Stadttheater Oblomow Sauschneidn. Ein Mütterspiel von Ewald Palmetshofer


 

 

Das Leben als Martyrium

Es ist wohl ein alpenländischer Ort, gewiss kein Idylle, an dem Rosi und Hansi vegetieren. Alpenländisch impliziert immer auch härteste Lebensbedingung, Einsamkeit und Grenzerfahrungen. Rosis Ehe ist ein Martyrium, ein ganz alltägliches, aus Lieblosigkeit und Gewalt. Schwiegermutter Hansi erkennt in Rosis Schicksal das eigene und findet, dass das Maß voll ist. Die Sau, gemeint ist der eigene Sohn, muss endlich geschnitten, sprich kastriert werden, damit er sich in seine Familie und seinen Lebenskreis fügt und seinen Pflichten nachkommt. Bis dahin behelfen sich die Frauen miteinander. Dabei braucht es Schnaps, viel Schnaps. Der Gedanke vom „sauschneidn“, einmal gedacht und ausgesprochen, verändert alles. Er treibt die Frauen auseinander und lässt ihre verzweifelte Einsamkeit ins Unerträgliche wuchern. Immerhin gibt es noch ein anderer Mann, mit dem man reden kann, der zuhört und mit dem Rosi trinkt. Doch es ändert sich nichts und bald schon wird klar, dass nur eine Katastrophe aus dieser Sackgasse des Daseins befreien wird. „Brennen soll's.“

Ewald Palmetshofers Drama ist zugleich sein Erstling, ein Werk von ungeahnter Wucht, verfasst in einer reifen, kunstreichen Dramensprache. In Palmetshofers Werk geht es auch und vor allem um Sprache, nämlich um die, die fehlt, die hilfreich wäre, sich zu orientieren und Lösungen zu finden. Dieser Zustand verweist darauf, da Sprache ja materialisiertes Denken ist, dass es am Denken, am verändernden, schöpferischen Denken mangelt. Dem Denken versagen sich jegliche Auswege und so ist das Vegetieren ein stumpfes Warten, ähnlich dem Warten auf Godot, der nicht kommt. Gefangen in einem Netz aus Tradition, Erziehung und Selbstbeschränkung wird Sprache zum Stammeln. Es bedarf keiner ganzen Sätze mehr, um den übermächtigen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Ein Schweigen, ein Seufzen, ein Aufschrei werden zum existenziellen Notruf. Palmetshofer will weder erklären, noch will er belehren. Er zeigt nicht einmal einen Ausweg auf. Wozu auch, denn das Leben braucht keine Auswege, es geht einfach weiter. Dabei wird zermahlen, was nicht passt oder anpassungsfähig ist. Der Autor gestaltet eine Bestandsaufnahme und kehrt damit die innere Verzweifelung, die in manchen Leben steckt, nach außen. Die daraus resultierende Nachdenklichkeit ist hochpotent, weil illusionslos. Das ist der Ansatz zur Veränderung.

Die Inszenierung im Stadttheater Oblomow unter Federführung von Thomas Flach leistete nicht mehr und nicht weniger, als das, was der Autor vorgab. Und das war mehr als genug. Die Inszenierung war verstörend, ohne zu quälen; sie war erhellend, ohne allerdings Licht zu schaffen; sie war unterhaltsam, ohne alle Anbiederung; sie ist das Leben, wie man es ungern sieht. Léonie Drostes Bühne bestand aus einem leicht gekippten, überdimensionierten (Küchen-) Tisch, der Schlafstatt und Wohnraum zugleich war. Die Kostüme erinnerten in ihren hellen, natürlichen Farben an das Linnen, das man in der Aussteuertruhe der Urgroßmutter fand. In dieser wunderbare Atmosphäre trieben Christiane Blumhoff und Elisabeth Wasserscheid ihr qualvolles Spiel mit einer Intensität, die gelegentlich das Blut zum Stocken brachte. Christiane Blumhoffs Hansi war eine harte, gänzlich desillusionierte Frau, deren Leben eine Destillat aus Bitternissen war. Unter dem Vorzeichen dieser Bitternisse lebend, erstarrten auch die Haltungen von Elisabeth Wasserscheids Rosi mehr und mehr zur Leidenspose. Eingangs, wenn Hansi ihr die Haare kämmte, bis ihr der Kopf schmerzte, zeigte sie noch einen natürlichen Respekt von dem Hierarchischen des Generationenplans. Doch als die Idee vom „sauschneidn“ unwiderrufbar artikuliert worden war, wuchs das Grauen in Rosi vor der Mutter/Freundin/Verbündeten Hansi. Die Abkehr war unausweichlich, einhergehend mit verzweifelter, aber stetig wachsender Selbstbehauptung.
 
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Elisabeth Wasserscheid , Christiane Blumhoff

© Hilda Lobinger

 

Beide Darstellerinnen gestalteten Figuren, deren Umrisse sich wie Säure in den Stein fraßen und wie bei einer Lithografie ein grafisches Bild von menschlichen Zuständen schufen. Obgleich der dramatische Entwurf ein artifizielles Konstrukt ist, gelang die Schaffung individuell menschlicher Momente, die nachhaltig bewegten. Zurück blieb das Gefühl, in den Abgrund geschaut zu haben, wobei keine der Darstellerin ihre Figur als wirklich Abscheu erregend oder missverständlich gestalteten. Thomas Flach übersetzte die karge Sprache in sehr beredte, vielleicht sogar redselige Bilder. Wie schon bei „Emma in love“, das letztjährige Gewinnerstück im „Spielplanturnier ANPFIFF“, erlebte das Publikum erneut einen Theaterabend in sehr kleinem Rahmen, der, wie das Vorgängerstück auch,  den emotionalen Rahmen zu sprengen wusste.


Die Verzweifelung obsiegte nicht, denn am Ende gab es ein neues Wesen, dass, und hier bemüht Ewald Palmetshofer ein Symbol, per se ein Hoffnungsträger war. Wie berechtigt diese Hoffnungen sind, blieb dem Zuschauer überlassen. Schließlich stirb die Hoffnung immer zuletzt. „sauschneidn. ein mütterspiel“ verdient das Prädikat „sehr sehenswert“! Ein neuerliche Lob den Machern, die Theater als eine „moralische Anstalt“ verstehen. Entgegen allen Unkenrufen hat sich dieser wunderbare Ansatz noch nicht überlebt.


Wolf Banitzki

 

 

 


Sauschneidn. Ein Mütterspiel

von Ewald Palmetshofer

Elisabeth Wasserscheid , Christiane Blumhoff

Regie: Thomas Flach