Theater Viel Lärm um Nichts   Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran  von Eric-Emmanuel Schmitt


 

Religion vs. Religion

Monsieur Ibrahim ist kein Araber, obgleich er dafür gehalten wird in der Pariser Rue Bleue der 60er Jahre. Araber sein bedeutet von 8 bis 24 Uhr seinen Laden geöffnet zu haben, auch am Sonntag. Monsieur Ibrahim stammt vom goldenen Halbmond. Der erstreckt sich von Persien bis Anatolien und war schon zu Zeiten von Monsieur Ibrahim eines der größten Anbaugebiete von Opium. Um es auf den Punkt zu bringen, Monsieur Ibrahim ist Türke. Aber was für seine Identität viel bedeutsamer ist, er ist Moslem. Er trinkt gelegentlich Alkohol und geht ebenfalls zu den Dirnen. Doch das ist von untergeordneter Bedeutung, denn er ist ein Sufi. Spätestens hier bedarf es einiger Erklärungen. Im Stück kam ein bedeutender Sufi zu Wort, in dem eines seiner Gedichte rezitiert wurde: Maulana Dschalal ad-Din, genannt Rumi (1207-1273). Rumi entstammte einem Geschlecht von berühmten Theologen, das bis auf den Kalifen Abu Bakr zurückreicht, den Schwiegervater des Propheten Mohammed. Diese Genealogie hat nicht nur im Islam Tradition, begründet man doch mit ihr stets eine größere und magische Nähe zu Gott.

Es waren vornehmlich seine Gedichte, die ihm ein Überleben im Bewusstsein der Gläubigen sicherte und die Erfindung des bekannten Sufitanzes, der noch heute von Derwischen getanzt wird, indem sie sich unablässig im Kreis drehen. Rumi wurde Sufi, nachdem er im Jahr 1244 in der Stadt Konya, 200 km südlich von Ankara gelegen, den Derwisch Schams-e Tabrizi traf, der mit einer großen Überzeugungskraft ausgestattet war. Ihm verdankte Rumi das tiefe Eindringen in die mystische Welt des Sufismus. Schams-e Tabrizi wurde vermutlich von neidischen und missgünstigen Mitbürgern umgebracht, was Rumi in tiefste Trauer stürzte. Diese Trauer fand Niederschlag in dem bis heute praktizierten Reigentanz und in seinen Gedichten. Rumis Todestag, der 17. Dezember, wird bis heute als „Hochzeitstag“ gefeiert, da Rumi sich durch seinen Tod mit Gott vermählte.

Der Kern seiner Theologie ist der Glaube daran, dass das Universum als harmonisches Ganzes von einer universalen Liebe durchdrungen ist, die alles miteinander verbindet. Wer diese Liebe praktiziert, ist von Gott in den Stand versetzt, seine Mitbürger ebenso zu lieben, wie alles von Gott Geschaffene. Dabei geht es nicht um Verstehen, sondern vielmehr um Versenken, um Gott näher zu sein. Rumi beschrieb das in folgenden Zeilen: „Glaubst du, ich weiß, was ich tue? / Dass ich einen Atemzug lang oder einen halben mir selber angehöre? / Nicht mehr, als eine Feder weiß, was sie schreibt, / oder der Ball vermuten kann, wohin er gleich fliegt.“ Sich Gott durch Liebe zu nähern ist der Weg zur Erfüllung des eigenen Daseins. Das sollte man wissen, um zu verstehen, was es bedeutet, wenn Monsieur Ibrahim sagt: „Ich weiß, was in meinem Koran steht.“ Die Betonung liegt dabei auf „meinem Koran“. Tatsächlich wird aus dem Buch weder zitiert, noch wird es zur Beweisführung herangezogen. Es tut nichts zur Sache.

  Monsieur Ibrahim  
 

Ariya Robat Mili und Titus Horst

 

Als eigentliche „Sache“ des Werkes von Eric-Emmanuel Schmitt aus dem Jahr 2001 ist ein Ausschnitt aus dem Lebensweg des jüdischen Jungen Moses anzusehen, der täglich in Monsieur Ibrahims kleinem Laden einkauft und auch stiehlt, um zu Geld zu kommen, mit dem er zu den Dirnen der Straße geht. Als Moses´ Vater, nachdem ihm der Job gekündigt wurde, verschwindet, findet der Junge in Monsieur Ibrahim nicht nur einen Freund, sondern auch einen Adoptivvater. Moses Mutter verschwand gleich nach der Geburt des Jungen, kehrt aber nach dem Tod des Vaters zurück, um sich um den Jungen zu kümmern. Moses lässt sich allerdings nur noch bedingt auf sie ein. Monsieur Ibrahim steht Moses nun in allen Angelegenheiten des Lebens zur Seite und bringt ihn auf den Pfad der Liebe, mit der sich die Dinge des Lebens leichter und problemloser bewältigen lassen. Als Monsieur Ibrahim auf einer Reise nach Anatolien verunglückt, tritt Moses sein Erbe an, das in allem irdischen Besitz, aber auch in dem Koran Monsieur Ibrahims besteht. Moses tritt an die Stelle des „Arabers“ und wird selbst zum „Araber“, täglich von 8 Uhr bis 24 Uhr geöffnet, auch am Sonntag.

Andreas Wiedermann brachte das Stück mit nicht mehr als drei Darstellern auf die Bühne. Ihm gelang dabei eine schlüssigere Erzählung als beispielsweise der Film, der vornehmlich von der trefflichen Präsenz Omar Sharifs lebt. Die Titelrolle übernahm Titus Horst, zuletzt als „Weltverbesserer“ im gleichnamigen Stück von Thomas Bernhard auf der Bühne des Theaters Viel Lärm um Nichts zu sehen. Titus Horst gab einen knorrigen, in sich gekehrten Monsieur Ibrahim, dem man seine grundgütige und liebevolle Einstellung zum Leben erst auf den zweiten Blick abnahm, diese dann aber auch vorbehaltlos annehmen konnte. Er vermittelte so ein realistischeres Bild vom Leben als der Film, der bisweilen ein wenig märchenhaft und auch kitschig daherkommt. Evelyn Plank fiel die Aufgabe zu, sämtliche Nebenrollen darzustellen. Diese Rollen waren denkbar unterschiedlich, z.B. Brigitte Bardot, ein Polizist oder ein Autohändler. Die naturgemäßen Unterschiede wurden von Evelyn Plank weniger durch kostümische Verwandlung als vielmehr durch Haltung und Habitus realisiert. Es gab daran absolut nichts auszusetzen. Die Rolle des Moses war mit dem jungen Ariya Robat Mili, er ist gebürtiger Iraner und kommt somit aus dem goldenen Halbmond, perfekt besetzt. Man kaufte ihm den Knaben eher ab, als dem Text. Letzterer wurde allerdings auch im Rückblick von dem bereits erwachsenen Moses erzählt.

In intimen Szenen wird die Welt der „kleinen oder normalen Menschen“ beschrieben, deren alltägliches Dasein nicht von den Grundfragen der Philosophie oder der Religion bestimmt werden, sondern vom kleinen Streben nach persönlichem, vielleicht auch nachhaltigem Glück geprägt ist. Und dennoch ist das Anliegen der gelungenen Inszenierung ein größeres. Der Werbetext zum Stück erklärte: „Ein skizzenhafter Gegenentwurf zur hasserfüllten, rachsüchtigen Gedankenwelt islamistischer Fundamentalisten, ein mit zivilisationskritischen Spitzen gespickter Aufruf zur Entdeckung der Langsamkeit, zu Nonkonformismus und Antirassismus, zur Toleranz gegenüber Andersdenkenden, anderen Religionen, anderen Generationen, voller Ernsthaftigkeit, Melancholie und feinem Humor.“ Das Anliegen kann getrost als erreicht gesehen werden, doch bedeutet das nicht, dass das Ergebnis auch von Jedermann als akzeptabel betrachtet werden muss. Der Sufismus, für den das Stück eine Lanze bricht, ist eine zutiefst mystische und der rationalen Vernunft zuwider laufende Religion. Sie erfüllt wie kaum eine andere Religion den Tatbestand, eine Droge, „Opium für das Volk“ zu sein. (Möglicherweise gibt es da ja auch Parallelen zur enormen Drogenproduktion in ihrer Herkunftsregion.)

Eric-Emmanuel Schmitt treibt in seinem Text, wenn es um den Streit der Religionen geht, den Teufel mit dem Belzebub aus. Zugegeben, durchaus mit Witz, wenn er den Religionen Gerüche zuweist. (Weihrauch der Ostkirche, Kerzentalg der katholischen und Fußschweiß dem Islam.) Wo aber bleibt die Vernunft? Der Betrachter wird, auch Dank der überzeugenden Inszenierung, mit einer Existenz des Verzichtes, der Bescheidung, der Demut versöhnt. Soll das wirklich gesellschaftlicher Konsens sein? Oder sollte es nicht ernsthaft darum gehen, das geistige Mittelalter zu überwinden, auf das selbstgeschaffene höhere Wesen zu verzichten und langsam selbst die Verantwortung für unsere Existenz und die Gestaltung derselben zu übernehmen. Den Fundamentalisten wird im öffentlichen Diskurs nicht grundsätzlich ihre wahnhafte Sicht auf die Welt vorgeworfen, sondern es werden viele Energien darauf verwendet, dem Wahnhaften einen guten, einen menschenfreundlichen Hintergrund zu verleihen.

Um es mit Konstantin Wecker zu sagen: „Nur die Götter gehen zu Grunde, wenn wir gottlos sind.“ Oder mit dem Kabarettisten Jochen Malmsheimer, der bemerkte: „Ich bin für Religionsfreiheit, obwohl mir frei von Religionen lieber wäre.“ Religionen waren zu allen Zeiten gut, um vermeintliche Wahrheiten, die selten wahr waren, zu schöpfen, die dem Menschen implantiert wurden und an denen sie geistig und emotional verkrüppelten. Wie wäre es einmal mit Verzicht auf Religion und die direkte Besinnung auf Vernunftgründe. „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ von Eric-Emmanuel Schmitt gäbe es dann vielleicht nicht, was schade wäre, denn der Verzicht auf Gott bedeutet ja nicht Verzicht auf Spiritualität, auf geistige Atmung, und davon gab es genug an diesem Abend.

Wolf Banitzki

 


Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

von Eric-Emmanuel Schmitt

Evelyn Plank, Titus Horst und Ariya Robat Mili

Regie: Andreas Wiedermann