Residenz Theater Der zerbrochne Krug von Heinrich v. Kleist
Was zeichnet ein gutes Lustspiel aus? Zweierlei: eine (bestenfalls humanistische) Botschaft und eine Geschichte, die das Zwerchfell reizt. Handelt es sich wirklich um eine substanzielle Angelegenheit, ist es um so höher zu bewerten, das man über deren Abhandlung herzhaft lachen kann. Nur so lassen sich Zustände überwinden, unter denen der Mensch (heute und zu allen Zeiten) leidet und litt. Warum gibt es in der deutschen Dramatik so wenige gute Komödien? Wohl, weil der Deutsche zur übertriebenen Ernsthaftigkeit neigt, die mit einer geradezu masochistischen Veranlagung zur Selbstkasteiung einhergeht. Immerhin brachte das einen Gutteil der besten Philosophen hervor; allerdings auch massenhaft hängende Mundwinkel.
Mit "Der zerbrochene Krug" haben die Deutschen ein Stück, dass sich durchaus mit den Komödien von Shakespeare und Molière messen kann. Nur der Start in die Inszenierungsgeschichte war ein sehr unseliger. Goethe hatte das Lustspiel 1808 in Weimar auf die Bühne gebracht. Vorher hatte er allerdings Hand angelegt an den Einakter und einen Dreiakter daraus gemacht. Das Ergebnis war dennoch ein Flop. Erst im 20. Jahrhundert kam man dahinter, dass es nicht an der dramaturgischen Einteilung lag, die das Stück scheitern ließ, sondern an dem überflüssig ausladenden Schlussmonolog der Eve, die noch einmal die ganze Geschichte erzählte. Eine Theaterregel ist: Das letzte Gefühl des Zuschauers ist immer das bleibende Gefühl und wenn der Schluss nicht funktioniert, ist das ganze Stück gescheitert.
Der Inhalt der Geschichte ist simpel. Frau Marthe Rull erscheint vor dem Dorfrichter Adam, um Klage zu führen gegen Ruprecht, Sohn des Bauern Veit Tümpel. Es herrschte Einverständnis darüber, dass Eve, Tochter der Frau Marthe Rull, seine Frau werden wird. In einem nächtlichen Tohuwabohu im Zimmer der Eve geht ein Krug zu Bruch. Der wahre Täter entkommt und Ruprecht, der dem Fliehenden noch einige Blessuren beibringen konnte, wird angeklagt. Adam, seinerseits ziemlich in Mitleidenschaft gezogen, führt unter Aufsicht des Gerichtsrates Walter, der zur Inspektion in Huisum weilt, den Prozess zu seinen Gunsten. Auch der unkundige Zuschauer weiß bald, dass Adam der vermeintliche Bösewicht ist. Am Ende wird der listereiche und skrupellose Dorfrichter überführt und flieht.
Rainer Bock, Lambert Hamel, Mark-Alexander Solf, Barbara Melzl © Thomas Dashuber |
Es ist eine sehr volkstümliche Geschichte, die von der Zwiespältigkeit des menschlichen Wesens im Allgemeinen und von Machtmissbrauch, Betrug und Wollust im Besonderen kündet. Und sie wird von jedermann verstanden, denn sie ist intelligent, witzreich und das Gute siegt darin. Was sollte man also an dieser Geschichte ändern, wenn sie per se ein Garant für gutes Theater ist? Es fällt keine Antwort darauf ein. Und dennoch gelang am Residenz Theater in der Inszenierung von Tina Lanik die nachhaltige Austreibung des Spaßes. Wie? Nun, wie es in Deutschland üblich ist. Man zerrt den philosophischen Subtext an die Rampe und spielt es wie ein Tragödie. Plötzlich ist es nicht mehr die heitere Dorfkomödie, sondern der ödipale Mythos mit sexueller Konnotation. Der Krug wird zum nationalen Symbol, dessen Zerschlagung den Bestand und die Kontinuität der gesellschaftlichen Gemeinschaft bedroht. Außerdem steht der Krug noch für im Freudschen Sinn irreparabler Penetration der Jungfräulichkeit im Besonderen und im Allgemeinen. Es gelang Frau Lanik, die vielleicht schönste und lustigste Komödie in eine schlecht funktionierende Tragödie umzuwandeln.
Lambert Hamel gab einen Dorfrichter zwischen Apathie und knatternder Lustlosigkeit. Der Kleistsche Adam hingegen ist ein sinnesfreudiger Mann, der selbst in seinen Lügen und Intrigen noch große Lust verspürt, der als menschliches Wesen durchgängig glaubhaft und keineswegs unsympathisch ist. Mark-Alexander Solf betrieb seine Part, so wie im Stück durchaus vorgegeben, als intriganter Schreiber Licht, der seit neun Jahren nach dem Richterstuhl schielt. Allein, seine fast permanente Anwesenheit, die jedoch keinem dramaturgischen Zweck folgte und die ungestaltet blieb, ließ die Figur in die Beliebigkeit zurückfallen. Ganz ähnlich erging es Rainer Bock, der als Gerichtsrat Walter im Stück die moralische Instanz vorstellte. Am Ende griff er seinerseits unmissverständlich nach Eve. Das kann nur als Anmaßung der Regie verstanden werden nach dem Motto: wenn schon die Welt entlarven, dann gründlich. Barbara Melzl gelang es auf ziemlich schrille Weise, sich Raum zu erobern. Allerdings erhielt auch sie keine wirkliche Hilfestellung von Seiten der Regie, Frau Marthe Rull, eine Nachbarin aus Fleisch und Blut zu werden. Wenn überhaupt eine Rollengestaltung im Gedächtnis blieb, dann war es die von Shenja Lacher, der einen etwas tumben und emotionsgeladenen Ruprecht gab. Ihn nahm man als menschliches Wesen und nicht als Rolle wahr.
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen und um scheinbar zu beweisen, warum das Stück in der Uraufführung durchfiel, ließ Regisseurin Tina Lanik Anne Schäfer den ganzen Monolog der Eve sprechen. Ohne Ton hätte man meinen können, Ophelia halte ihre letzten Monolog, ehe sie zum Teich aufbricht, um Suizid zu begehen.
Die Inszenierung von Tina Lanik war eine intellektuelle Plakatierung zu einem großartigen Volksstück. Das Bühnenbild von Bernhard Hammer unterstrich diesen Inszenierungsansatz nachdrücklich. Eine Schneelandschaft, aus der effektheischend ein (offener) Innenraum geboren wurde, verbreitete Frostigkeit, unter der alle Figuren zu leiden hatten. Als am Ende noch ein Regen niederging, wusste auch der letzte Zuschauer, das Dach der Rechtsbarkeit schützt nicht mehr.
Wolf Banitzki
von Heinrich v. Kleist
Barbara Melzl, Jennifer Minetti, Anne Schäfer, Rainer Bock, Burchard Dabinnus, Lambert Hamel, Alfred Kleinheinz, Shenja Lacher, Mark-Alexander Solf, Annika Olbrich, Julia Schmelzle Regie: Tina Lanik |