Residenz Theater Maria Stuart von Friedrich Schiller


 

 

Alter Wein in alten Schläuchen

Jeder eifrige Theatergänger wird irgendwann in die Situation kommen, dasselbe Stück ein zweites oder ein drittes Mal in neuer Inszenierung zu sehen. Vergleiche werden gezogen über die Darstellung der Rollen, über das Bühnenbild und vor allem aber über den Inszenierungsansatz. Wenn es der Regie darum geht, einen Klassiker zu entstauben, riskiert sie oder er den Unwillen des Betrachters. Also ist auf der sicheren Seite, wer einen Zeitbezug zum Stück herstellen kann, der brennend aktuell ist. In der Inszenierung des Münchener Residenz Theaters heißt dieser Ansatz "Geschlechterdiskurs". Der ist zwar nicht neu, aber ohne Zweifel aktuell. Es ist beinahe prophetisch zu nennen, das Stück nur wenige Wochen nach der deutschen Kanzlerwahl ins Programm zu nehmen. Ungeachtet der erschreckenden Visionslosigkeit der deutschen Kanzlerin und eingedenk unserer guten liberalen Erziehung verbietet sich jedoch der (öffentliche Geschlechter-) Diskurs und anerkennendes Kopfschütteln wabert durch das Land, wie tapfer sich die Dame (aus Ostdeutschland!) auf dem internationalen Parkett hält. Die Schweizer haben da weniger Hemmungen und sprechen ganz unverhohlen in ihren Gazetten von "das Merkel". Die ersten hundert Tage ihrer Regierung sind noch nicht ins Land gegangen und also halte auch ich mich an die Regeln.

Schiller rief seinerzeit mit diesem Stück einigen Unwillen hervor. Sein Frauenbild reizte insbesondere die "gelehrten" Herren zu heftigen Ausfällen. Seltsam, dass Goethe, Herder und Hegel deren Auffassungen das andere Geschlecht betreffend nicht nachgetragen werden. Die wenigsten Zeitgenossen kennen sie und hier schafft das Programmheft sinnvoll Abhilfe.

Der große Olympier erzählt uns in seinem Trauerspiel eine Geschichte, die jedem halbwegs gebildeten Mitbürger bekannt ist und die sich in der Kunst als thematischer Dauerbrenner durch die Jahrhunderte zieht. Es geht um den Tod Maria Stuarts, hingerichtet auf Befehl der eigenen Halbschwester Elisabeth. Maria (Königin von Schottland) hatte ihren Gatten ermordet und sich unter den Schutz Elisabeths (Königin von England) begeben. Da beide Töchter Heinrich VIII. waren, hatten beide auch einen Anspruch auf die Königswürden. Elisabeth setzte die plötzlich aufgetauchte Rivalin hinter Schloss und Riegel, fürchtete sie die Schwester und deren Ansprüche doch nicht zu Unrecht. Am Ende stand die Hinrichtung Marias. Nach Marias, und das erfährt man im Stück nicht, fallen noch einige Köpfe. Die Regierung Elisabeths geht schließlich als einzigartig in die Geschichte ein.
 
 

 
 

Thomas Loibl, Juliane Köhler, Jennifer Minetti, Anna Schudt, Jan-Peter Kampwirth

© Thomas Dashuber

 

Die Besetzung der Rollen beider Protagonistinnen mit Juliane Köhler (Elisabeth) und Anna Schudt (Maria) konnte trefflicher nicht sein. Im Ergebnis der Auseinandersetzung siegte nicht das Weibliche, sondern (auch das unterstreichen die Autoren des Programmheftes) das Männliche. Elisabeth tat kund und zu wissen, dass sie "wie ein Mann und wie ein König" regiert habe. Während Anna Schudt weiblich, sehr weiblich daherkam und ihre verführerische Sinnlichkeit, die schnell auch in Verschlagenheit und Eitelkeit umschlug, für jedermann sichtbar machte, hielt Juliane Köhler nicht selten nur schrill dagegen. Gegen diese Waffen der Weiblichkeit kam sie nicht an, was durchaus auch den historischen Tatsachen entsprach. Doch Elisabeth hatte eine andere Stärke, nämlich den absoluten Willen zur Macht. Diese Besessenheit verzerrte nicht nur das Antlitz Elisabeths, sondern auch das der Darstellerin Juliane Köhler. Bei allen inneren Kämpfen, die Schiller dieser Rolle einverleibte, misslang auf der Bühne so manche Pose in übersteigertem Pathos. So konnte sie im Gegensatz zu Anna Schudt nicht immer überzeugen. Der Kampf der gleichgeschlechtlichen Rivalinnen hatte dabei einen guten Rahmen, das schmucklose, im Sinne von politischer Anbetung sakral überhöhte Bühnenbild von Alexander Müller-Elmau glich einer Kampfarena, durch die man hindurch zieht ohne sich einzurichten. Die Bezeichnung "Flure der Macht" hatte auf unmenschliche Weise Gestalt angenommen.


Die Männer waren in diesem Stück eigentlich mehr oder weniger Staffage, Stichwortgeber oder Katalysatoren der Geschichte. Bei genauerer Betrachtung wird man jedoch feststellen, dass sie die eigentlichen Träger staatsmännischer Qualitäten sind. Wilhelm Cecil (Großschatzmeister) ist die treibende Kraft im politischen Geschehen und Rainer Bock, ganz Kalkül und emotionsloser Beobachter, bereitete erschreckend lautlos und mit pragmatischem Nachdruck alle "notwendigen" Entscheidungen vor. Er war der wahre Verfechter der Staatsräson. Und dann gibt es im Stück noch die beiden Gentlemen. Georg Talbot, maßvoll von Ulrich Beseler gegeben, und Amias Paulet, Oliver Nägele zeigte einen Mann von Gesinnung und Herz, demonstrieren in ihren Handlungen Ethos und Verantwortungsbewusstsein für das Volk und vor der Geschichte. Jan-Peter Kampwirth (Mortimer) als der intrigante Bösewicht war gleichklingend mit Juliane Köhler ebenfalls ein wenig zu überdreht. Immerhin stand Thomas Loibl als Robert Dudley die Hysterie ganz gut zu Gesicht, denn er war der fast somnambule Tänzer zwischen den Fronten, beide Königinnen waren ihm gleichermaßen zugetan. Die Einsicht in die nahende Katastrophe ließ ihn glaubhaft schlottern. Klein aber fein war die Rolle Marcus Calvins als Subalterner Wilhelm Davison. Der unbedarfte Mann war in Höhen aufgestiegen, deren Regeln er nicht beherrschte, was Calvin deutlich sichtbar machte. Seinen Handschweiß spürte man förmlich. Bei allen Qualitäten, die die einzelnen Darsteller boten, war die Inszenierung nicht homogen, nicht schlüssig. Immer wieder zerfaserte der mühsam sichtbar gemachte Faden durch die Geschichte.

Regisseurin Amélie Niermeyer glaubte wohl aus unerfindlichen Gründen, die Dramatik mit überflüssigem Aktionismus anheizen zu müssen. Dies ist zumindest bei Schiller das am wenigsten geeignete Rezept, denn der große Dramatiker verstand es, Historie in wahre Krimis zu verwandeln. Auf diese Texte kann man bauen, sie bedürfen nur guter Medien, denn sie selbst gestalten zwingend.

Wie überzeugend ist denn nun die Botschaft? Haben Frauen das Vermögen, Männer in höchsten Positionen zu ersetzen und wenn, sind sie dann noch Frauen? Die beiden Damen sind in der heutige Zeit unbrauchbar für ein Exempel, denn Elisabeth sagte sich selbst vom Frausein los und kreierte die "unbefleckte Königin". Jeder Psychologe legt die Stirn in Falten, wenn er wahrnehmen muss, dass er von einer Frau regiert wird, die auf alle Sinnlichkeit verzichtet. Man stelle sich einmal einen französischen Staatschef ohne Affären vor. Undenkbar. Maria taugt ebenso wenig als Exempel, denn sie war nicht nur eine Mörderin, sondern sogar ein Massenmörderin, ließ sie doch immerhin in drei Regierungsjahren mehr als dreihundert Scheiterhaufen entzünden, im Namen der katholischen Kirche, wohlgemerkt.

Selbst nach all den Auseinandersetzungen mit Schiller im Jubiläumsjahr ist kein wirklich neuer Schiller entstanden. Die Lesart ist eine alte und das Problem "Geschlechterdiskurs" haben wir noch immer vor uns. Wir haben uns diesem Problem noch nicht einmal genähert, denn sonst würden wir nicht so beredt darüber schweigen. Verlassen wir uns doch einfach darauf, dass das Problem mit jeder Frau in einem hohem Amte schwindet. Es war wieder nur alter Wein in alten Schläuchen.
Wäre es nicht vielmehr angebracht gewesen, über die Menschenverachtung von Macht nachzudenken, egal ob sie von einer Frau oder einem Mann ausgeübt wird? Das ist im Stück unübersehbar enthalten! Diese Lesart des Werks von Herrn Schiller wäre allemal spannender gewesen. Im Übrigen wäre es an der Zeit, sich Schiller kritisch zu nähern, denn auch er warf lange Schatten. Immerhin verabschiedete er sich noch zu Lebzeiten von den Idealen der Französischen Revolution und wurden dafür mit dem Adelstitel entlohnt. Ein Judaslohn, wie ich meine. Fazit: Eine Rebellion war diese Inszenierung nicht!

 
Wolf Banitzki

 

 


Maria Stuart

von Friedrich Schiller

Juliane Köhler, Jennifer Minetti, Anna Schudt, Gerd Anthoff, Ulrich Beseler, Rainer Bock, Marcus Calvin, Jan-Peter Kampwirth, Thomas Loibl, Oliver Nägele

Regie: Amélie Niermeyer