Residenz Theater Der einsame Weg von Arthur Schnitzler


 

 

Der einsame Weg oder vom Weg in die Einsamkeit

„Ich habe Sie gemieden aus einer Art Doppelgängerscheu“, gestand Sigmund Freud dem Freund Arthur Schnitzler in späteren Jahren. Beide waren Ärzte, beide folgten den Ideen des französischen Neurologen Charcot und beide bewegten sie sich lebenslang in dem „weiten Land“, mit dem Schnitzler die Seele umschrieb. Zu Schnitzlers 60. Geburtstag schrieb der Vater der Psychoanalyse: „Ihr Ergriffensein von den Wahrheiten des Unterbewussten, von der Triebnatur des Menschen, ihre Zersetzung der kulturell-konventionellen Sicherheiten, das Haften Ihrer Gedanken an der Polarität Liebe und Sterben, das alles berührte mich mit einer unheimlichen Vertrautheit.“ Diese Aussage beschreibt nicht nur das Fundament einer Freundschaft, sondern auch den Kern der Werke Arthur Schnitzlers.

„Der einsame Weg“ beginnt mit dem Sterben Gabriele Wegrats, Ehefrau des Direktors der Akademie der bildenden Künste, Mutter von Felix, einem frischgebackenen Offizier, und der sich selbst suchenden Tochter Johanna. Wenige Tage nach ihrem Tod kehrt der einst gefeierte Maler und Freund Professor Wegrats, Julian Fichtner, zurück und mit ihm ein langgehütetes Geheimnis. Felix ist Fichtners Sohn, der letzte Mensch zu dem er ein Verbundenheitsgefühl entwickeln kann, die letzte Insel, auf die er sich, der aus der menschlichen Welt Gefallene, zu retten sucht. Nebenher fällt Schwester Johanna in eine schwärmerische Liebe zum dem todkranken und zynischen Stephan von Sala. Die sich bahnbrechende Wahrheit über die Vaterschaft führt nicht zu neuer menschlicher Verbundenheit, sondern zur Zerstörung der alten. Ein Happy end sucht man vergebens, davor sind die Konventionen und die Lügen, die Halbherzigkeiten und die Egoismen.  

Dem sehr funktionalen Bühnenbild von Mathis Neidhardt, bestehend aus raumtrennenden weißen Wänden auf einer Drehbühne, war nichts eigen, was Atmosphäre erzeugte. Falsche oder auch richtige Fährten waren nicht gelegt worden, einzig Hängeeinrichtungen, wie man sie aus Galerien kennt, verwiesen darauf, dass es sich um Künstlerexistenzen handelte. Für Professor Wegrat, von Rainer Bock ausgewogen und den Habitus der Figur genau treffend gespielt, ist die Kunst Broterwerb geworden. Als „Kunstbeamter“ hat er längst die Leidenschaft eingebüßt, die ihn einst der Kunst in die Arme trieb. Er lieferte artig Bilder, wenn es denn für eine Ausstellung vonnöten war. Darüber hinaus war er ganz Familienoberhaupt, versuchte das kleine, mühsam geschaffene Idyll vor allen Wettern zu schützen. Erfolgreich, bis sein Freund Fichtner auftauchte. Regisseur Jens-Daniel Herzog besetzte die Hauptfigur Julian Fichtner ideal mit Götz Schubert. Sowohl in seiner physischen Erscheinung, als auch in seinem Spielgestus brachte er einen sehr heutigen Menschen auf die Bühne, dessen „Künstlerego“ zum Maßstab allen Handelns geworden war. Christian Nickel schuf mit seiner Figur des Stephan von Sala den gesellschaftlich etablierten Gegenentwurf zum gescheiterten Künstler. Sein Scheitern bestand nicht in seiner noblen Lebensweise als darüber stehender Beobachter, sondern in seinem frühen Tod. In dieser Figur könnte man auch den damaligen gesellschaftlichen Verfall erkennen, als einen deutlichen Zeitbezug zur Welt Schnitzlers.
 
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Götz Schubert, Oliver Möller, Rainer Bock

© Thomas Dashuber

 

Voran getrieben wurde das Drama durch das Aufeinanderprallen der etablierten Gesellschaft, also der Generation der Väter und Mütter, mit den Anschauungen der Jugend und der verschmähten Liebenden. Barbara Melzel stand in der Rolle der Schauspielerin Irene Herms für letztere. Sie wurde zum destruktiven Element, als sie begreifen musste, dass Fichtner sie nicht lieben kann. Radikal und vielleicht ein wenig zu einfarbig steuerte sie auf den unausweichlichen Bruch zu. Zurück blieben im wahrsten Sinn des Wortes Scherben. Oliver Möller spielte den Sohn Felix als einen dynamischen jungen Mann, der zum Sprung in das erträumte Leben bereit war. Er ging tatsächlich in dieses Leben, doch als ein desillusionierter und verbitterter Mensch, von den Vorgaben der Vätergeneration Enttäuschter. Lügen und Halbwahrheiten waren seine Mitgift. In all dem Treiben übersahen die Figuren des Stückes das Abgleiten der von Stephanie Leue gespielten Tochter Johanna in die Unfassbarkeit. Ihre Hingabe an eine Liebe ohne Zukunft endete tödlich.

Zwei Stunden dauerte die Inszenierung im Münchner Residenztheater und leider fühlte sie sich auch ebenso lange an. Jens-Daniel Herzog lieferte eine handwerklich saubere und in sich auch klare Arbeit ab. Allein, die „seelischen“ Tiefen (und darum geht es in Schnitzler-Stücken ausschließlich) wurden nur mangelhaft ausgelotet. Die Konflikte und ihre Austragungen blieben vornehmlich äußerlich. Einige Striche wären angebracht gewesen, denn dadurch hätte man Raum gewonnen, um psychische Vorgänge sichtbarer und wirkungsvoller zu gestalten. Die entstandenen Längen waren eben diesem Manko geschuldet, da streckenweise nur die Geschichte und nicht ihr Subtext oder die emotionale Dimension der Figuren transportiert wurden. Es geht im Stück um Liebe und Tod, die beiden wichtigsten und größten Themen in der Kunst. Wirklich fühlbar wurde diese Dimension für das Publikum nicht. Man könnte meinen, Jens-Daniel Herzog hätte vor den großen Gefühlen gescheut. Zudem wurde die Haltung der Regie in Bezug auf die wichtigsten Personen nicht deutlich. Dem Zuschauer oblag es beinahe uneingeschränkt, sich eine Meinung über die Personen zu bilden. So läuft die Inszenierung Gefahr, dass der Professor Wegrat als das Klischee des Kunstbeamten verstanden wurde, Fichtner (klischeehaft) als der charakterlose Egoist und von Sala (klischeehaft) als der zynische Drübersteher. Das wird den Figuren nicht gerecht, denn schon der Titel des Stücks „Der einsame Weg“ verweist darauf, dass Fichtner nicht nur ein moralischer Schwächling war.  

Der Sinn, dieses Stück hier und heute auf die Bühne zu bringen, ist unbestritten, wie der Beitrag „Vernunft und Biedermeier -  Idyll – die erwachsene Jugend“ im Programmheft zeigt. In diesem aufschlussreichen Text ist eine Analyse der Lebensumstände der heutigen Jugend niedergelegt. Daraus geht hervor, dass sich die jungen Menschen in der spätbürgerlichen Gesellschaft eben genau diesen Lebenslügen, wie sie Schnitzler entlarvte, gegenüber sieht. Verunsicherung, eine vage Zukunft und ein Aufwachsen ohne Ideale lässt den Ruf nach der intakten Idylle wieder laut werden. Sie wünschen sich eine sichere Ordnung, Verlässlichkeiten, und sehen sich doch einer brutalen, chaotischen, unberechenbaren und planlosen Welt gegenüber, in der sie zumeist einsam umherirren. Diese Einsichten vermitteln sowohl das Stück, als auch die Inszenierung. Allein die notwendige Spannung, um den Betrachter in den Bann zu schlagen,  bleibt insbesondere am Anfang aus.

 
Wolf Banitzki

 

 


Der einsame Weg

von Arthur Schnitzler

Stephanie Leue, Barbara Melzl, Ulrike Willenbacher, Peter Albers, Rainer Bock, Oliver Möller, Christian Nickel, Götz Schubert

Regie: Jens-Daniel Herzog