Residenz Theater In 80 Tagen um die Welt nach Jules Verne
„In 80 Tagen um die Welt“ von Jules Verne war, wie beim DDR-Kind Soeren Voima, der für die Bühnenfassung verantwortlich zeichnete, für viele Menschen weltweit ein Schlüsselerlebnis in Sachen Fernweh. Der fantasievolle Abenteuerroman entführte seit seinem Erscheinen im Jahr 1873 die Leser aller Altersstufen in ferne und fernste Welten. Am 24. Februar hatte das gut zweistündige Abenteuerspektakel unter der Federführung von Tina Lanik im Münchener Residenztheater Premiere. Der stürmische Applaus von Kindern und Erwachsenen bewies, dass es der Regisseurin trefflich gelungen war, die Zuschauer auf diese Reise um die Welt mitzunehmen.
Wie man sich denken kann, bestand eine der größten Herausforderungen darin, die Personage zu begrenzen. So spielten acht Darsteller insgesamt mehr als vierzig Rollen. Hinzu kamen noch einige Statisten und so entstand der Eindruck einer überbordenden Vielfalt von unterschiedlichsten Charakteren und Erscheinungsbildern. Sie waren ebenso exotisch wie die sieben Länder, in denen Mr. Phileas Fogg, Johannes Zirner gab einen wahrhaft exzentrischen Gentlemen, auf seiner atemlosen Weltreise Station machte. Grund seiner spektakulären Weltumrundung war eine Wette, die der Verfechter mathematischer Pünktlichkeit mit seinen (Reform-) Clubfreunden abgeschlossen hatte: Er wolle es, dank des modernen Verkehrsnetzes, schaffen, die Erde binnen 80 Tagen zu umrunden. Mit seinem Diener und Reisebegleiter Jean Passepartout, gespielt von dem quirligen Thomas Gräßle, machte er sich noch am selben Tag auf den Weg und bestand so manches Abenteuer. Dabei stand die Mission des extravaganten Engländers nicht immer unter günstigsten Vorzeichen und war zudem permanent von Justitia in Frage gestellt. Der Scotland Yard Detektiv Fix hatte in der Person Foggs einen vermeintlichen Bankräuber ausgemacht und verfolgte den Ahnungslosen wie ein Terrier, der Blut geleckt hatte. Diese Figur, gespielt von einem vermeintlich an den physischen und psychischen Grenzen wandelnden Michele Cuciuffo, trug einiges zur Komik bei. Er war es denn auch, der die Mission von Fogg um ein Haar zum Scheitern brachte.
Auf dem Weg um die Welt veränderte sich die Reisegesellschaft ständig. Passepartout ging dabei auch schon mal verloren, ein britischer General, Paul Wolff-Plottegg spielte diese Rolle (neben vielen anderen auch) mit ausgesucht lächerlich-militaristischem Habitus, gesellte sich hinzu. Im indischen Dschungel befreiten die ach so freiheitsliebenden Briten schließlich Mrs. Aouda, eine indische Witwe, vom Scheiterhaufen weg, auf dem sie gemeinsam mit dem Leichnam ihres Gatten ins Jenseits befördert werden sollte. Katrin Röver spielte eine spritzige, die Gegebenheiten sehr pragmatisch handhabende junge Schönheit im exotischen Sari und mit britischer Erziehung. Neben Barbara Melzl, die in unterschiedlichsten Rollen komödiantisch-schrill und zum Brüllen komisch brillierte, agierten Alfred Kleinheinz und Jens Atzorn in so vielen Rollen mit so unterschiedlichen Haltungen, dass die Darsteller kaum noch auszumachen waren. Stefan Haganeiers zum Teil sehr aufwendige Kostüme leisteten das Ihrige zur Verschleierung und zur Illusion.
Thomas Gräßle, Katrin Röver, Johannes Zirner, Alfred Kleinheinz © Thomas Dashuber |
Tina Lanik griff tief in die Trick- und Illusionskiste verführenden Theaters und erzeugte glitzernde Ozeane, Schneestürme, Blütenregen und Nebelschwaden, Wild-West-Schießereien und indischen Bestattungstanz. Ein im Raum schwebendes, perspektivisch verkürztes Zimmerchen diente nicht nur als Wohnhaus des Mr. Fogg, sondern auch als Eisenbahnwagon, Ozeankreuzer und Fischkutter. (Bühnenbild: Stefan Haganeier)
Requisiten und Trickeffekte regten die Fantasie derart an, dass man die Weltreise Mr. Foggs mühelos nachvollziehen konnte. Für die Kinder wurde der Abend zum spannenden Abenteuer einer Fantasie-Reise und sie blieben bis zum letzten Augenblick aufmerksam dabei. Die Erwachsenen fühlten sich durch einige politische Anspielungen und eine reizende Situationskomik gut unterhalten. Slapstick-Elemente riefen bei Klein und Groß herzhaftes Lachen hervor. Bezaubernd und wirkungsvoll war der Einfall, einzelne Figuren mit riesigen Puppenköpfen zu versehen, die mit ihren Schlafaugen allgemeines Entzücken erregten.
Doch mit ästhetischer Verzauberung und guter Unterhaltung allein war es nicht getan. Die dramatische Vorlage von „In 80 Tagen um die Welt“ aus der Feder Soeren Voimas besitzt durchaus kritische Dimensionen. Der koloniale Habitus der englischen Gentlemans wurde mehrfach als politisch anstößig definiert. Die Inszenierung verwies mit dem rüden Ton einer „political incorrectness“ auf die unseligen Zustände unter den Kolonialmächten des 19. Jahrhunderts. Warum sich auf bloße Unterhaltung konzentrieren, wenn auf spaßige Weise auch auf Missstände in der Welt hingewiesen werden kann?
Mit einem Augenzwinkern wird die Überzeugung Phileas Foggs hinterfragt, alles in der Welt lasse sich in mathematische Formeln fassen und sei folglich berechenbar. In diesem Wesenszug spiegelt Jules Verne wohl Begeisterung und Euphorie der Europäer im 19. Jahrhundert angesichts der industriellen Revolution und dem dadurch vorangetriebenen Fortschritt in den Naturwissenschaften und der Technik wider. Heute wirken diese Errungenschaften natürlich anachronistisch: Wenn Mr. Fogg schildert, wie man mit Bahn und Schiff die 41 0000 Kilometer rund um den Globus in einer Zeitspanne von mindestens 80 Tagen zurücklegen könne, müssen wir heute schmunzeln. 2005 gelang dem Amerikaner Steve Fossett die Weltumrundung in 67 Stunden, 2 Minuten und 38 Sekunden. Übrigens war erstaunlich, mit welcher Treffsicherheit Passepartout einen Grund für solche Abenteuer- und Wettlust beschrieb: Die Herren besitzen zu viel Geld. Mr. Fossett galt zwar nicht als ausgewiesener Gentleman wie Mr. Fogg, dafür aber als Millionär! Fossett bezahlte seine Gipfelstürmerei 2007 allerdings mit dem Leben. Fogg ließ bis zum Schluss keinen Zweifel aufkommen, dass er alle Tücken des Daseins und der Materie mittels Mathematik überwinden würde.
Diese Inszenierung weckte mit fantasievollen, reich bebilderten und anregenden Szenen sicherlich die Begeisterung und Neugierde des jungen Publikums für das Theater und garantierte doch auch dem erwachsenen Publikum ein paar zauberhafte Stunden. Wenn es Tina Lanik gelang, den einen oder anderen kleinen Zuschauer mit dem Theatervirus zu infizieren, kann sich nicht nur das Residenztheater freuen, denn die kleinen Zuschauer von heute sind die Theatergänger von morgen. Auch das ist ein sehr löblicher Zug am neuen Konzept im Residenztheater.
Magdalena Sporkmann / Wolf Banitzki
In 80 Tagen um die Welt
nach Jules Verne, in einer Fassung von Soeren Voima
Jens Atzorn, Michele Cuciuffo, Thomas Gräßle, Alfred Kleinheinz, Barbara Melzl, Katrin Röver, Paul Wolff-Plottegg, Johannes Zirner Regie: Tina Lanik |