Theater Viel Lärm um Nichts  FeierAbend! von Margit Carls


 

Dämmerung im Abendland

Das Modell „Erwerbsarbeit“ ist ein Auslaufmodell, soviel ist mal sicher. Nur noch 20% sind im Wert schaffenden Bereich tätig! Die voranschreitende Automatisierung und Digitalisierung setzt immer mehr Arbeitnehmer frei. Haben sie halt Freizeit, sagte dereinst Keynes, und das Wachstum endet. Die Welt ist (zumindest für uns scheinbar) behaglich eingerichtet. Keynes´ Voraussage, dass die Arbeitszeit mit dem Einkommenszuwachs abnehmen werde, da der Mensch seine Bedürfnisse mit dem erzielten Einkommen befriedigen könne, ist schlichtweg Unsinn. Keynes hatte einen wesentlichen Faktor übersehen, nämlich die Gier. Es reicht die Gier einiger weniger, um die Welt aus dem Lot zu bringen, und den Kreislauf „Wachstum“ am Leben zu erhalten. (Gandhi) Gier kennt keine Grenzen und schon gar keine Skrupel. Inzwischen erscheint das Modell „Erwerbsarbeit“ zivilisiert und in einem recht angenehmen Licht. Doch das Wesen von „Erwerbsarbeit“ hat sich keinen Deut verändert. Der „doppelt freie Lohnarbeiter“ (frei von Besitz an Produktionsmitteln und frei von Mitteln zum Lebenserhalt) muss sich selbst, also seine Arbeitskraft auf den Markt tragen und verkaufen. Der Unternehmer reklamiert hernach den Großteil des Ertrags für sich, da er die in seinem Besitz befindlichen Produktionsmittel zur Verfügung stellt. Genau genommen ist das eine Form von Erpressung des Schwächeren durch den (vermeintlich) Stärkeren. Das ist das Wesen von „Erwerbsarbeit“.

Dank eines jahrhundertelangen Arbeitskampfes erscheint die Gesellschaft heute als zivilisiert und die Arbeit als gerecht und zumutbar. Doch spätestens, wenn man sich die Verteilung des Ertrages anschaut, wird deutlich, dass es sich nach wie vor um Ausbeutung handelt, in der 90 % der Arbeitnehmer ausgebeutet werden (selbst die mit sehr gutem Einkommen) und 10 % Unternehmer und Besitzer ausbeuten, eine kleine Schicht, die mehr als 50 % allen Weltbesitzes ihr Eigentum nennt. Ein grundlegendes Gesetz ist dem Kapitalismus immanent: Reichtum ist ohne Armut nicht möglich. Geld verliert an Wert, wenn genug davon da ist. Arbeitslosigkeit, Mangel und existenzielle Nöte sind notwendig, um das kapitalistische System stabil zu halten. Zyniker (Auch Freie Liberale genannt!) sagen dazu: Das regelt der Markt, der nach Angebot und Nachfrage funktioniert.

Die Politik, verzweifelt angerufen vom verunsicherten Bürger, ist dabei kein taugliches Regulativ, denn sie ist „das Machtinstrument der herrschenden Klasse“. (Karl Marx) Es ist aber auch eine Gesetzmäßigkeit, dass, wenn zu viel an materiellem Besitz und an Produktionsmitteln in zu wenigen Händen ist, die Verelendung (nicht nur die materielle, sondern vornehmlich die geistige und moralische) nicht mehr zu stoppen ist, das System sich auflöst und im Chaos auseinanderbricht. Selten ist die Rolle der Politik so peinlich deutlich geworden wie im Moment am Verhältnis der deutschen Regierung zur Automobilindustrie. Das ganze Dilemma ist eigentlich vergleichbar mit dem Klimawandel. Wenn der point of no return  überschritten ist, dann ist Party! Also FeierAbend! So das Motto der satirisch-musikalischen Revue von Margit Carls/Andreas Seyferth im „Theater Viel Lärm um Nichts“ in der Pasinger Fabrik. Also lasst uns feiern! Eine der Grundeigenschaften unserer schönen neoliberalen Welt ist das positive Lebensgefühl. Wer nicht gut drauf ist, ist verdächtig und wer finanziell nicht mithalten kann, wird unsichtbar.

Echter Spaß will indes nicht aufkommen, insbesondere wenn die (exemplarischen) vier Arbeitnehmer aufs Karussell müssen zu „Wir machen eine Reise nach Jerusalem“. „Hire and fire“ ist nach wie vor die Regel, auch wenn Tarifabschlüsse und halbherzige Gesetze zu Gunsten der Arbeitnehmer dies zu verschleiern suchen… Ursachenforschung wird betrieben und die Entstehung von „Erwerbsarbeit“ beleuchtet, die mit der Verarmung der Bauern und die massenhafte Abwanderung in die Städte begann. Industriebetriebe schossen im 18. und 19. Jahrhundert wie Pilze aus dem von Adam Smith und David Ricardo mit ökonomischen Theorien gedüngten Boden, in denen unsägliche Ausbeutung auch und vor allen von Frauen und Kindern stattfand. Videoprojektionen illustrierten diese Fakten schlaglichtartig.

Maria Maschenkas Exkurs über die Arbeit wird mit der Zunge einer Chinesin gesprochen, fächerwedelnd und begleitet von der Unfähigkeit, den Buchstaben R zu sprechen. Es ist nicht einfach, dem zu folgen, denn das Gehirn muss sich erst daran gewöhnen manche L´s in R´s zu übersetzen. Sinn macht es allemal, denn langsam aber sicher kolonisiert die Volksrepublik China die Privatwirtschaften der ganzen Welt. Aber ein noch erstaunlicheres Phänomen geht mit dieser Tatsache einher. Vorgebliche Kommunisten erweisen sich als die gnadenlosesten Kapitalisten, die alteingesessene Kapitalisten mit ihren eigenen Waffen schlagen. Schon Lenin erkannte, dass den Kommunismus nur die Kommunisten verhindern könnten. Gratulation, sie haben es geschafft. Bei den Chinesen reicht es, die Zahl der Milliardäre und Millionäre im Chinesischen Volkskongress zu betrachten, um zu begreifen, dass von diesem Land schon längst keine „kommunistische Gefahr“ mehr ausgeht.

Die satirische Kritik beackert viele Felder, z.B. Religion und die wechselnden Götter. Einer heißt „Digital“. Auch dieser Gott wird enttäuschen, wie alle anderen vorher. Das Bemühen, die Menschheit in Kains und Abels aufzuteilen, das als natürliche Ordnung festzuschreiben und damit die Gewalt zu legitimieren, ist allgegenwärtig. Die Welt hat zu stark in der Illusion geschwebt, wir seien dem Humanismus schon sehr nahe. Wie schnell derartige Positionen sich in Luft auflösen, zeigen die politischen Entwicklungen weltweit. Tyrannen, Potentaten und Diktatoren verkaufen sich als Heilsbringer, mimen die großen Zampanos und erfahren so viel Zuspruch, dass man guten Grund hat, am Verstand der Menschheit zu zweifeln. Demagogie ist ebenso ein Thema, denn sie ist allgegenwärtig. Philipp Weiche zeigte das am Beispiel eines Motivationstrainers. Es ist ein gewaltiges Geschäftsfeld, auf dem enorme Gewinne generiert werden. Die meisten „Produkte“ sind dabei komplett schwachsinnig und man kann nur staunen, dass Menschen dafür ihr in der „Erwerbsarbeit“ hart verdientes Geld ausgeben. Putzig hingegen sind Szenen, in denen Stefanie Dischinger und Melda Hazirci die Probleme als Kleinkinder angehen. Es sind mitunter naiv-kindliche Fragen, die uns die Absurdität der Realität auf verblüffende Weise nahe bringen.

Die Macher versprechen, ihre Überlegungen „in einem bunten Mix theatralisch ‚Revue‘ passieren“ zu lassen. Dabei kommen „erschröckliche Moritaten, Lieder, Sketche – Spaßiges, Trauriges, Gepfeffertes, Absurdes“ vor das Angesicht und zu Gehör. Der Zuschauer sollte dennoch kein lustiges Kabarett erwarten, denn allzu ernst ist mancher Gedanke vor dem Hintergrund „15 Jahre Agenda 2010“, dem größten Sozialabbau nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland. Sie hat viele Mitmenschen in prekäre Lebenssituationen gebracht, denen sie durch vermehrte „Erwerbstätigkeit“ zu entrinnen versuchen und dabei auf das wohl Wichtigste überhaupt verzichten: auf ihr Leben. Es ist definitiv ein zu großes Thema für eine abendliche Revue, dennoch werden „Finger in Wunden“ gelegt und Denkanstöße gegeben, zumeist auf lustige oder komische Weise. Der Livesound von Kai Taschner trug viele Szenen auf ästhetisch stimmige Weise, betonte Wesentliches und forcierte auch Bauchgefühle, auf die nicht verzichtet werden sollten. Das war eine wichtige Qualität des Abends, denn üblicherweise möchte man im Theater eigentlich nicht von seinen Alltagssorgen eingeholt werden. Ein mutiges Projekt und notwendig zugleich. Das Premierenpublikum sah das ebenso.

Wolf Banitzki

 


FeierAbend!  Uraufführung
Eine satirisch-musikalische Revue in Zeiten des Umbruchs 'Weiter so'

von Margit Carls

Maria Maschenka, Philipp Weiche, Stefanie Dischinger, Melda Hazirci
Klangkonzept und Livesound Kai Taschner

Regie Andreas Seyferth

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