Residenz Theater Ein Mond für die Beladenen von Eugene O'Neill
Letztes Aufbäumen der Beladenen
Wenn die US amerikanischen Theaterautoren etwas virtuos beherrschen, dann ist es der Umgang mit und das provozieren von Gefühlen. Daraus erklärt sich wohl auch ihre starke Affinität zu Ibsen, Strindberg, Tschechow und der Methode von Stanislawski, die ihren höchsten Ausdruck im Strasbergs Actors Studio fand. Ausnahmen sind bis zu einem gewissen Grad Arthur Miller, was kurios klingen mag, denn er war der Mitbegründer des Studios, und Eugene O’Neill, der bereits 1953 starb. Beide Autoren unterscheiden sich von vielen Kollegen vornehmlich darin, das ihre Bühnenrealität aus der gesellschaftlichen, auch politischen Realität resultierte, und die sie nie ganz ausblendeten, wie beispielsweise Tennessee Williams. (Georg Hensel bezeichnete seine Dichtung als: Neurosen und Poesie.) Hintergrund für die Werke Eugene O’Neills war immer auch ein autobiografischer Ansatz, was seine Werke besonders glaubhaft und eindringlich machte. Bei ihm kippen die Geschichten nie in den Kitsch, wenngleich das emotionale Moment eine durchaus dominierende Rolle spielt.
„Ein Mond für die Beladenen“ gilt in Fachkreisen als die Vollendung des Dramas „Eines langen Tages Reise in die Nacht“. Tatsächlich begegnet man in „Ein Mond ...“ einer Figur wieder, die sich schon in „Eines langen Tages ...“ findet: Jim (James) Tyrone. Diese Figur ist ganz realistisch dem Leben O’Neills entstiegen. Es handelte sich um den trunksüchtigen Bruder Eugenes, James O’Neill.
Michael von Au, Anna Schudt © Thomas Dashuber |
Regisseur Thomas Langhoff, er ist nicht dafür bekannt, überambitionierte Experimente zu veranstalten, schlug sich deutlich auf die Seite O’Neills. Daraus resultierte ein Theaterabend, der ganz in der Sichtbarmachung menschlicher Abgründe und Qualen mündete. Und genau darin lag auch die politische Botschaft der Inszenierung. Der Mensch in der kapitalistischen Gesellschaft ist ein verlorener, an sich und den Zuständen leidender.
Stefan Hageneier hatte für das Spiel, das ganz dem Drama folgend ausschließlich vor dem Haus der Hogans spielte, einen Hintergrund geschaffen, der unübersehbar amerikanisch war: „Stars and Strips“. Die Stars fehlten, konnten gedacht werden beim Blick in den monddurchfluteten Himmel, der dem Zuschauer jedoch verborgen blieb. Davor eine riesige Werbewand, wie man sie von Bildern aus Las Vegas kennt. Über diese Wand bekam der Zuschauer informative Impressionen zum Inhalt der jeweiligen Szene. Im Bühnenvordergrund waren einige Mülltüten, die Treppe zum Haus und zwei Stühle platziert. Das Bild verbreitete tödliche Tristesse, überlagert vom verlogenen Funkeln des „American Dream“.
Manfred Zapatka, hemdsärmelig in grober Arbeitshose mit breiten Trägern, donnerte als Phil Hogan über die Bühne. Rüde und unflätig beschimpfte er alles und jeden. Doch in O’Neills Texten, selbst für diesen scheinbar alles verachtenden Mannes, verbargen sich immer wieder sehr menschliche Töne. Zapatka war fraglos eine Idealbesetzung, ebenso wie Anna Schudt als seine Tochter Josie. Sie hatte dem Donnern und Dröhnen des Vaters durchaus eine ähnliche physische Bedrohlichkeit entgegen zu setzen. Was Jim (Michael von Au) in Momenten tiefster Zuneigung offenbarte, nämlich dass die scheinbar grobschlächtige und „maulaufreißende“ Josie von großer (seelischer) Schönheit sei, hatte Anna Schudt längst für das ganze Publikum sichtbar erspielt. Michael von Au, der dritte Protagonist im Bunde, spielte als Jim im Zustand der relativen Nüchternheit den jovialen, weltgewandten und mit Bildung ausgestatteten Flaneur, der scheinbar bessere Gegenden in seinem Leben gesehen hatte. Am Ende, im Zustand totaler Trunkenheit, aber fällt dieses Schutzschild von ihm ab und zurück bleibt ein erbarmungswürdiges Wesen, das lange vor der Zeit gestorben war. An dieser Stelle wurde das Drama amerikanisch und das letzte große Gefühl von unendlicher Einsamkeit und Verlorenheit blieb im Raum stehen. Thomas Langhoff und seine Darsteller waren Eugene O’Neill gerecht geworden.
Es kann nur Spekulation bleiben, ob unter diesen Umständen mehr unmittelbare Aktualität möglich gewesen wäre, und ob das überhaupt in der Intention von Tomas Langhoff lag. Aber auch die Archaik, frei von mythologischen Einsprengseln, überzeugte. Bleibt zu hoffen, dass die konkreten Botschaften hinter der Folie die Zuschauer erreichten. Arthur Miller formulierte sie klar und deutlich wie kaum ein anderer: „O’Neills Gestalten mussten verzweifelt versuchen, sich aus dem System zu befreien, sie mussten es mit all seiner großspurigen Selbstbeweihräucherung, seinem frömmelnden Anspruch auf geistige Werte verwerfen, da es in Wirklichkeit hohle und blinde Menschen hervorbrachte, die an einer unsagbaren Verzweiflung erstickten. Wäre Inhalt das Kriterium für Radikalismus gewesen und nicht gewissen automatische verteilte Etikettierung der Presse wie ‚katholisch’, ‚jüdisch’, ‚tragisch’ und ‚klassenbewusst’, wäre O’Neill als erster und wichtigster antikapitalistischer Schriftsteller gebrandmarkt worden. (...) O’Neill sah im Kapitalismus keinerlei Hoffnung.“ So zeigte Thomas Langhoff ganz im Sinne des Autors ein letztes Aufbäumen der Beladenen.
Wolf Banitzki
Ein Mond für die Beladenen
von Eugene O'Neill
Anna Schudt, Michael von Au, Frederic Linkemann, Marcus Widmann, Manfred Zapatka Regie: Thomas Langhoff |