Residenz Theater Tod eines Handlungsreisenden von Arthur Miller
Nur eine Ahnung …
Willy Loman ist Handlungsreisender und nach mehr als dreißig Jahren auf der Landstraße völlig ausgebrannt. Als er seinen Weg beschritt, schien nichts darauf hinzudeuten, dass die große Verheißung ein noch größerer Betrug war. Willys Hoffnungen ruhen nun wider allen Augenschein auf seinen Söhnen Biff und Happy. Sie haben den Selbstbetrug vom Vater geerbt, nur sind sie nicht so arbeitsam wie er. Willy stürzt zunehmend in eine Schizophrenie. Die Vergangenheit kommt immer wuchtiger über ihn, sein Versagen an den Kindern, sein Betrug an der Ehe und seiner Frau Linda. Am Ende steht er vor dem Nichts. Er verliert den Job, seinen Sohn Biff und seine Selbstachtung. Es muss schon als geistige Umnachtung gewertet werden, wenn er auf seine Fähigkeit pocht, sich beliebt zu machen und es immer noch zu schaffen. "Ich bin keine Dutzendware; ich bin Willy Loman…" Willy aber lebt schon längst nicht mehr im Leben; er reitet auf seiner Chimäre in den Abgrund.
Fünf Jahre lang ging Arthur Miller mit dem Namen Loman schwanger, ehe er den Grund erfuhr. Es war der Name eines Detektivs aus dem Fritz Lang Film "Das Testament des Dr. Mabuse", der sich in einer existenziell aussichtslosen Lage befand. "Für mich bedeutete der Name in Wirklichkeit ein von Entsetzen gelähmter Mann, der völlig allein ist und um Hilfe ruft, die niemals kommen wird." (Arthur Miller: Zeitkurven. Ein Leben.) Nebenbei: "Später fand ich es entmutigend zu erleben, mit welcher Sicherheit einige Kommentatoren zum Tod eines Handlungsreisenden über den schwerfälligen Symbolismus von "Low-Man" spotteten." (Ebenda.) Dieser Nachsatz scheint bestens geeignet, zu verdeutlichen, warum die Inszenierung durch Tina Lanik am Residenz Theater im Wesentlichen fehl ging. Auf der Bühne war nicht Willy Loman, sondern ein "Low-Man". Nachdem Miller sein Stück an Elia Kazan geschickt hatte, rief dieser ihn an: "Ich bin gerade durch. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Mein Vater …" Dann brach er ab. Wer im Münchner Residenztheater mag wohl angesichts dieser Geschichte gedacht haben: "Mein Vater …" Wenige, wenn überhaupt jemand. Ist das Stück darum nicht aktuell? Wohl kaum, angesichts der Vielzahl von Mitbürgern, die um ihr Überleben kämpfen. Aber ganz bestimmt saßen die Kinder "Willy Lomans" nicht im Theater und auch Regisseurin Tina Lanik scheint nicht derartiger Abstammung zu sein.
Willy Loman ist Handlungsreisender und nach mehr als dreißig Jahren auf der Landstraße völlig ausgebrannt. Als er seinen Weg beschritt, schien nichts darauf hinzudeuten, dass die große Verheißung ein noch größerer Betrug war. Willys Hoffnungen ruhen nun wider allen Augenschein auf seinen Söhnen Biff und Happy. Sie haben den Selbstbetrug vom Vater geerbt, nur sind sie nicht so arbeitsam wie er. Willy stürzt zunehmend in eine Schizophrenie. Die Vergangenheit kommt immer wuchtiger über ihn, sein Versagen an den Kindern, sein Betrug an der Ehe und seiner Frau Linda. Am Ende steht er vor dem Nichts. Er verliert den Job, seinen Sohn Biff und seine Selbstachtung. Es muss schon als geistige Umnachtung gewertet werden, wenn er auf seine Fähigkeit pocht, sich beliebt zu machen und es immer noch zu schaffen. "Ich bin keine Dutzendware; ich bin Willy Loman…" Willy aber lebt schon längst nicht mehr im Leben; er reitet auf seiner Chimäre in den Abgrund.
Fünf Jahre lang ging Arthur Miller mit dem Namen Loman schwanger, ehe er den Grund erfuhr. Es war der Name eines Detektivs aus dem Fritz Lang Film "Das Testament des Dr. Mabuse", der sich in einer existenziell aussichtslosen Lage befand. "Für mich bedeutete der Name in Wirklichkeit ein von Entsetzen gelähmter Mann, der völlig allein ist und um Hilfe ruft, die niemals kommen wird." (Arthur Miller: Zeitkurven. Ein Leben.) Nebenbei: "Später fand ich es entmutigend zu erleben, mit welcher Sicherheit einige Kommentatoren zum Tod eines Handlungsreisenden über den schwerfälligen Symbolismus von "Low-Man" spotteten." (Ebenda.) Dieser Nachsatz scheint bestens geeignet, zu verdeutlichen, warum die Inszenierung durch Tina Lanik am Residenz Theater im Wesentlichen fehl ging. Auf der Bühne war nicht Willy Loman, sondern ein "Low-Man". Nachdem Miller sein Stück an Elia Kazan geschickt hatte, rief dieser ihn an: "Ich bin gerade durch. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Mein Vater …" Dann brach er ab. Wer im Münchner Residenztheater mag wohl angesichts dieser Geschichte gedacht haben: "Mein Vater …" Wenige, wenn überhaupt jemand. Ist das Stück darum nicht aktuell? Wohl kaum, angesichts der Vielzahl von Mitbürgern, die um ihr Überleben kämpfen. Aber ganz bestimmt saßen die Kinder "Willy Lomans" nicht im Theater und auch Regisseurin Tina Lanik scheint nicht derartiger Abstammung zu sein.
Marcus Calvin, Lambert Hamel, Oliver Nägele © Thomas Dashuber |
Magdalena Gut schuf für diese Inszenierung ein Bühnenbild, das kontraproduktiver kaum sein konnte. Ohne sichtbar zwingendes Konzept schien die Bühne angefüllt zu sein mit dem Wohlstandsmüll, den niemand braucht und der trotzdem mit horrenden Krediten angeschafft wurde und wird. Die variabel drehbare Spielfläche erwies sich als ein Hindernisparcours, der dem Spiel der Darsteller extreme Grenzen setze, ihnen jeden Raum für physische Entfaltung nahm. Die geistige und, wie der Text mehrfach betont, räumliche Enge des Lomanschen Hauses wurde lediglich kopiert, nicht überzeugend künstlerisch gestaltet. Vieles war nur Dekor, wurde zu keiner Zeit bespielt. Auf- und Abgänge aus und in den hinteren Bereich gestalteten sich langatmig und gelegentlich ließ die akustische Verständlichkeit zu wünschen übrig.
Tina Lanik inszenierte die Geschichte weitestgehend vom Blatt. Eine deutliche Lesart wurde nicht sichtbar. Dabei verschenkte sie viel, zu viel. Der Zuschauer erlebte das Drama, ohne dass der Funke wirklich übersprang. Ein schaler Geschmack blieb zurück, wohl auch, weil man mit Recht mehr hinter dem Gesehenen vermutete. Es war weder eine tiefgehende psychologische noch eine heutige sozialkritische Variante des in der ganzen Welt gespielten und verstandenen Stücks. Es war von jedem etwas und somit unentschieden. Hier trifft einmal mehr das zynische Urteil über die Klassik der Moderne zu: Sie ist von durchschlagender Wirkungslosigkeit!
Interessant war doch immerhin die Besetzung. Lambert Hamel als Willy Loman entsprach dabei durchaus der mit Lee Cobb in der Welturaufführung. Kazan und Miller sprachen über ihn hinter vorgehaltener Hand immer als das "Walross". Lambert Hamel fand leise und berührende Töne, polterte aber gleichsam seinen hypertrophen Anspruch in die Welt hinaus. Die Umbrüche von der Realität in den Traum oder gar in den Wahn waren glaubhaft gestaltet, entbehrten aber dennoch der Komik, die Miller beabsichtigt hatte. Der Autor hatte sich beim Schreiben des ersten Aktes immerhin heiser gelacht über Willy.
Wenn man bedenkt, dass der Biff in der Schlöndorff Verfilmung vom jugendlichen John Malkovitch gespielt wurde, gerät die eigene Vorstellungskraft bei dem Anblick Oliver Nägeles erst einmal ins Stocken. Dabei war gerade er es, der durch die Vielschichtigkeit der Figur am deutlichsten überzeugte. Die Illusion vom gescheiterten, um Vaterliebe und Verständnis ringenden Jungen gelang vollständig. Marcus Calvin stand ihm allerdings nicht nach. Sein Happy war flatterhaft und opportunistisch, verlogen und doch nicht abstoßend - eher bedauernswert. In ihm spiegelte sich ein Höchstmaß an Verlorenheit wider. Elisabeth Schwarz gab die Ehefrau Linda ganz im Habitus der Hausfrau, die sich dem Mann unterordnet, hinter deren Fassade aber Ängste und Sehnsüchte brodeln.
Trotz der recht respektablen schauspielerischen Leistungen hinterließ diese Produktion keinen deutlichen und bleibenden Eindruck. Der Zeitbezug, obwohl er aus jeder Zeile des Stückes hervorschimmert, konnte nicht wirklich hergestellt werden. Vielmehr setzte man auf die psychologischen Momente einer menschlichen Tragödie, bei der man außen vor blieb, gerade weil der deutliche Bezug fehlte. Bei näherer Betrachtung gibt das Programmheft dieser Behauptung Recht. Warum also hat Tina Lanik dieses heute so hochprovokante Stück, das zu den gesellschaftskritischsten Dramen der Nachkriegszeit zählt, inszeniert? Mit diesem Werk unterhalten zu wollen, ist dann doch zu wenig.
Tina Lanik inszenierte die Geschichte weitestgehend vom Blatt. Eine deutliche Lesart wurde nicht sichtbar. Dabei verschenkte sie viel, zu viel. Der Zuschauer erlebte das Drama, ohne dass der Funke wirklich übersprang. Ein schaler Geschmack blieb zurück, wohl auch, weil man mit Recht mehr hinter dem Gesehenen vermutete. Es war weder eine tiefgehende psychologische noch eine heutige sozialkritische Variante des in der ganzen Welt gespielten und verstandenen Stücks. Es war von jedem etwas und somit unentschieden. Hier trifft einmal mehr das zynische Urteil über die Klassik der Moderne zu: Sie ist von durchschlagender Wirkungslosigkeit!
Interessant war doch immerhin die Besetzung. Lambert Hamel als Willy Loman entsprach dabei durchaus der mit Lee Cobb in der Welturaufführung. Kazan und Miller sprachen über ihn hinter vorgehaltener Hand immer als das "Walross". Lambert Hamel fand leise und berührende Töne, polterte aber gleichsam seinen hypertrophen Anspruch in die Welt hinaus. Die Umbrüche von der Realität in den Traum oder gar in den Wahn waren glaubhaft gestaltet, entbehrten aber dennoch der Komik, die Miller beabsichtigt hatte. Der Autor hatte sich beim Schreiben des ersten Aktes immerhin heiser gelacht über Willy.
Wenn man bedenkt, dass der Biff in der Schlöndorff Verfilmung vom jugendlichen John Malkovitch gespielt wurde, gerät die eigene Vorstellungskraft bei dem Anblick Oliver Nägeles erst einmal ins Stocken. Dabei war gerade er es, der durch die Vielschichtigkeit der Figur am deutlichsten überzeugte. Die Illusion vom gescheiterten, um Vaterliebe und Verständnis ringenden Jungen gelang vollständig. Marcus Calvin stand ihm allerdings nicht nach. Sein Happy war flatterhaft und opportunistisch, verlogen und doch nicht abstoßend - eher bedauernswert. In ihm spiegelte sich ein Höchstmaß an Verlorenheit wider. Elisabeth Schwarz gab die Ehefrau Linda ganz im Habitus der Hausfrau, die sich dem Mann unterordnet, hinter deren Fassade aber Ängste und Sehnsüchte brodeln.
Trotz der recht respektablen schauspielerischen Leistungen hinterließ diese Produktion keinen deutlichen und bleibenden Eindruck. Der Zeitbezug, obwohl er aus jeder Zeile des Stückes hervorschimmert, konnte nicht wirklich hergestellt werden. Vielmehr setzte man auf die psychologischen Momente einer menschlichen Tragödie, bei der man außen vor blieb, gerade weil der deutliche Bezug fehlte. Bei näherer Betrachtung gibt das Programmheft dieser Behauptung Recht. Warum also hat Tina Lanik dieses heute so hochprovokante Stück, das zu den gesellschaftskritischsten Dramen der Nachkriegszeit zählt, inszeniert? Mit diesem Werk unterhalten zu wollen, ist dann doch zu wenig.
Wolf Banitzki
Tod eines Handlungsreisenden
von Arthur Miller
Elisabeth Schwarz, Gerd Anthoff, Marcus Calvin, Lambert Hamel, Guido Lambrecht, Oliver Nägele Regie: Tina Lanik |