Residenz Theater Floh im Ohr von Georges Feydeau


 

 

Den Bürgern einen Spiegel gereicht ...

Für George Feydeau (1862-1921) war Theater ein Bild des wirklichen Lebens und dazu die Entwicklung von Handlung. Sein Blick war pragmatisch auf die Oberfläche des Menschen als Bürger gerichtet und die bloße Bewegung bedeutete ihm mehr als die Hintergründe. Schon damals setzte er den Einfluss der Mechanisierung auf das menschlichen Leben durch die unaufhaltsam fortschreitende Industrialisierung künstlerisch um. 1907 wurde das Stück "Floh im Ohr" uraufgeführt. "Man hört heute viel von der perfekten Konstruktion Feydeau'scher Stücke, von ihrer gut funktionierenden Mechanik, nach der sich die Situationen entwickeln." Eugène Ionesco.

Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts wirken wiederum Kräfte, die die Form überbewerten und vor und über den Inhalt und die Hintergründe stellen. Zudem ist unschwer zu erkennen, wirft man einen Blick auf die Gesellschaft - Aktionismus ist angesagt, Bewegung um der Bewegung willen. Feydeaus Komödie, die Lachen garantiert, eignet sich hervorragend zur Bewegung des Zwerchfells und der Gedanken, welche den Verwicklungen folgend geleitet werden. Konsequenzen sind keinesfalls zu befürchten. Da geht das Gespenst der selbst herbei geredeten Impotenz um. Der Floh sitzt im Ohr. "Wenn am Schluss alle Personen wieder an ihre Ausgangspunkte zurückgeführt werden, ist nichts gelöst. Wunderbarerweise ist auch nichts passiert. Folgenlos wie eine gelungene Zirkusvorstellung" - so die Ankündigung des Stückes.

Ein Päckchen mit Hosenträgern, abgesendet von einem Etablissement mit zweifelhaftem Ruf, ist die Mücke, die den Elefant gebiert. Sämtliche komödiantischen Register werden zu diesem Zwecke gezogen. Hatte der Gatte oder hatte er nicht? Raymonde will es wissen und fingiert mit Freundin Lucienne einen äußerst wohlriechenden Liebesbrief. Doch Chandebise zieht es vor, seinem Freund Tournel das Rendezvous abzutreten. Die Verwicklungen spitzen sich zu, als sich herausstellt, dass der Hausdiener des Hotels, Poche, Chandebise zum Verwechseln ähnlich sieht.
Jörg Hube gab diese, in der Komödienszene beliebte Doppelrolle. Brillant entwickelte er zwei Charaktere, die sich im Laufe des Spiels immer deutlicher annäherten. Juliane Köhler als Chandebise Frau Raymonde schwankte zwischen Eifersucht und Seitensprung, zu dem ihr letztlich doch der nötige Esprit fehlte. Ihre Freundin Lucienne, zurückhaltend gegeben von Anna Riedl, ist auf der Flucht vor ihrem eifersüchtigen Mann, gespielt von Oliver Nägele, der behäbig den spanisch sprechenden Otthello-Verschnitt zwischen Komik und Lächerlichkeit auf die Bühne brachte. Peter Kremer vollführte geschickt den Spagat zwischen Freund und potentiellem Liebhaber. Arnulf Schumacher kam es als abgetakelter Feldwebel zu, die Ordnung im eigenen Stundenetablissement aufrecht zu halten. Es bereitete ihm sichtlich Vergnügen, Poche in den Hintern zu treten. Es ist dies eines der Lieblingsbilder Feydeaus für das Verhältnis Herr und Knecht. Thomas Loibl vollführte als Sekretär Camille wahre Sprachakrobatik. Der von einem Gebrechen gezeichnete Neffe des Chandebise wirkte als Stern in den Szenen. Auch Zeitkolorit fehlte in der Inszenierung keinesfalls - der Ausländer prügelt, Alkohol ist schädlich.

 

   
 

Lisa Wagner, Thomas Loibl, Jörg Hube, Juliane Köhler, Peter Kremer, Ulrich Beseler, Stefan Wilkening, Oliver Nägele, Arnulf Schumacher

© Thomas Dashuber

 

 

Das Stück setzte auf Tempo, was jedoch in dieser Aufführung zulasten der darstellerischen Qualität ging. Oder inszenierte Dieter Dorn auch die Entwicklung des Bürgertums in drei Akten? Der ersten Akt ist konventionell, wie etwa zu Zeiten Feydeaus, formvollendet und idealistisch wohlgeordnet; der sehnsüchtig chaotische zweite Akt mit Verwicklungen und amourösen Abenteuern wirkt wie die 1960ziger und der zerfranst schrille dritte Akt erinnerte an das Heute, an dessen Ende Form- und Ratlosigkeit steht.

George Feydeaus Farce transportiert keine Moral, macht aber die innewohnende Moral sichtbar. In Zeiten allgemeinen und umfassenden Werteverlustes stellen Liebe und Treue die letzten Bastionen dar. Die Inszenierung greift das Thema auf und verdeutlicht: Die bürgerliche Moral, in diesem Fall exemplarisch die eheliche Treue, als Sinnbild für Besitzstand und dessen Wahrung, ist nicht unterzukriegen. Soll man am Ende gar beruhigt darüber sein?
 
 
C.M.Meier




Floh im Ohr

von Georges Feydeau

Jörg Hube, Juliane Köhler, Thomas Loibl, Peter Kremer, Ulrich Beseler, Stefan Wilkening, Lisa Wagner, Oliver Nägele, Anna Riedl, Arnulf Schumacher, Veronika von Quast, Hellmuth Matiasek, Franziska Rieck, Victor Asamoah

Regie: Dieter Dorn