwürdig. Sie denken darüber nach, ob sie die Kinder der armen, moralisch und sozial primitiven Menschen vom Strand hinauf in das Gutshaus holen, um denen an Stelle Eyolfs ein erfülltes Leben zu verschaffen.

Das Stück handelt von ausuferndem Egoismus - heute wertfreier als Individualismus bezeichnet - und die daraus resultierende emotionale und soziale Vereinzelung. Tatsächlich haben weder Alfred noch Rita einen wirklichen Lebensinhalt. So bleibt es höchst zweifelhaft, ob die vermeintlich gute Tat an den Armen nicht nur wieder eine neue Spielart ihres Egoismus ist. Die Literaturwissenschaft und etliche Interpreten deuten das Fahnehissen, ein symbolischer Akt am Ende des Stückes, als ein hoffnungsvolles Zeichen. Maximilian Harden formuliert es vorsichtiger Weise als Frage: "Ist's das Banner von Norwegen, das der Gutsbesitzer Alfred Allmers aufgepflanzt hat, um dem Gewimmel am Strande zu zeigen, dass für ihn nun ein neues Leben sorgender Nächstenliebe beginnt?" (Zitat: Programmheft) Nein, das wäre dann doch zu optimistisch gedacht und würde dem Anliegen Ibsens die Spitze nehmen. Der Dichter war kein Optimist in menschlichen Dingen. Er war auch kein Pessimist, um Missverständnissen vorzubeugen. Er war Realist und genau das qualifiziert ihn, uns eine Botschaft zu schicken, die uns eigentlich in Panik versetzten sollte.

 

 
 

Sibylle Canonica, Stefan Hunstein

© Thomas Dashuber

 

 

Um diese höchst aktuelle Botschaft zu einem erschütternden Ereignis zu machen, bedurfte es einer adäquaten Inszenierung. Die fand im Residenz Theater nicht statt. Regisseur Thomas Langhoff inszenierte bieder vom Blatt. Er erzählte die Geschichte geradlinig, ohne prickelnde szenische Einfälle, die dem Publikum hätten verdeutlichen können, warum es dieses Stück hier und heute erleben sollte. Im Grunde gibt es an der Inszenierung kaum etwas auszusetzen, außer, dass die Wirkung des Ibsenschen Entwurfs weitestgehend verpuffte. Wenn diese Inszenierung überhaupt sehenswert war, dann nur Dank der Leistung der Darsteller, allen voran Stefan Hunstein. Er bewies einmal mehr, dass ihm die Texte Ibsens liegen. Sein Alfred Allmers entsprach ganz und gar dem Habitus des idealisierenden, weltfremden, sich selbst permanent betrügenden aber doch stets liebenswerten Menschen, der sich in allen Ibsenstücken findet, um den sich in den Dramen des Skandinaviers häufig alles dreht. Stefan Hunstein spielte äußerst nuanciert und verlieh den menschlichen Schwächen Allmers Witz. Sybille Canonica hingegen gab eine in ihrem Lebensanspruch, der sich auf die Person Alfreds beschränkte, bis an die Grenzen der Hysterie gehende Ehefrau. Jan-Peter Kampwirth sei unbedingt noch erwähnt. Er spielte die Rolle des Ingenieurs Borghejm als Understatement. Tatsächlich war die Figur des Straßenbauers, eine beabsichtigte und wirkungsvolle Symbolik, ein Fremder im Reigen der Verlorenen, einer, der im wirklichen Leben seinen sinnvollen Platz hatte. Kampwirth verkörperte diese Figur überaus glaubhaft.

Ohne Zweifel arbeitete Ibsen auch in dieses Stück viel Symbolik ein. Diese sichtbar zu machen, war Regisseur Langhoff deutlich bemüht. So erschien das Allmersche Gutshaus im ersten Akt als Hort der Geborgenheit. Bühnenbildner Stefan Hageneier hatte großzügige mehrschichtige Räume in warmen hellen Tönen geschaffen, die Platz ließen für ausgreifendes Spiel. Im zweiten Akt, Klein Eyolf war ertrunken, brach ein sintflutartiger Regen über die Welt der Allmers herein. Das Haus bot keinen Winkel mehr, diesen Unbilden zu entgehen. Im dritten Akt waren die Möbel unter Folien verborgen. Der Vorgang des Konservierens deutete an, dass es keine wirkliche Veränderung gab. Ob der eindrucksvolle große Regen, in dem sich die Stehlampen nach und nach Funken sprühend verabschiedeten, in seiner Symbolik angemessen war, sei dahingestellt. Jedenfalls verbesserte er deutlich das Raumklima am schwülheißen Premierenabend.

Alles in allem war diese Inszenierung eher eine verschenkte Chance, als kathartisches Theater. Dies aber könnte und sollte das Stück in jedem Fall leisten. Zu brav, zu bieder zog die Geschichte von Menschen in persönlicher und sozialer Isolation am Publikum vorbei. Nur schwerlich konnte man darauf kommen, dass hier auch Zeitgeist wehte.
 

Wolf Banitzki

 

 


Klein Eyolf

von Henrik Ibsen

Deutsch von Heiner Gimmler

Sibylle Canonica, Stephanie Leue, Heide von Strombeck, Stefan Hunstein, Jan-Peter Kampwirth und Moritz Bock/David Mellein

Regie: Thomas Langhoff