Residenztheater Die Götter weinen von Dennis Kelly


 


Aderlass im Vorstand

Ein erster Blick ins Programmheft machte neugierig. Darin war die Rede von großen Coups multinationaler Konzerne, in Afrika oder Lateinamerika riesige Flächen von Ackerland aufzukaufen. Diese werden entsiedelt, notfalls mit Hilfe paramilitärischer Truppen, die vor gar nichts zurückschrecken. Auf diesen Flächen pflanzt man Monokulturen an, die zu Biosprit verarbeitet werden, während in unmittelbarer Nachbarschaft Hungersnöte und Dürren wüten. Politische Vertreter und Machthaber, egal ob legitime oder illegitime, werden gekauft und gehandelt, ganz nach Bedarf. Ein gutes Thema für ein Theaterstück? Man konnte gespannt sein.

Der groß angelegte dramatische Entwurf von Dennis Kelly beginnt mit der Vorstandsitzung eines Konzerns, der als global Player weltweit präsent ist. Colm, Begründer der Firma, gibt seine Macht an die jungen Nachfolger ab. Es läuft äußerlich ein wenig wie bei King Lear ab, der sein Reich ungleichmäßig verteilt. Richard und Catherine bekommen jeweils die Hälfte des Imperiums unter ihre Herrschaft. Der leibliche Sohn Jimmy, Colm betont, dass er sich sehr anstrengen musste, ihn lieben zu lernen, geht leer aus. Das Projekt, an dem er gerade arbeitet und das weitestgehend geheim gehalten wurde, entzieht Colm seinem Sohn und übernimmt es selbst. Jimmy fleht den Vater an, ihm noch eine Chance zu geben und erhält einen vierzehntägigen Aufschub. Bei diesem Geschäft handelt es sich um „Land Grabbing“. Der Konzern hat große Mengen Land gekauft und will nun die Nahrungsmittelproduktion zu einem profitablen Geschäft machen. Von „win-win“ ist die Rede, von Aufbau der Infrastruktur, von Wohlstand der Zivilbevölkerung. Alles Lüge, wie Statistiken belegen. Es ist vielleicht die letzte Stufe der Versklavung der Menschheit durch Konzerne. Es regt sich Widerstand in den entsprechenden Regionen. Das Projekt, das Jimmy vertrat, war wegen einer versicherungstechnischen Angelegenheit ins Stocken geraten. Kein Unternehmen war bereit, die acht Spezialisten zu versichern, die in das von Rebellen „verseuchte“ Gebiet reisen sollten. Jimmy hatte inzwischen eine Affäre mit Beth, einer Entscheidungsträgerin im Versicherungsunternehmen. Er erpresst sie mit der Affäre und ihrem alkoholabhängigen Vater. Die Versicherung kommt zustande.

Inzwischen ist ein Machtkampf zwischen Richard und Catherine ausgebrochen, der im zweiten Teil in den totalen Krieg mündet. Colm ist abgesetzt und verschollen, Castile, der Vertraute Colms, seine Augen und Ohren, ist entmachtet und Jimmy ist zum Spielball der Parteien geworden. Die acht Spezialisten sind unmittelbar nach ihrem Eintreffen im Krisengebiet getötet worden. Beth ist folglich ruiniert, hat nur noch Rache an Jimmy im Sinn. Sie schließt sich Richard an und wird, obgleich sie augenscheinlich wahnsinnig ist, zur Anführerin der Leibwache. Es geht zu wie bei Warlords, deren Gefolgschaft aus fanatisierten Kindersoldaten besteht. Catherin unterliegt, da sie Schwäche zeigt. Schwäche heißt hier Liebe, Liebe zu Jimmy. Jimmy indes hat dazugelernt, verschwindet und taucht erst wieder auf, als sich die Parteien aufgerieben oder selbst ausgelöscht haben. „Du musst deine Schwäche zu einer Waffe machen“, hatte Vater Colm ihm erklärt.

Colm indes wird von einem jungen Mädchen namens Barbara gepflegt. Zu ihr zog es den zeitweise umnachteten, verletzen Mann zwanghaft. Er hatte viele Jahre zuvor aus einer Laune heraus den Vater vernichtet. Dadurch wurde die Familie ausgelöscht. Nur Barbara war übrig geblieben. Colm offenbart sich ihr und erntet ihre vollkommene Abscheu. Doch es ist eine „Day after“ Situation eingetreten. Der Krieg hat beide gleichgestellt. Es geht ums Überleben, um Nahrungsmittel, um die Furcht vor Krankheit, die gleichbedeutend mit Tod ist. Zarte Bande entstehen zwischen beiden. Gerade als Hoffnung keimt, bellen Schüsse. Barabara sinkt tödlich getroffen in Colms Arme. Jimmy war der Schütze. Er war gemeinsam mit Castile gekommen, um den Vater heimzuholen, denn die Dinge sind wieder in ihrem Sinn geregelt. Man kann zur Tagesordnung übergehen. Colm betrachtet noch kurz den Leichnam Barbaras und wendet sich dann, weitestgehend ungerührt, ab. Ende.

Bei „Die Götter weinen“ handelt es sich um ein auf shakespearesches Format aufgeblasenes Königsdrama, angesiedelt in den Königreichen der Ökonomie. Es ist in der Dramaturgie nicht viel echte Logik. Die sprachliche Umsetzung kann kaum als meisterlich bezeichnet werden. Shakespeare kommt einem dabei mehrfach in den Sinn. King Lear wurde bereits genannt, und bei Beth drängt sich ein spiegelverkehrter Macbeth auf. Die Astrologin erinnert an die Hexen. Bei näherem Hinsehen, ließen sich bestimmt noch einige Parallelen finden.

Eine Vorstandsschlacht wächst sich zu einem internationalen Krieg aus, bei dem sich ganze Heere in Schlachtordnungen gegenüberstehen wie in Shakespeares Dramen. Ein Shakespeare ist es nicht geworden, davor war die Sprache, ungeschliffen und vielfach alltäglich. Die Figuren hatten kaum Doppelbödigkeit und den Szenen fehlte die Weisheit aufklärender Dramatik. Und aufklären sollte es doch sicherlich, zumindest deutete das Programmheft dies an. Aufklärung sollte, und in diesem Fall trifft das wohl in besonderem Maße zu, Kritik befördern, günstigstenfalls Verhalten ändern oder provozieren.
 
  diegotterweinen  
 

Paul Wolff-Plottegg, Dascha Poisel, Jens Atzorn, Carolin Conrad, Manfred Zapatka, Götz Schulte, Guntram Brattia, Sophie von Kessel, Johannes Zirner

© Tibor Bozi

 

Dušan David Pařizeks Inszenierung erreichte dabei eher das Gegenteil, wofür er am Ende heftige Ablehnung in Form von Buhs erntete. Die Inszenierung führte weg von den Realitäten und erzählte die Geschichte so, das sie nirgendwo wirklich an die Realität ankoppeln konnte. Mehr noch, die zweieinhalb Stunden gerieten über weite Strecken langatmig und erzeugten (im Publikum hörbare) Seufzer der Erschöpfung. Warum das alles, fragte man sich? Es sei an dieser Stelle eine Spekulation erlaubt. Der Regisseur hatte ein brandaktuelles Thema benutzt, um über ein, wie sich bald herausstellte, überambitioniertes Stück, eine großen ästhetischen Wurf zu landen. Doch wenn die Geschichte nicht tauglich ist, bleibt auch die künstlerische Umsetzung irgendwann auf der Strecke. Und wenn nicht, ist das Werk nur ein gelungener Betrug.

Musste Regisseur Pařizek also zwangsläufig scheitern? Mit Sicherheit nicht, hätte er doch den Mut gefunden, kräftig zu streichen und zu straffen. Der Spielgestus war nicht ungeschickt. Alle Darsteller waren durchgängig auf der Bühne, traten in den Vordergrund, zogen die Blicke und die Konzentration des Publikums auf sich und spielten ihre Szenen. Da es sich durchweg um hervorragenden Schauspieler handelte, war die Gefahr von Dekonstruktion sehr gering. Dank des sehr guten funktionalen Bühnenbildes (gleichfalls von Dušan David Pařizek) herrschte eine grundlegende Nüchternheit vor, in der die Konflikte und Auseinandersetzungen verhandelt wurden.

Businessleute sind „cool“. Emotionale Ausbrüche finden im Verborgenen, unter vier Augen statt. Jedenfalls sind Businessleute selten physische Rambos, die schnell mal zur Kanone greifen, aus der Hüfte schießen und dann wie Dirty Harry über die Leichen steigen. Hier taten sie es. Doch dieses Versagen muss wohl auch dem Stück zugeschrieben werden. Da es ein blutiges Spiel war, wurde das Blut in großen Mengen vergossen. Regisseur Pařizek glitt spätestens im zweiten Teil ab in vordergründiges Action-Theater. Das Sch…-Wort erlebte eine Inflation. Nichts ging mehr zusammen. Management, Brokermentalität, menschliche Hybris auf höchste Ebenen der ökonomischen Macht kippten um in einen banalen Bandenkrieg und das Publikum fragt sich irgendwann verzweifelt, wohin das alles führen sollte. Es war nicht mehr, als ein effizienter Aderlass in einem Konzernvorstand. (Hoppla, da könnten ketzerische Gedanken aufkommen.)

Das Thema, Enteignung großer Teile der Erdbevölkerung und die Verwendung der Landmassen zu spekulativen Zwecken, geriet letztlich kaum in den Fokus. Ob die Protagonisten dieser Spekulationsanstalten, oder Oberschurken, wie sie im Programmheft genannt werden, tatsächlich in ihrem Wesen getroffen waren, blieb ebenfalls im Dunkeln. Die Schauspieler gaben immerhin ihr Bestes. Dabei schien einige Male spürbar, dass sie selbst nicht gänzlich vom Sinn ihres Tuns überzeugt waren. Sie erhielten am Ende verdientermaßen artigen Applaus. Die Regie hingegen wurde sehr deutlich abgestraft.

Der letzte Akt, in dem Colm und Barbara auf intime Weise ums Überleben kämpften, wirkte inhaltlich und auch ästhetisch wie ein Appendix. Sollte er wirklich nur dazu gedient haben, Colm mit dessen letzten Blick sagen zu lassen, „Scheiß drauf! (Pardon. W.B.) Wir machen weiter wie gehabt!“, wäre das eine Bankrotterklärung des Autors, die somit von der Regie und letztlich auch vom Theater mitgetragen wurde. Ohne diese Szene hätte es vielleicht eine kleine Katharsis geben können. So war der Abend nur ein Ärgernis.  

 
Wolf Banitzki

 

 


Die Götter weinen

von Dennis Kelly

Jens Atzorn, Guntram Brattia, Carolin Conrad, Sophie von Kessel, Dascha Poisel, Katharina Schmidt, Götz Schulte, Paul Wolff-Plottegg, Manfred Zapatka, Johannes Zirner

Regie: Dušan David Pařízek