Residenz Theater Eines langen Tages Reise in die Nacht von Eugene O'Neill
Hysterie statt Leidenschaft
"Ich gehe aus von der Theorie, dass die Vereinigten Staaten, anstatt das erfolgreichste Land der Erde zu sein, der größte Fehlschlag sind ...", schrieb Eugen O'Neill. Spiegelbild dieses Versagens sollte auch sein Drama "Eines langen Tages Reise in die Nacht" sein, das er 1940 als Teil eines geplanten und nicht vollendeten autobiografischen Zyklus verfasste. Der Ich-Bezug ist bei Kenntnis seiner Biografie unübersehbar. Das veranlasste ihn schließlich auch dazu, das Stück bis 25 Jahren nach seinem Ableben zu sperren. Bereits 1956, drei Jahre nach seinem Tod, fand die Uraufführung am Königlichen Dramatischen Theater in Stockholm statt, an einem Theater, dass er aufgrund der Verdienste um Strindberg für die Uraufführungen seiner Stücke favorisierte. Strindberg, so betonte er in seiner Nobelpreisrede 1936, war sein literarischer Übervater, womit er seine Poetikauffassung deutlich definierte. Der erfolgreichste Amerikanische Dramatiker (mehr als 40 Stücke) avancierte zum großen Naturalisten/Realisten des Theaters jenseits des Großen Teiches. Seine Stücke sind zutiefst psychologisch, wenn nicht sogar psychoanalytisch, wie der Theatertheoretiker Georg Hensel bemerkte.
"Schicksal entspringt aus der Familie", notierte O'Neill während der Arbeit an "Elektra muss Trauer tragen". So führt er uns die schicksalhafte Verstrickung der Mitglieder der Familie Tyrone in einer großen und unbarmherzigen Vivisektion vor. James Tyrone, einstmals bejubelter Liebhaberdarsteller, hinter der Figur verbirgt sich O'Neills Vater, der jahrelang als "Graf von Monte Christo" Triumphe feierte, ist Alkoholiker und von krankhaftem Geiz geplagt. Sein Sohn James jr. tut es ihm gleich. Als Schauspieler hat auch er sein Talent bereits im Alkohol ertränkt. Hinter dieser Figur steckt Eugenes älterer Bruder James, der 1923 an den Folgen seines Alkoholismus starb. Edmund, der Poet und Seefahrer der Familie - und O'Neill selbst - hat die Schwindsucht. (Wie viel Poesie in diesem Wort steckt!) Er erfährt die endgültige Diagnose an jenem Augusttag des Jahres 1912, an dem das Stück spielt. Auch er widmet sich voller Hingabe dem Alkohol. Die Mutter, wie auch im wahren Leben des Eugen O'Neill, ist gerade aus der Entziehungskur entlassen und reitet schon wieder auf der Nadel.
"Ich gehe aus von der Theorie, dass die Vereinigten Staaten, anstatt das erfolgreichste Land der Erde zu sein, der größte Fehlschlag sind ...", schrieb Eugen O'Neill. Spiegelbild dieses Versagens sollte auch sein Drama "Eines langen Tages Reise in die Nacht" sein, das er 1940 als Teil eines geplanten und nicht vollendeten autobiografischen Zyklus verfasste. Der Ich-Bezug ist bei Kenntnis seiner Biografie unübersehbar. Das veranlasste ihn schließlich auch dazu, das Stück bis 25 Jahren nach seinem Ableben zu sperren. Bereits 1956, drei Jahre nach seinem Tod, fand die Uraufführung am Königlichen Dramatischen Theater in Stockholm statt, an einem Theater, dass er aufgrund der Verdienste um Strindberg für die Uraufführungen seiner Stücke favorisierte. Strindberg, so betonte er in seiner Nobelpreisrede 1936, war sein literarischer Übervater, womit er seine Poetikauffassung deutlich definierte. Der erfolgreichste Amerikanische Dramatiker (mehr als 40 Stücke) avancierte zum großen Naturalisten/Realisten des Theaters jenseits des Großen Teiches. Seine Stücke sind zutiefst psychologisch, wenn nicht sogar psychoanalytisch, wie der Theatertheoretiker Georg Hensel bemerkte.
"Schicksal entspringt aus der Familie", notierte O'Neill während der Arbeit an "Elektra muss Trauer tragen". So führt er uns die schicksalhafte Verstrickung der Mitglieder der Familie Tyrone in einer großen und unbarmherzigen Vivisektion vor. James Tyrone, einstmals bejubelter Liebhaberdarsteller, hinter der Figur verbirgt sich O'Neills Vater, der jahrelang als "Graf von Monte Christo" Triumphe feierte, ist Alkoholiker und von krankhaftem Geiz geplagt. Sein Sohn James jr. tut es ihm gleich. Als Schauspieler hat auch er sein Talent bereits im Alkohol ertränkt. Hinter dieser Figur steckt Eugenes älterer Bruder James, der 1923 an den Folgen seines Alkoholismus starb. Edmund, der Poet und Seefahrer der Familie - und O'Neill selbst - hat die Schwindsucht. (Wie viel Poesie in diesem Wort steckt!) Er erfährt die endgültige Diagnose an jenem Augusttag des Jahres 1912, an dem das Stück spielt. Auch er widmet sich voller Hingabe dem Alkohol. Die Mutter, wie auch im wahren Leben des Eugen O'Neill, ist gerade aus der Entziehungskur entlassen und reitet schon wieder auf der Nadel.
Jens Harzer, Rainer Bock © Thomas Dashuber |
Inhalt des Stückes ist der verzweifelte Versuch aller Figuren, die Schuld am eigenen Dilemma auf die Angehörigen abzuwälzen. Es ist ein martialischer Prozess, der angesichts des Abstumpfungsgrades schon eine Weile anhalten muss. Und es ist ein psychologisches Drama in der Tradition Strindbergs, das einige Erwartungen weckt. Anders als bei Strindberg, gelingt den handelnden Personen keinerlei Kommunikation. Niemand ist wirklich an der Anschauung des Anderen interessiert, jeder weicht aus, flüchtet schnell wieder in die eigene Hölle. Und so bleibt am Ende der Kadaver einer Familie zurück, in der viel von Liebe und noch mehr von Hass gesprochen wurde.
Eine große Geschichte wird hier in einem großen Stück erzählt, dass auf den Bretter des Residenztheaters allerdings keine große Gestalt annahm. Elmar Goerden inszenierte mehr Hysterie als Leidenschaft und unterm Strich blieb kaum mehr als der schrille Abklatsch einer Familientragödie. Psychologische Brüche beim Kippen von Liebe, in Hass und in Verzweifelung und umgekehrt, meisterlich von O'Neill vorgegeben, wurden weitestgehend ignoriert. Anstelle dieser kam es in regelmäßigen Abständen zu exzessiven Ausbrüchen, deren Motivationen nicht immer nachvollziehbar waren.
Und die Darsteller? O'Neill schrieb sinnfällig: "Ich glaube nicht, dass eine Idee einem Publikum übermittelt werden kann, außer durch Charaktere." Hans Peter Hallwachs James Tyrone, der Patriarch der Familie und Hauptschuldiger am Dilemma, war allzu häufig in der Defensive. Es überzeugt kaum, dass ein Mensch, der als einziger für die Familie gearbeitet hat, so deutlich auf der Flucht vor sich selbst und den Anklägern ist. Dabei hat er für sein Fehlverhalten noch einleuchtende Gründe, was ihn sehr menschlich macht. James jr. wurde von Rainer Bock als schnodderiger Zyniker gegeben, dessen noch vorhandenen Potenzen durch diese Darstellung weitestgehend negiert wurden. Jens Harzer spielte den Edmund als einen umtriebigen, permanent rauchenden und gelegentlich hustenden Siechen, der zumeist eine unangemessen aggressive Spannung erzeugte. Cornelia Froboess gestaltete ihre Rolle als Mutter mit geradezu königlicher Haltung. Man vergaß allzu leicht, dass es sich um eine drogensüchtige, von Schlaflosigkeit und Entdeckungsängsten geplagte Frau handelt, die zudem in einer verklärten Vergangenheit lebt. Hier wäre weniger wirklich mehr gewesen.
Was fehlte, waren Zwischentöne, das sinnfällige Innehalten, um die Dramatik des Stückes freizusetzen. Kommunikationslosigkeit auf einer Bühne darf nicht geschehen, sondern muss gestaltet werden. Das Spiel der Darsteller war erregt, ohne das eine zündende Erregung beim Zuschauer aufkam. Respekt vor ihrer dreieinhalbstündigen Arbeit, doch der erzeugte Effekt war angesichts der Vorlage mäßig. Bedauerlich war auch, wie die Poesie des Stücks zum Teil fortgespült wurde. Der Baudelairetext aus Harzers Mund klang eher wie auf einem Poetry Slam. Dabei wurde im Konzept des Bühnenbildes von Silvia Merlo und Ulf Stengl eine deutliche Anlehnung an den textlichen Symbolismus sichtbar. Durch das Fluten der Vorderbühne hatten sie das Meer ins Blickfeld des Zuschauers geholt und der Bühnenhintergrund, von einer großen Gardine verdeckt, machte den bedrohlichen Nebel glaubhaft.
Ähnlich wie in der Inszenierung von "Warten auf Godot" (Premiere am 31.12.2004) hat Regisseur Goerden einen Kniefall vor dem Publikum gemacht. Leider um den Preis, dass wesentliche emotionale Aussagen, die auf eine Katharsis zielen, auf der Strecke blieben. Wenn das Publikum diese Inszenierung aus einem gutem Grund annimmt, dann wohl, weil zwischen denn allzu häufig eingestreuten "Scheiße!" und "Ach, Scheiße!" immer wieder der große, unzerstörbare Text von Eugene O'Neill wie ein Wetterleuchten durchscheint.
Eine große Geschichte wird hier in einem großen Stück erzählt, dass auf den Bretter des Residenztheaters allerdings keine große Gestalt annahm. Elmar Goerden inszenierte mehr Hysterie als Leidenschaft und unterm Strich blieb kaum mehr als der schrille Abklatsch einer Familientragödie. Psychologische Brüche beim Kippen von Liebe, in Hass und in Verzweifelung und umgekehrt, meisterlich von O'Neill vorgegeben, wurden weitestgehend ignoriert. Anstelle dieser kam es in regelmäßigen Abständen zu exzessiven Ausbrüchen, deren Motivationen nicht immer nachvollziehbar waren.
Und die Darsteller? O'Neill schrieb sinnfällig: "Ich glaube nicht, dass eine Idee einem Publikum übermittelt werden kann, außer durch Charaktere." Hans Peter Hallwachs James Tyrone, der Patriarch der Familie und Hauptschuldiger am Dilemma, war allzu häufig in der Defensive. Es überzeugt kaum, dass ein Mensch, der als einziger für die Familie gearbeitet hat, so deutlich auf der Flucht vor sich selbst und den Anklägern ist. Dabei hat er für sein Fehlverhalten noch einleuchtende Gründe, was ihn sehr menschlich macht. James jr. wurde von Rainer Bock als schnodderiger Zyniker gegeben, dessen noch vorhandenen Potenzen durch diese Darstellung weitestgehend negiert wurden. Jens Harzer spielte den Edmund als einen umtriebigen, permanent rauchenden und gelegentlich hustenden Siechen, der zumeist eine unangemessen aggressive Spannung erzeugte. Cornelia Froboess gestaltete ihre Rolle als Mutter mit geradezu königlicher Haltung. Man vergaß allzu leicht, dass es sich um eine drogensüchtige, von Schlaflosigkeit und Entdeckungsängsten geplagte Frau handelt, die zudem in einer verklärten Vergangenheit lebt. Hier wäre weniger wirklich mehr gewesen.
Was fehlte, waren Zwischentöne, das sinnfällige Innehalten, um die Dramatik des Stückes freizusetzen. Kommunikationslosigkeit auf einer Bühne darf nicht geschehen, sondern muss gestaltet werden. Das Spiel der Darsteller war erregt, ohne das eine zündende Erregung beim Zuschauer aufkam. Respekt vor ihrer dreieinhalbstündigen Arbeit, doch der erzeugte Effekt war angesichts der Vorlage mäßig. Bedauerlich war auch, wie die Poesie des Stücks zum Teil fortgespült wurde. Der Baudelairetext aus Harzers Mund klang eher wie auf einem Poetry Slam. Dabei wurde im Konzept des Bühnenbildes von Silvia Merlo und Ulf Stengl eine deutliche Anlehnung an den textlichen Symbolismus sichtbar. Durch das Fluten der Vorderbühne hatten sie das Meer ins Blickfeld des Zuschauers geholt und der Bühnenhintergrund, von einer großen Gardine verdeckt, machte den bedrohlichen Nebel glaubhaft.
Ähnlich wie in der Inszenierung von "Warten auf Godot" (Premiere am 31.12.2004) hat Regisseur Goerden einen Kniefall vor dem Publikum gemacht. Leider um den Preis, dass wesentliche emotionale Aussagen, die auf eine Katharsis zielen, auf der Strecke blieben. Wenn das Publikum diese Inszenierung aus einem gutem Grund annimmt, dann wohl, weil zwischen denn allzu häufig eingestreuten "Scheiße!" und "Ach, Scheiße!" immer wieder der große, unzerstörbare Text von Eugene O'Neill wie ein Wetterleuchten durchscheint.
Wolf Banitzki
Eines langen Tages Reise in die Nacht
von Eugene O'Neill
Cornelia Froboess, Franziska Rieck, Rainer Bock, Hans Peter Hallwachs, Jens Harzer Regie Elmar Goerden |