Theater Viel Lärm um Nichts Abgestürzt von Eugéne Labiche


 
 
 
Gelegentlich am Zwerchfell vorbei

Eugène Marin Labiche (1815-1888) war einer der produktivsten französischen Dramatiker des 19. Jahrhunderts. Er war Mitautor bei mehr als einhundert Sittenkomödien, in denen er nicht selten mit viel Witz die spießbürgerliche Lebenswelt der französischen Mittelschicht karikierte. 1880 wurde Labiche Mitglied der Académie française und bis heute gehören seine Bühnenwerke zum Standardrepertoire der Comédie française. Diese historische Tatsache ist Beleg für seine künstlerische Meisterschaft im Genre der Komödie. Der Dichter entstammte einer wohlhabenden Mittelstandsfamilie. Er wusste folglich sehr genau Bescheid über das Leben des "unbescholtenen Steuerzahlers" und um einen solchen dreht sich die Geschichte "Abgestürzt" oder "Die Affäre Rue de Lourcine".

Der Bürger Lenglumé erwacht eines morgens mit einem riesigen "schwarzen Loch" im Hirn.
Er hatte sich am Vorabend heimlich davongeschlichen, um einem feucht-fröhlichen Klassentreffen beizuwohnen. Das Letzte woran er sich erinnern kann war der Salat. Dieser bildet den Rand des schwarzen Loches in dem alles nachfolgende versank. Mitschüler Mistingues Erinnerung reicht immerhin noch bis zum Hauptmenü. Das behauptet er jedenfalls, nachdem er schnaufend und grunzend und zum Entsetzen Lenglumés dessen Bett entsteigt. Als man in der Tagespresse liest, dass eine junge Kohlenträgerin nächtens bestialisch zu Tode befördert wurde, nimmt der mörderische Wahnsinn Gestalt an. Doch genug, denn mehr verraten hieße, den Machern bösartig in den Rücken zu fallen. Nur soviel: Am Ende ist alles anders.

Mirko Hensch deutete mit seinem Bühnenbild einen gutbürgerlichen Haushalt lediglich an. So blieb im kleinen Theater in der Pasinger Fabrik viel Raum für die Akteure. Der Lichtdesigner Jo Hübner leistete keinen geringen Anteil an der Atmosphäre, die vornehmlich durch das Spiel hergestellt werden sollte. Einmal mehr entpuppte sich die unselige Mittelsäule des Raumes für den Zuschauer als hinderlich. Der war doch immerhin sinnvoll positioniert, saß an Cafehaustischen und ließ sich die Getränke munden. Regisseurin Eos Schopohl hatte versucht, das Beste daraus zu machen. Sie konzentrierte sich auf die sinnfällige Organisation des Zusammenspiels und verlieh den Darstellern deutliche Konturen. Alles war wohl gerichtet und doch war der Abend kein gelungener.

Es zeigte sich deutlich, wie schwer es ist, diese leichte Muse zu beflügeln. Gerade bei Boulevardkomödien entscheidet der Rhythmus, das Timing, die Nuance im Spiel, das Maß der künstlerischen Mittel wie ein Scharfrichter. Und genau daran haperte es. Pointen kamen nicht punktgenau. Das Maß des körperlichen Einsatzes der Darsteller bordete nicht selten über und heraus kam Poltern. Es herrschte weitestgehend Atemlosigkeit, was der Dramatik nicht förderlich war. Die Zwischentöne blieben auf der Strecke. Alles war ein wenig zu grobschlächtig, dem Witz und Hintersinn der Geschichte nicht angemessen. Dabei war alles da, nur halt nicht im richtigen Maß. Andreas Seyferth ließ seine komödiantischen Fähigkeiten durchaus sichtbar werden, stellte sich aber nicht selten durch Ungenauigkeiten selbst ein Bein. Sergiy Kalantay schien die Idealbesetzung für den Mitschüler Mistingue zu sein. Seine bärenhafte Erscheinung stand ganz im Einklang mit dem sinnenfreudigen Charakter der Rolle. Doch auch er agierte ungenau, wirkte gelegentlich unbeholfen. Margit Carls traf hingegen als nüchtern-spitze Hausfrau, die immer haarscharf an den abgründigen Einsichten vorbei schlitterte, noch am genauesten den Ton. Robert Spitz überdrehte zumindest als Diener Justin die dramatische Schraube und manche Pose geriet eher peinlich.

Zweifellos hat auch dieses Stück Passagen, die an die Grenzen zur Klamotte stoßen. Doch die Grenzen sollten nicht überschritten werden, was immer auch eine Gratwanderung bedeutet. An diesem Premierenabend rutschte man einige Male ab. Aber wie bereits erwähnt, die Inszenierung ist wohl gerichtet und es bleibt die Hoffnung, dass die Darsteller in den kommenden Vorstellungen das Maß finden. Oder, wie man am Theater zu sagen pflegt, es spielt sich noch hin. Dann allerdings kann es ein Heidenspaß werden.

 
Wolf Banitzki

 

 


Abgestürzt

von Eugéne Labiche

Andreas Seyferth, Sergiy Kalantay, Robert Spitz, Margit Carls

Regie: Eos Schopohl