Theater Viel Lärm un Nichts  Das letzte Band von Samuel Beckett


 

Theater total

1958 traf Samuel Beckett in der BBC anlässlich der Erstausstrahlung von „All that fall“ den irischstämmigen Schauspieler Patrick Magee. Magee war ein Mann von ungestümem Wesen, der einem guten Whiskey, wie auch Beckett, nie abhold war. Beckett steckte zu dieser Zeit in einer tiefen Depression, schlug sich mit Krankheiten herum und wurde von Verlegern bedrängt, die auf einen neuen Roman warteten. Beckett zweifelte indes, ob ihm je wieder eine Prosaarbeit gelingen würde. Magee in seiner energiegeladenen Quirligkeit machte auf Beckett einen so mitreißenden Eindruck, dass er seine Antriebslosigkeit augenblicklich vergaß und ein weiteres Hörspiel plante. Heraus kam „Krapp’s last tape“, ein Theaterstück. Tatsächlich spielte Patrick Magee den Krapp in der Uraufführung und Beckett konstatierte erstaunt, dass es genau die Stimme war, die er im Innern beim Schreiben immer gehört hatte.


Vielleicht ist es der Entstehungsgeschichte zu danken, den menschlichen Anstößen, die dazu führte, dass der am meisten autobiografische Text, fern vom Intellektualismus von „Fin de Partie“ (Endspiel), entstand. Beckett stellte sich in diesem Text seiner eigenen Person. Doch dabei nicht mehr so erbarmungslos verloren in Schmerz und seelischer Erschöpfung wie in seinen Romanen. Jede Erwähnung, jeder Satzteil findet seine Entsprechung im Leben Becketts. Einen Großteil der Energien beim Schreiben des elfseitigen Textes (Suhrkamp Taschenbuchausgabe) verwandte der Autor immerhin darauf, das Autobiografische zu verklausulieren. Krapp, knapp siebzig Jahre alt, ein von äußerer Verwahrlosung und innerer Versandung gezeichneter Schriftsteller mit unbezähmbarem Appetit auf Bananen holt aus seinem Archiv eine Tonbandaufnahme (Schachtel drei, Spule 5), ein Tontagebuch gewissermaßen, um in seine Vergangenheit hinein zu lauschen. Das Tondokument wurde an seinem 39. Geburtstag aufgezeichnet. Das Register gibt Auskunft über den Inhalt: „Mutter endlich in Frieden (…) Das dunkle Dienstmädchen (…) Denkwürdiges Äquinoktium (Tagundnachtgleiche – Anm. W.B.) (…) Abschied von der Liebe.“ Das letzte Ereignis wird sich im Verlauf der Geschichte als das schicksalhafteste entpuppen.


Darin beschreibt Krapp seinen gemeinsamen Urlaub mit einem Mädchen am Meer und einer Bootsfahrt, bei der sich beide körperlich nahe kommen. Krapp verliert sich in der Unendlichkeit ihrer Augen und erlebt den großen Moment seines Lebens. Zugleich beschwört er den endgültigen Abschied: „Ich sagte noch einmal, ich fände es hoffnungslos und verfehlt weiterzumachen, und sie nickte, ohne ihre Augen zu öffnen.“ Die Größe des Augenblicks der Versenkung in ihre Augen beschreibt Krapp rückblickend mit den Worten: „Was für Augen sie hatte! (…) Da lag alles drin, der ganze alte Dreckball, alles Licht und Dunkel, alle Hungersnot und Völlerei der Jahrhunderte!“ Die junge Frau hieß im realen Leben Peggy Sinclair, eine Cousine mütterlicherseits, mit deren Familie Beckett 1929 einen Sommerurlaub an der Ostsee verbrachte. Peggy ermutigte den jungen Samuel Beckett, desgleichen aber auch einige Nebenbuhler. Angestachelt und gleichermaßen verwirrt wurde sie dabei von der tränenreichen Lektüre der „Effie Briest“, die zuletzt wegen ihrer gescheiterten Ehe und einer ausgebrochenen Tuberkulose in den Freitod ging. Ironischer Weise verstarb Peggy selbst nach nicht einmal zwei Jahren an Tuberkulose.


Nach dieser Episode war Becketts Verhältnis zu Frauen eher praktischer Natur. Er betrachtete ihre Notwendigkeit in den physischen Bedürfnissen begründet, weigerte sich aber weitestgehend, Frauen entscheidend an seinem Leben teilhaben zu lassen. Dairdre Bair schrieb in der einzigen von Beckett autorisierten Biografie: „Er glaubte, dass die Liebe, falls es so etwas überhaupt gab, bald der Gleichgültigkeit wich und dass für ihn deshalb Passivität die beste Haltung war. Das verminderte Komplikationen und Gefühlsaufwand.“ Das bezog sich auch auf seine Ehefrau. Nach der schleichenden emotionalen Trennung von ihr bevorzugte er den unproblematischen Umgang mit Prostituierten. Dennoch formulierte er mit sehnsüchtigem Unterton: „Vielleicht sind meine besten Jahre dahin. Da noch eine Aussicht auf Glück bestand. Aber ich wünsche sie nicht zurück. Jetzt nicht mehr, wo dieses Feuer in mir brennt. Nein, ich wünsche sie nicht zurück.“

  Das letzte Band  
 

Andreas Seyferth

 

Mit diesen Worten aus dem Mund von Andreas Seyferth endete die einstündige Inszenierung von „Das letzte Band“ im Theater Viel Lärm um Nichts und es brauchte einige tiefe Atemzüge, um die Faszination abzuschütteln. Es war allerdings keine Premiere im üblichen Sinn, denn diese Inszenierung kam bereits 2001 auf die Bühne. Dass sich die Macher nun dazu entschlossen, diese Inszenierung wieder aus der Versenkung zu holen, kann nur Zuspruch finden. Diese Arbeit ist alterslos und frei von Moden.


Es ist fraglos immer ein Risiko, ein Beckett-Stück auf die Bühne zu bringen, denn diese existenzialistischen Dramen des Absurden, schwer oder manchmal auch kaum verständlich, sind keineswegs abonnementfördernd. Es braucht häufig erst eines Schlüsselerlebnisses, um die Großartigkeit dieser Dramatik zu erkennen und sich von ihr einnehmen zu lassen. Die Inszenierung von Matthias Grundig hat diese Qualität und Andreas Seyferth ist noch einmal wunderbar nachgereift in der Rolle des Krapps. Auch an ihm sind die Jahre nicht ganz spurlos vorüber gegangen (Er mag mir diesen Satz verzeihen.) und so passte er noch perfekter in die Rolle, die Physiognomie eines beinahe Siebzigjährigen vorzustellen.


Doch nicht genug mit der vorzüglichen Äußerlichkeit; kein Dramenautor fordert so strikt Werktreue ein, wie Samuel Beckett. Jeder Versuch, Becketts Dramen umzudeuten, eine neue, von Becketts vorgegebener Ästhetik abweichende zu wählen, ist fast immer zum Scheitern verurteilt. Becketts Vorlagen sind bereits gerahmt und so kompliziert und vielschichtig durchdacht, dass jedes Abweichen das Bild zerstört. Bei Beckett hat man es nicht mit einem Ismus oder einer ästhetischen Strömung zu tun, sondern mit einem vollkommenen Individualstil. Er selbst formulierte es 1973 so: „Mit diesen Grotowskis und Methoden hab ich nichts am Hut. Das bestmögliche Stück ist eines in dem es keine Schauspieler gibt, nur Text. Ich bemühe mich darum, eins zu schreiben.“ Mit „Atem“ (Breath) und „Nicht ich“ (Not I) ist ihm das gänzlich gelungen. In letztgenanntem Stück ist nur noch ein Mund auf der Bühne.


Matthias Grundig hielt sich an (fast) alle Regieanweisungen peinlich genau und Andreas Seyferth sponn langsam und sehr komisch seine Schicksalsfäden. Jeder Ton, jede noch so winzige Geste, jede Mimik hatte Bedeutung und die verschmolzen in- und miteinander. Alle Beckettschen Figuren haben stets auch etwas Clowneskes. So auch Krapp, der über sich selbst sagt: „Hörte mir soeben den albernen Idioten an, für den ich mich vor dreißig Jahren hielt, kaum zu glauben, dass ich je so blöde war.“ Er zelebrierte das Wort „Spuuule“ und verlor sich dabei fast wie ein komplett Debiler. Er wurde immer wieder von seiner Gier nach Bananen übermannt und es war nicht unbedingt sicher, ob es eine höhere Einsicht war, dass er sie nicht aß oder vielleicht nur Vergesslichkeit. Krapp ist ein Mensch, ein erbarmungswürdiges Geschöpf, das sich in seinem Scheitern selbst noch schlüssig erklärt. Krapp ist ein Leben, gelebt, unumkehrbar und randvoll mit absurden Wendungen. Dabei keinesfalls lebensfremd. Wenn überhaupt negative Kritik an der Inszenierung geübt werden kann, dann vielleicht daran, dass Krapps Kostüm die von Beckett geforderte Patina fehlte: „Speckige schwarze Hose, die ihm zu eng und zu kurz ist. Speckige schwarze ärmellose Weste (…) Schmieriges weißes Hemd, am Hals offen, ohne Kragen.“


Die Inszenierung kam dem sehr nahe, was Alec Reid als Definition Beckettschen Theaters formulierte: „Es sind nicht die Worte, die Bewegungen, das visuelle Schauspiel, die einzeln eine solche Wirkung erzielen; es ist die neue Erfahrung, die erst durch ihre Kombination auf der Bühne entsteht. Diesen Vorgang, bei dem Auge, Ohr, Verstand und Gefühl alle gleichbedeutend beteiligt sind, wollen wir totales Theater nennen.“ So und nicht anders sollte Beckett inszeniert und rezipiert werden. Wenn das gelingt, hat der Vorgang Offenbarungscharakter. Der Inszenierung im Theater Viel Lärm um Nichts kann man diese Qualität freudig zugestehen. Grandios wie am ersten Tag vor sechzehn Jahren!


Wer keine Erfahrungen mit experimentellem Theater hat aber aufgeschlossen ist, dem sei diese Inszenierung als Einstiegsdroge wärmstens empfohlen. Für Beckettfans ist sie ein unbedingtes Muss. Sowas gibt es nur einmal im Jahrzehnt. Also, die Jahre nicht verstreichen lassen, denn: „Was ist schon ein Jahr, heutzutage? Bitteres Wiederkäuen und steinharter Stuhl.“ (Krapp)

Wolf Banitzki

 


Das letzte Band

von Samuel Beckett

 Andreas Seyferth

Regie: Matthias Grundig